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II ZR 37/71 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.03.1973
Aktenzeichen: II ZR 37/71
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Zu den Pflichten eines Schiffsführers bei der Einfahrt in eine Schleusenkammer.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 12. März 1973

II ZR 37/71

(Schiffahrtsgericht Mannheim; Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)


Zum Tatbestand:

Das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte Tankmotorschiff W fuhr zu Tal in die rechte Schleusenkammer der Schleuse Heidelberg mit einer Geschwindigkeit von etwa 2,5 bis 3 km/Std. Nachdem das Vorschiff das obere Schleusentor etwa 15 m passiert hatte, stoppte der Beklagte zu 2 die Maschine und steuerte sie auf rückwärts um. Bei diesem Manöver läßt die pneumatische Umsteuerungsanlage das Umlegen des Bedienungshebels von „Stop - Vorwärts" auf „Stop - Rückwärts" erst zu, wenn die Nockenwelle nicht mehr dreht. Durch ein rotes Licht am Fahrpult wird angezeigt, daß die Welle nun auf Rückwärtslauf steht. Beim Rückwärtsstart zwecks Unterstützung des Abstoppens mit einem Stoppdraht sprang die Maschine jedoch auf vorwärts an, was der Beklagte zu 2 zuerst nicht bemerkte. Weil er glaubte, daß der zunehmende Vorausgang auf nachschiebendes Wasser zurückzuführen sei, erhöhte er die Tourenzahl der Maschine auf „voll rückwärts". Die weitere Fahrtvermehrung veranlaßte ihn darauf, die Maschine zu stoppen. Beim nochmaligen Versuch zur Rückwärtsfahrt lief die Maschine wiederum vorwärts. Das Schiff konnte infolge der erhöhten Geschwindigkeit auch nicht mehr mit einem Stoppdraht ständig gemacht werden. Es stieß mit dem Steven gegen den linken Flügel des unteren Schleusentores und beschädigte es.
Die Klägerin verlangt Ersatz des an dem Schleusentor entstandenen Schadens von ca. 43500,- DM und behauptet, daß der Beklagte zu 2 die Anfahrung des Schleusentores dadurch verschuldet habe, daß er sich zum Abstoppen des Schiffes der Maschine bedient und deren Laufrichtung am Drehzahlanzeiger nicht kontrolliert habe. Der Matrose E. des unterbemannten Fahrzeuges habe außerdem das Vorschiff erst kurz vor dem zweitletzten Poller der Schleusenkammer verlassen, um diesen mit einem Stoppdraht zu belegen.
Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. Die Unterbemannung sei für den Unfall nicht ursächlich.
Der Klage wurde dem Grunde nach vom Schiffahrtsgericht in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Auch die Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Einfahrten in eine Schleusenanlage erfordern regelmäßig Manöver auf engstem Raume. Mißlingen sie, so kommt es nicht selten zur Anfahrung der Schleusenanlage, insbesondere der Schleusentore. Das kann nicht nur zu großen Schäden an der Schleusenanlage führen, sondern - bei einem Ausfall der Kammer - auch anderen Schiffahrttreibenden erhebliche Verluste verursachen. Mit Rücksicht auf diese Besonderheiten ist deshalb von der Führung eines Schiffes bei der Einfahrt in eine Schleusenkammer zu verlangen, daß sie die äußerste Sorgfalt walten läßt. Hierzu gehört auch, dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug durch Belegen der Poller oder der Haltekreuze der Kammer mit Tauen oder Trossen auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig anhalten kann (vgl. BGH, Urt. v. 5. 2. 1954 - 1 ZR 156/53 = VRS 7, 282 ff sowie § 6.28 Nr. 8 BinnSchSO 1971 und § 6.28 Nr. 4 MoselSchPolVO 1971). Denn nur dadurch trägt sie dem Umstand hinreichend Rechnung, daß technische Versager beim Umsteuern einer Schiffsmaschine nicht vollständig auszuschließen sind und es deshalb nicht immer ungefährlich ist, wenn das Abstoppen eines Fahrzeugs in einer Schleusenkammer den Einsatz der Maschine erfordert, zumal derartige Versager während der kurzen Zeitspanne der Einfahrt in eine Schleusenkammer oft nicht rechtzeitig zu beseitigen sind.
