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Leitsätze:
1) Der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch steht einem Schiffsführer auch dann zu, wenn er vermögenslos ist und sich deshalb der geschädigte Dritte nicht aus seinem Vermögen befriedigen kann (Abweichung von BGHZ 41, 203, 207).
2) Der Anspruch entfällt nicht schon deshalb, weil der Schiffseigner für den Schiffsführer eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat; auch umfaßt er die Prozeßkosten des Schiffsführers aus einem Streit mit dem Dritten.
3) Das Schiffsgläubigerrecht, das der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch dem Schiffsführer gewährt, geht im Rang allen Schiffshypotheken vor; es ist im Zwangsversteigerungsverfahren auch dann zu berücksichtigen, wenn es mehr als sechs Monate vor der Beschlagnahme des Schiffes entstanden ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. November 1975
II ZR 53/74
(Landgericht Duisburg; Oberlandesgericht Düsseldorf)
Zum Tatbestand:
Der Beklagte war als Schiffsführer des MS „ T7A" wegen der Anfahrung eines Schleusentores im Küstenkanal von der Bundesrepublik Deutschland auf Schadenersatz von etwa 140000,- DM in Anspruch genommen. Er hatte deshalb von der Eignerin des Schiffes aus arbeitsrechtlichen Gründen die Freistellung von dieser Schadensersatzforderung verlangt. Als auf Betreiben der Klägerin sodann das Schiff zwangsweise versteigert worden war, wurde dem Beklagten wegen seines Freistellungsanspruches (einschl. entstandener Prozeßkosten) im Teilungsplan ein vorrangiges Schiffsgläubigerrecht nach § 102 Nr. 2 BinnSchG zugesprochen.
Die Klägerin als Gläubigerin einer Schiffshypothek hat gegen den Teilungsplan Widerspruch erhoben und im Klagewege beantragt, diesen als begründet zu erklären.
Landgericht und Oberlandesgericht haben den Widerspruch - unter Begrenzung der Freistellungsanspruches auf 5/6 des Schadens - für unbegründet erachtet. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß das Führen eines Motorgüterschiffes auf einer Binnenwasserstraße dem Bereich gefahrengeneigter Tätigkeit zuzurechnen ist und deshalb dem Schiffsführer gegen seinen Arbeitgeber ein Freistellungsanspruch zustehen kann, wenn Dritte von ihm nach einer Kollision oder nach einer Anfahrung Schadenersatz fordern.
Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob den Beklagten, wie das Berufungsgericht meint, an der Anfahrung des Schleusentores nur ein „unter dem Normalmaß leichter Fahrlässigkeit" liegendes Verschulden trifft. Immerhin hat der Beklagte, der im Schleusenbereich mit äußerster Sorgfalt navigieren mußte (vgl. Senatsurteil vom 12. 3. 1973 - II ZR 37/71, LM Nr. 15 zu BinnSchStrO = VersR 1973, 541 ff.), bei der Annäherung an die Schleuse nicht nur ein Haltezeichen überfahren, sondern infolge ungenügender Aufmerksamkeit auch erst verspätet bemerkt, daß die Maschine seines Fahrzeugs nicht auf rückwärts umgesteuert hatte. Jedoch berührt das den Freistellungsanspruch des Beklagten, und zwar entgegen der Ansicht der Revision auch in Höhe der vom Berufungsgericht angenommenen Quote, nicht. Insoweit fällt ganz wesentlich zu seinen Gunsten ins Gewicht, daß die Umsteuerungsanlage des MS „T7 A" mit einem technischen Fehler behaftet war, den er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht kannte und der das vorübergehende Versagen der Anlage bewirkt hatte.
Dem Berufungsgericht ist außerdem zu folgen, soweit es meint, der Freistellungsanspruch des Beklagten gegen die Schuldnerin würde nicht scheitern, falls diese, wie die Klägerin behauptet habe, für ihn eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen gehabt hätte. Allerdings wäre es nicht ohne Belang, wenn der Versicherer die Bundesrepublik Deutschland vollständig oder teilweise schadlos gestellt hätte - was aber von der Klägerin nicht behauptet wird.
