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II ZR 40/64 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 17.02.1966
Aktenzeichen: II ZR 40/64
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 49 Nr. 1 RhSchPVO
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) § 49 Nr. 1 RhSchPVO stellt hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Stromüberquerung keine anderen Voraussetzungen auf als hinsichtlich des Wendens zu Tal (§ 47 Nr. 1 RhSchPVO).

2) Der Bergfahrer darf seinen Kurs, dessen Beibehaltung jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschliefst, gegenüber einem wendenden Schiff nicht in einer Weise ändern, daß beim späteren Begegnen die Gefahr eines Zusammenstoßes gegeben ist.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 17. Februar 1966

II ZR 40/64

(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende MS E wendete unterhalb des Weißenthurmer Werthes über Steuerbord in großem Bogen nach dem linksrheinischen Ufer hin zu Tal. Es zeigte dabei ebenso wie das rechtsrheinisch zu Berg herankommende, der Beklagten zu 1 und vom Beklagten zu 2 geführte MS R die blaue Seitenflagge. In Höhe des Neuwieder Steigers der „Köln-Düsseldorfer" verlegte R seinen
Kurs nach Steuerbord zum linksrheinischen Ufer hin, wo das Schiff mit E zusammenstieß und beide Fahrzeuge beschädigt wurden. Zwischen den kollidierenden Schiffen und dem linken Ufer passierte unbeschädigt das zu Tal fahrende MS M. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage zur Hälfte, das Rheinschiffahrtsobergericht in vollem Umfang dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat festgestellt: Das an der unteren Werthspitze verhaltende MS E habe Wendesignal gegeben und mit dem Wenden begonnen, als R rund 600 m unterhalb in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers zu Berg gefahren sei. Als der Abstand zwischen den beiden Schiffen sich auf rund 400 m verringert habe, sei E bereits etwa quer im Strom gelegen und habe R in Höhe des Köln-Düsseldorfer Steigers plötzlich hart Steuerbordkurs zum linken Ufer genommen. Ohne die blaue Seitenflagge einzuziehen und die Geschwindigkeit zu verringern, habe R diesen Kurs „stur" beibehalten und dabei das linksrheinisch zu Tal fahrende MS M hart angehalten. Etwa 50 m vor dem Unfallort habe R gestoppt, anschließend zurückgeschlagen und die blaue Seitenflagge eingezogen. MS E, das ebenfalls die blaue Seitenflagge gesetzt habe, sei beim Zusammenstoß etwa zu 3/4 herumgewesen.
Aus seinen Feststellungen zieht das Berufungsgericht den Schlug, das Wendemanöver von E sei zulässig gewesen und nautisch richtig in einem großen Bogen ausgeführt worden. Dagegen habe MS R nautisch falsch gehandelt.
Die Ausführungen im angefochtenen Urteil halten allen Revisionsangriffen stand.
Die Revision hält das Wendemanöver von E deshalb für unzulässig, weil das MS M dadurch gezwungen worden sei, unvermittelt seine Geschwindigkeit zu erhöhen und seinen Kurs nach Backbord zu richten. Der Revisionsangriff bedarf keiner Erörterung, da es für den vorliegenden Rechtsstreit nur darauf ankommt, ob das Wenden zu Tal mit Rücksicht auf den Bergfahrer R zulässig war (§ 47 Nr. 1 RhSchPVO). Das hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum bejaht; es hat dabei nicht auf die Beweislast abgestellt. Eine etwaige Unzulässigkeit des Manövers im Verhältnis zu M hat den Bergfahrer R nicht berührt, sie wäre für den Unfall nicht ursächlich.
Soweit die Revision darauf hinweist, für ein in den in den fließenden Verkehr sich einschaltendes Fahrzeug ergebe sich eine besondere Sorgfaltspflicht des Abwartens, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Pflicht in § 47 Nr. 1 RhSchPVO geregelt ist.
