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II ZR 43/60 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 29.03.1969
Aktenzeichen: II ZR 43/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Gegenstand der Verkehrssicherungspflicht der Bundesrepublik auf dem Rhein ist nicht nur die auf Grund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung zu unterhaltende Fahrrinne, sondern das Fahrwasser, d. h. der nach dem jeweiligen Wasserstand für die durchgehende Schifffahrt bestimmte Teil des Stromes. Jedoch ist der Umfang der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der sonstigen Teile des Fahrwassers geringer als hinsichtlich der Fahrrinne.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 29. März 1962

(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Als Anhang eines rechtsrheinisch zu Berg fahrenden Schleppzuges erlitt der der Klägerin gehörende, beladene Kahn A (1453 t) bei einem Tiefgang von 2,23 m und 1,56 m Bonner Pegel in Höhe des Hotels Bellevue in Honnef (km 642,95) erhebliche Schäden durch Berührung mit einem Stein, der nach der Beweisaufnahme außerhalb der eigentlichen Fahrrinne im Gefahrenbereich des Drachenfelder Grundes gelegen hat.

Die Klägerin verlangt Schadenersatz mit der Behauptung, dass der Stein, der im Fahrwasser der durchgehenden Schifffahrt gelegen habe, entgegen der Verkehrssicherungspflicht der beklagten Bundesrepublik mangels ordnungsgemäßer und regelmäßiger Nachsuche nicht beseitigt oder gekennzeichnet gewesen sei. Um den Stein herum habe genügend Wasser (2,80 m u. mehr) gestanden. Der Kahn sei nach den üblichen Faustregeln richtig abgeladen gewesen. Die Fahrt auf der rechten Stromseite, die an dieser Stelle von der Bergfahrt zum überströmenden Wassers das Strombett ständigen Veränderungen unterwirft, ein ordnungsgemäßer Schiffsverkehr aber möglichst stabile und sichere Verhältnisse voraussetzt, muss durch Stromregulierung und Baggerung eine Fahrrinne von bestimmter Breite und Tiefe geschaffen und erhalten werden, die das Rückgrat des durchgehenden Schiffsverkehrs bildet.

Bei höherem Wasserstand kann der von der durchgehenden Schifffahrt nach nautischen Grundsätzen je nach dem Tiefgang des Fahrzeuges benutzbare und benutzte Teil des Stromes noch breiter sein. Hieraus ergibt sich der Begriff des Fahrwassers der durchgehenden Schifffahrt als der nach dem jeweiligen Wasserstand für die durchgehende Schifffahrt bestimmte Teil des Stromes (BGH VersR 1959, 662). Dieses Fahrwasser (und nicht nur die Fahrrinne) ist Gegenstand der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten. Dass darüber hinaus auch das Fahrwasser des rein örtlichen Verkehrs Gegenstand der Verkehrssicherungspflicht ist (jedoch nicht immer notwendig nur einer solchen der Beklagten), interessiert in diesem Zusammenhang nicht.

Die Beklagte bestimmt als Eigentümerin der Wasserstraße im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen (PrWG §§ 113 ff, Art. 28 der revidierten Mann-heimer Rheinschifffahrtsakte von 1868), in welchem Umfange der Schiffsverkehr auf dem Rhein eröffnet ist. Den natürlichen Veränderungen, denen das Strombett, insbesondere die Stromsohle, ständig unterworfen ist, muss die Beklagte nur für den Bereich der Fahrrinne, dagegen grundsätzlich nicht für den übrigen Bereich des Fahrwassers entgegentreten. Daher ist das Maß der Sorgfalt, die die Beklagte anzuwenden hat, um ihrer Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der durchgehenden Schifffahrt zu genügen, entgegen der Ansicht der Revision verschieden, je nachdem, ob es sich um die Fahrrinne oder um die sonstigen Teile des Stromes handelt. Da die Beklagte es auf dem hier in Betracht kommenden Stromabschnitt übernommen hat, eine Fahrrinne von 150 m Breite und 2,10 m Tiefe zu erhalten, muss sie turnusmäßig den Zustand der Fahrrinne prüfen und je nach dem Ergebnis dieser Prüfungen das Strombett ausbaggern oder Hindernisse beseitigen oder, solange eine Beseitigung nicht möglich ist, kennzeichnen.