Denn damit hätte sich, wie nicht weiter ausgeführt zu werden braucht, zugleich auch der Freistellungsanspruch des Beklagten gegen die Schuldnerin in entsprechendem Umfange erledigt. Hingegen entfällt der Freistellungsanspruch eines Arbeitnehmers nicht allein schon dadurch, daß der Arbeitgeber für ihn eine Haftpflichtversicherung abschließt und die Beiträge hierfür trägt. Da jedenfalls Schäden, die einem Dritten durch die gefahrgeneigte Tätigkeit eines nicht grob schuldhaft handelnden Arbeitnehmers entstehen, grundsätzlich dem Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen sind, unterliegt es auch seinem Risiko, ob die Haftpflichtversicherung, die er - zumindest auch aus eigener Vorsorge - für den Arbeitnehmer genommen hat, diese Schäden deckt.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist es für den Freistellungsanspruch des Beklagten ferner ohne Bedeutung, daß er, wie die Klägerin behauptet habe, vermögenslos sei und damit die Bundesrepublik Deutschland den gegen ihn gerichteten Schadenersatzanspruch - jedenfalls derzeit - nicht aus seinem Vermögen befriedigen könne. Auch hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Allerdings ist es richtig, daß nach dem Senatsurteil BGHZ 41, 203, 207 dem Schiffsführer ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch gegen den Schiffseigner jeweils nur insoweit zustehen soll, als der geschädigte Dritte Befriedigung aus dem Vermögen des ersten erlangen kann. Auch hat der Senat diese Rechtsprechung nicht, wie das Berufungsgericht meint, in der - einen ganz anderen Sachverhalt betreffenden - Entscheidung BGHZ 59, 148 ff. aufgegeben. Jedoch hält er an ihr nicht mehr fest. Sie kommt, wie die Kritik daran aufgezeigt hat (vgl. insbesondere Lorenz, ZfB 1975, 491, 494/495), nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen und kann schon dann nicht mehr ein Aufbrechen der beschränkten Haftung des Schiffseigners (§ 4 BinnSchG) verhindern, wenn der Schiffsführer - was im allgemeinen der Fall sein wird, auch nur in kleinem Umfange pfändbares Vermögen besitzt oder später erwirbt, da jede freiwillige oder zwangsweise Zahlung hieraus an den geschädigten Dritten bewirkt, daß der Schiffsführer nunmehr aufgrund seines Freistellungsanspruches gegen den Schiffseigner entsprechenden Ersatz von diesem verlangen kann, damit seinem Vermögen ein neuer Vermögenswert zugeführt wird, der dem erneuten Zugriff des Dritten mit der Folge eines erneuten Ersatzanspruches des Schiffsführers gegen den Schiffseigner unterliegt, wobei sich dieses Wechselspiel solange fortsetzt, bis die Schadenersatzforderung des Dritten ohne Rücksicht auf die beschränkte Haftung des Schiffseigners voll erfüllt ist.
Nun liegt es hier so, daß der Schaden der Bundesrepublik Deutschland und damit der Freistellungsanspruch des Beklagten gegen die Schuldnerin, der zudem vom Berufungsgericht auf 5/6 dieses Schadens begrenzt worden ist, den Wert des MS „T7A" im Zeitpunkt des Schadeneintritts nicht übersteigen, somit durch den Freistellungsanspruch des Beklagten die auf Schiff und Fracht (§ 4 BinnSchG) beschränkte Haftung der Schuldnerin nicht gesprengt wird. Es kann daher von einer Erörterung der Frage abgesehen werden, wie nunmehr der in dem Urteil BGHZ 41, 203, 205 dargelegte Interessenkonflikt zu lösen ist, der zwischen dem Anspruch des geschädigten Dritten gegen den Schiffsführer, dem arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch des letzteren und der beschränkten Schiffseignerhaftung besteht, wenn der Schaden des Dritten den Wert von Schiff und Fracht übersteigt.
Es ist in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, daß der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers von der Schadenersatzforderung eines Dritten auch die ihm aus der Abwehr gegenüber dieser Forderung erwachsenen Prozeßkosten umfaßt (RAG ARS 43, 108; vgl. auch Soergel/Wlotzke, Volze aaG). Dem ist beizutreten. Die gegenteilige Ansicht der Revision verkennt, daß diese Kosten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Schadenersatzforderung stehen, von der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer freizustellen hat, und bei einer rechtzeitigen Erfüllung dieser Pflicht in aller Regel nicht entstehen würden.
Nach § 102 Nr. 2 BinnSchG gewähren „die aus den Dienstverträgen herrührenden Forderungen der Schiffsbesatzung, Gehaltsund Lohnforderungen für die Vergangenheit, jedoch höchstens für den Zeitraum von 6 Monaten, gerechnet von der im Zwangsversteigerungsverfahren erfolgenden Beschlagnahme des Schiffes ab" die Rechte eines Schiffsgläubigers.
Die Revision meint jedoch, dem Beklagten stehe - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - hinsichtlich seines Freistellungsanspruchs kein Schiffsgläubigerrecht mehr zu, weil der Anspruch länger als 6 Monate vor der Beschlagnahme des MS „T7A" entstanden sei. Dem ist nicht zu folgen:
Bis zur Änderung des § 102 Nr. 2 BinnSchG durch § 24 des Gesetzes über Vollstreckungsschutz für die Binnenschiffahrt vom 24. Mai 1933 - RGBI. 1 289, 292, gewährte die Vorschrift die Rechte eines Schiffsgläubigers für „die aus den Dienstverträgen herrührenden Forderungen der Schiffsbesatzung". Dieses Recht ging, wie § 109 Abs. 1 BinnSchG zu entnehmen ist, (ebenso wie die Schiffsgläubigerrechte nach § 102 Nr. 1 und 3 BinnSchG) den sonstigen Pfandrechten an Schiff und Fracht vor. Das hatte insoweit zu Mißbräuchen geführt, als bei der Zwangsversteigerung eines Schiffes Söhne oder sonstige Verwandte des Schiffseigners angeblich rückständige Löhne für den Zeitraum von mehreren Jahren geltend machten und hierdurch zum Schaden der übrigen Gläubiger fast den ganzen Schiffswert für sich in Anspruch nahmen (Vogels, Vollstreckungsschutz für die Binnenschiffahrt, JW 1933, 1294, 1295). Diesem Mißbrauch sollte die Gesetzesänderung begegnen (Vogels aaO). Wenn daher der Gesetzgeber der bisherigen Fassung des § 102 Nr. 2 BinnSchG die Worte anfügte „Gehalts- und Lohnforderungen für die Vergangenheit, jedoch
höchstens für den Zeitraum von 6 Monaten, gerechnet von der im Zwangsversteigerungsverfahren erfolgenden Beschlagnahme des Schiffes ab", so kann der Sinn dieser Ergänzung nur dahin verstanden werden, daß die zeitliche Beschränkung allein für die nunmehr noch besonders aufgeführten Gehalts- und Lohnforderungen gelten sollte, hingegen nicht für sonstige Forderungen der Besatzung aus dem Dienstvertrag.