Die Revision meint, E habe seinen Drehkreis über Gebühr ausgedehnt und damit eine unzulässige Querfahrt unternommen. Auch dieser Angriff vermag der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Auch wenn man davon ausgeht, E habe beim Wenden gleichzeitig eine Querfahrt ausgeführt, so war diese bei den vom Berufungsgericht festgestellten Abständen von 600, später 400 m, nach § 49 Nr. 1 RhSchPVO zulässig. Diese Vorschrift stellt hinsichtlich der Zulässigkeit der Stromüberquerung keine anderen Voraussetzungen auf als hinsichtlich des Wendens zu Tal (§ 47 Nr. 1 RhSchPVO).
Die Schiffsführung von E durfte darauf vertrauen, daß die Führung von R bei der klar übersichtlichen Lage im Revier ihren Steuerbordkurs abbrechen werde. In diesem Zusammenhang spielt auch die von R gesetzte blaue Flagge eine Rolle. Als MS E seine Querfahrt beendet hatte und zur Talfahrt übergegangen war, durfte und mußte es die Weisung des Bergfahrers R zur Begegnung an Steuerbord auf sich beziehen.
Die Führung von E ist auf jeden Fall dadurch entschuldigt, daß sie durch den falschen Steuerbordkurs des die blaue Flagge beibehaltenden R zum mindesten in die Ungewißheit versetzt worden war, ob R ihr an Steuerbord oder an Backbord begegnen wollte.
Mit Recht ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gekommen, die Schiffsführung von R habe allein den Zusammenstoß schuldhaft dadurch herbeigeführt, dass sie nicht ihren Kurs rechtsrheinisch beibehalten habe, sondern unter Einschlagung und Beibehaltung eines harten Steuerbordkurses in den Drehkreis von E hineingefahren sei. Schon von dem Augenblick an, als E Wendesignal gab, dann in dem Zeitraum, als E den Strom überquerte und erst recht von dem Zeitpunkt an, als E den Kopf talwärts richtete, durfte R nicht nach Steuerbord fahren und in den Drehkreis von E geraten, sondern mußte seinen bisherigen Kurs in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers beibehalten oder jedenfalls, nachdem es schon vorschriftswidrig Steuerbordkurs eingeschlagen hatte, den Kurs wieder nach Backbord richten. Denn das Gesetz (§§ 47 Nr. 1, 49 Nr. 1 RhSchPVO) verlangt, daß sich der Bergfahrer dem Kurs des wendenden oder quer fahrenden Schiffes in zumutbarer Weise anpaßt und zu diesem Zweck, falls geboten, in normaler Weise seine Geschwindigkeit vermindert und (oder) seinen Kurs ändert. Hier hätte nach der Feststellung des Berufungsgerichts R, um die Manöver von E zu ermöglichen, seinen Kurs überhaupt nicht zu ändern brauchen und höchstens seine Geschwindigkeit vermindern müssen. Das Gesetz (§ 37 Nr. 2 RhSchPOV) verbietet ferner dem Bergfahrer, seinen Kurs, dessen Beibehaltung jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließt, gegenüber dem wendenden Schiff in einer Weise zu ändern, die beim späteren Begegnen die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Auch gegen diese Vorschrift hat die Schiffsführung von R verstoßen; denn E fuhr bereits quer, als R noch rund 400 m entfernt war, hätte also bis zum Herankommen von R dessen rechtsrheinischen Kurs völlig freigefahren, während durch die in rd. 400 m Abstand vorgenommene Kursänderung des R die Gefahr des Zusammenstoßes herbeigeführt worden ist. Schließlich hat R im weiteren Verlauf, als E den Kopf bereits zu Tal gerichtet hatte und in Erwiderung des vom Bergfahrer gegebenen Sichtzeichens (§ 39 Nr. 2 RhSchPVO) weiter nach linksrheinisch fuhr, dem Verbot der Änderung des festgelegten Kurses (§ 37 Nr. 3, § 38 Nr. 1, 3 RhSchPVO) zuwidergehandelt, indem seine Schiffsführung entgegen der von ihr gegebenen, nunmehr auch für E (das inzwischen die Talfahrt aufgenommen hatte) geltenden Weisung zur Begegnung an Steuerbord den Kurs von R nach Steuerbord beibehalten hat."