Was dagegen das übrige Fahrwasser außerhalb der ausgebauten Fahrrinne anlangt, ist sie zu solchen regelmäßigen Prüfungen nicht verpflichtet; ihre Pflicht beschränkt sich in der Regel darauf, Hindernisse, die entstehen, sei es natürliche (z. B. ein Stein, der aus irgendwelchen Gründen in dieses Fahrwasser gelangt ist) oder künstliche (z. B. Wrack, verlorene Anker), zu kennzeichnen, sobald sie bekanntwerden. Sie kann insbesondere durch das Verhalten der Schifffahrt nicht gezwungen werden, die Fahrrinne zu verbreitern oder noch mehr zu vertiefen (vgl. RG HRR 1933 Nr. 1844). Wenn die Schifffahrt „riskante" Kurse fährt, die mit der nautischen Pflicht eines sorgfältigen Schiffers nicht zu vereinbaren sind, ist die Beklagte auch im Zeichen des zunehmenden Verkehrs nicht gezwungen, dem Rechnung zu tragen; ein Schifffahrtsbrauch, der den Grundsatz, Sicherheit geht vor Schnelligkeit, missachtet, stellt sich als Missbrauch dar und braucht keine Maßnahmen der Beklagten im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht auszulösen.

Zwar lässt sich das mit den Stromverhältnissen für die Schifffahrt verbundene Risiko auch innerhalb der Fahrrinne bei Anwendung der für die Verkehrssicherheit erforderlichen Sorgfalt nicht völlig vermeiden (z. B. bei nicht vorhersehbaren und nicht erkennbaren, neu entstehenden Hindernissen). Außerhalb der ausgebauten Fahrrinne ist aber dieses Risiko schon deshalb größer, weil hier die Schifffahrt nicht ohne weiteres mit einer Mindesttiefe, die jeweils dem Wasserstand entspricht, rechnen kann. Sie muss sich hier auf die in vielen Jahrzehnten in der Rheinschifffahrt gewonnenen Erfahrungen stützen und bei der Frage des Tiefganges einen erheblichen Sicherheitsfaktor einrechnen, da ständigen Veränderungen unterliegende Unebenheiten des Strombettes naturgegeben sind. Eine ganz besondere Gefahr bilden Geröllfelder und ihre Umgebung schon für flachgehende Fahrzeuge, erst recht für tief abgeladene Kähne und Motorgüterschiffe. Ein sorgfältiger Schiffer wird daher in der Regel solche Stromstellen meiden oder jedenfalls nur mit großer Vorsicht befahren.

Das Berufungsgericht will für den Bereich des „normalen" Fahrwassers bei mittleren Wasserständen auch außerhalb der ausgebauten Fahrrinne eine höhere Sorgfaltspflicht der Beklagten annehmen. Dieser Auffassung, die auch eine nähere Abgrenzung der hier angeblich bestehenden höheren Pflicht zur Sorgfalt vermissenläßt, kann der Senat aus den angegebenen Gründen nicht beitreten. Dass der Stein außerhalb der Fahrrinne lag, hat die Revision selbst nicht in Zweifel gezogen. Dann konnte aber am Unfalltag die Unfallstelle nicht zu dem Fahrwasserbereich für den 2,23 m abgeladenen Kahn der Klägerin gehören, da es sich bei dem Stein nicht um ein neu aufgetauchtes Hindernis handelt, sondern um eine seit langer Zeit bestehende Unebenheit im Gefahrenbereich des Drachenfelser Grundes. Dass der Kahn außerhalb der Fahrrinne auf Grund gekommen ist, zeigt gerade, dass er sich unter Berücksichtigung des damaligen Wasserstandes außerhalb des für ihn maßgebenden Fahrwassers bewegt hat. Die Tatsache, dass seit fast 30 Jahren der Unfall der erste an dieser Stelle ist, beweist, dass es nicht üblich war, dass bei einem solchen Wasserstand so tief abgeladene Schiffe dort fahren. Aus dieser Tatsache ergibt sich auch, dass bisher kein Anlass bestanden hat, die Grenze der Fahrrinne zu kennzeichnen oder etwa andere Maßnahmen zu ergreifen.