Das Rangverhältnis zwischen dem Pfandrecht des Schiffsgläubigers und den sonstigen Pfandrechten an Schiff und Fracht ist in § 109 BinnSchG geregelt. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung hat das erstere den Vorrang vor den letzteren, jedoch für die in § 102 Nr. 4 bis 6 BinnSchG aufgeführten Forderungen hinsichtlich des Schiffes nur insoweit, als jene Pfandrechte nicht früher entstanden sind. Zu den in § 102 Nr. 4 bis 6 BinnSchG genannten Forderungen gehört aber nicht der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch des Schiffsführers gegen den Schiffseigner. Vielmehr fällt dieser Anspruch, wie dargelegt, unter § 102 Nr. 2 BinnSchG. Danach ging das Schiffsgläubigerrecht des Beklagten der Schiffshypothek der Klägerin im Range vor.
An dieser Beurteilung ändert entgegen der Ansicht der Revision nichts, daß die Schadenersatzforderung, welche die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der §§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG - neben der Schadenersatzforderung gegen den Beklagten - gegenüber der Schuldnerin geltend machen kann, ihr nur ein Schiffsgläubigerrecht gemäß § 102 Nr. 5 BinnSchG gewährte, dieses somit der Schiffshypothek der Klägerin im Range nachstand. Allerdings ist es richtig, daß der durch Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung geschädigte Dritte den schlechteren Rang seines Schiffsgläubigerrechts gegenüber einer früher entstandenen Hypothek überspielen kann, indem er seinen Schadenersatzanspruch auch gegen das schuldige Besatzungsmitglied verfolgt. Denn letztlich kommt dabei ihm der bessere Rang zugute, den das diesem Mitglied aufgrund seines arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs zustehende Schiffsgläubigerrecht gegenüber der Schiffshypothek hat. Das kann aber nicht dazu führen, einem derartigen Schiffsgläubigerrecht lediglich noch den Rang eines solchen nach § 102 Nr. 5 BinnSchG zuzugestehen. Eine derartige Regelung würde einen unzulässigen Eingriff in die gesetzlich festgelegte Rangfolge von Schiffsgläubigerrecht und sonstigen Pfandrechten an einem Schiff darstellen. Sie kann nur durch den Gesetzgeber selbst geändert werden, wenn es auch zutreffen mag, daß der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch eines Besatzungsmitglieds bei Erlaß des Binnenschiffahrtsgesetzes noch unbekannt war. Jedenfalls fügt dieser sich zwanglos allein in die Vorschrift des § 102 Nr. 2 BinnSchG ein, deren sozialer Sicherungsgedanke nicht zu verkennen ist. Davon abgesehen erscheint es nicht gerechtfertigt, die Rechtstellung eines Besatzungsmitglieds gegenüber dem Schiffseigner allein deshalb zu verschlechtern, damit der darin liegende wirtschaftliche Vorteil nicht auch einem Dritten zugute kommt, zumal eine derartige Schlechterstellung die in der Regel nur in bescheidenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen lebenden Besatzungsmitglieder außerordentlich hart treffen kann, was mit den sozialen Erwägungen, die letztlich die Rechtsprechung bewogen haben, dem Arbeitnehmer einen Freistellungsanspruch bei Schäden aus einer gefahrbehafteten Tätigkeit zuzubilligen, nicht zu vereinbaren wäre. Überdies zeigen die Vorschriften des Seerechts (§ 776 HGB a. F.; § 761 HGB n. F.; vgl. auch Art. 5 Nr. 1 des Internationalen Obereinkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über Schiffsgläubigerrechte und Schiffshypotheken vom 27. Mai 1967), daß es trotz der großen Bedeutung der Schiffshypotheken für den Schiffskredit wirtschaftlich durchaus für tragbar angesehen wird, wenn ihnen sogar das infolge einer Kollision oder einer Anfahrung dem geschädigten Dritten zustehende Schiffsgläubigerrecht im Range vorgeht. Schließlich haben es die Hypothekengläubiger am besten in der Hand, sich vor dem damit verbundenen Nachteil versicherungsmäßig abzudecken oder abdecken zu lassen.
...“