Maschinenversager gefährden hingegen die Schleusenanlage nicht, wenn der Schiffsführer die Maschine lediglich einsetzen will, um das Anhalten seines Fahrzeugs mit Hilfe eines Haltetaus oder eines Stoppdrahtes zu unterstützen. Denn sie machen es einem Schiffsführer nicht unmöglich, das Schiff trotzdem rechtzeitig zu stoppen. Das trifft selbst dann zu, wenn, wie hier, eine auf rückwärts umgesteuerte Maschine auf vorwärts anspringt. Denn diesen Fehler kann ein sorgsamer Schiffsführer alsbald am Schraubenwasser seines Fahrzeugs oder am Drehzahlanzeiger seiner Maschine oder am Vorausgang des Schiffes bemerken und eine ins Gewicht fallende Fahrterhöhung durch sofortiges Stoppen der Maschine verhindern. Dem Beklagten zu 2 kann deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er zunächst versucht hat, das Abstoppen des TMS W in der Schleusenkammer durch einen Stoppdraht mit Hilfe eines Rückwärtsmanövers der Maschine zu unterstützen.
Jedenfalls ist dem Beklagten zu 2, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, der Vorwurf zu machen, daß er die Tourenzahl seiner Maschine auf „voll rückwärts", d. h. auf 750 Umdrehungen in der Minute erhöhte, ohne sich zuvor vergewissert zu haben, wieso der Vorausgang des TMS W sich nicht verminderte, sondern anfing zuzunehmen, obwohl der Beklagte zu 2 die Maschine auf rückwärts gestartet hatte. Dabei ist es nicht so, und insoweit mißversteht die Revision das angefochtene Urteil, daß der Beklagte zu 2 die Maschine nach dem Anspringen mit der niedrigsten Tourenzahl laufen ließ. Vielmehr erhöhte er diese auf 350-400 Umdrehungen in der Minute. Das hat er bei seiner unmittelbar nach der Anfahrung des Schleusentores erfolgten Vernehmung durch die Wasserschutzpolizei ausdrücklich angegeben.
Auch wenn der Beklagte zu 2, wie zu seinen Gunsten angenommen werden kann, wegen des Aufleuchtens der roten Kontrolllampe zunächst nicht mit einem Anspringen der Maschine auf vorwärts zu rechnen brauchte, so hätte er sich über deren Lauf jedenfalls dann unterrichten müssen, als die von ihm erwartete Wirkung des Rückwärtsmanövers ausblieb. Das wäre für ihn ein Leichtes gewesen, da er bei einer bis dahin erreichten Umdrehungszahl von 350-400 in der Minute durch einen Blick auf den Drehzahlanzeiger ohne weiteres hätte erkennen können, daß die Maschine vorwärts und nicht, wie die rote Kontrollampe anzeigte, rückwärts lief. Das macht auch seine weitere Angabe vor der Wasserschutzpolizei deutlich, er habe beim erneuten Starten der Maschine am Drehzahlanzeiger bemerkt, daß sie wieder auf vorwärts angesprungen war. Wenn er sich stattdessen bei dem Gedanken beruhigte, die Fahrtvermehrung sei wohl die Folge von nachschiebendem Wasser, und ohne vorherigen Blick auf den Drehzahlanzeiger mit der Maschine auf volle Kraft ging, so genügte er damit nicht mehr den Anforderungen, die an die Sorgfaltspflicht eines Schiffsführers bei der Einfahrt in eine Schleusenkammer zu stellen sind.
Die Beklagten haben nicht in Abrede gestellt, daß der Matrose E. in der Lage gewesen wäre, TMS W mit einem Stoppdraht rechtzeitig anzuhalten, wenn der Beklagte zu 2 in dem Zeitpunkt, in welchem er die Tourenzahl auf „voll rückwärts" erhöhte, die Maschine gestoppt hätte. Deshalb bedarf die Frage des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Fehlverhalten des Beklagten zu 2 und der Anfahrung des Schleusentores, die das Berufungsgericht bejaht hat, keiner näheren Erörterung.