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Leitsatz:
Zur Frage des richtigen Nachsteuerns von Anhangkähnen. Haftung für Schäden, die durch das Losturnen am festgefahrenen Schiff entstehen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 18. Februar 1965
(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, als Ausrüsterin verschiedener einem Bergschleppzug angehörenden Schiffe, und zwar des Schleppers J und der Kähne W und B auf 1. und 3. Länge, verlangt Ersatz von Schäden, die dem Kahn B beim Übergang vom elsässischen zum badischen Ufer bei Rh-km 331 - nach der Behauptung der Klägerin durch das Verschulden des der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten, auf 2. Länge im gleichen Schleppzug fahrenden Kahnes M - entstanden sind. An der Unfallstelle war der Kahn der Beklagten etwa 10 m nach Backbord ausgeschert und hatte trotz Aufforderung des Schleppbootes, wieder in die Schleppzuglinie einzuscheren, einen weiteren erheblichen Hauer nach Backbord gemacht. Da er Gefahr lief, auf die badischen Kribben zu kommen, verlangsamte das Schleppboot seine Fahrt, wodurch M wieder klar kam. Dagegen ging B trotz ausgedrehten Steuerbordruders vierkant nach Backbord und lief mit dem Hinterschiff auf dem badischen Ufer auf Grund. Nach vergeblichen Turnversuchen wurde B geleichtert und dann vom Boot der Klägerin freigezogen.
Die Klage wurde in allen 3 Instanzen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht führt aus:
Der Kahn M habe den Übergang vom elsässischen zum badischen Ufer zu früh begonnen. Dadurch sei er um etwa 10 m nach Backbord aus der Schleppzuglinie ausgeschert. Auf eine zu hohe Geschwindigkeit des Schleppbootes sei das Ausscheren nicht zurückzuführen; die Geschwindigkeit des Schleppzuges sei normal gewesen, weil eine höhere Geschwindigkeit als 5 km/h nicht bewiesen sei. Im Zuge dieses ersten Ausscherens habe sich alsbald der Strang, der vom Boot zu B führte und auf M gebrittelt gewesen sei, im Ruder von M verfangen. Hierdurch sei im Zusammenhang mit der Tatsache, daß auf B das Ruder nach Steuerbord gedreht worden war, B durch das Ausscheren von M vierkant, d. h. mit der Breitseite, zum badischen Ufer versetzt worden. Die Annahme des Obergutachtens der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau, Kahn B habe freiwillig den Schleppkurs verlassen und sei dem Kurs von M gefolgt, sei mit dem Beweisergebnis nicht zu vereinbaren. Durch das Versetzen des Kahnes B nach rechtsrheinisch sei dieser Kahn aus dem Schleppkurs ins Flachwasser und in den Neerstrom gekommen, so daß er auf das Ruder nicht mehr reagiert habe. Nach dem ersten Ausscheren und dem vom Boot gegebenen Glockenzeichen habe der Kahn M einen Hauer nach Backbord gemacht und sei dadurch um mindestens weitere 40 m nach rechtsrheinisch gekommen. Dann sei es ihm zwar gelungen, sich aufzustrecken. Dabei sei aber der Schleppstrang zu B am Hinterschiff auf M angelegen. Hierdurch sei, wie auch das Obergutachten annehme, B weiter nach Backbord versetzt worden und auf den Grund gelaufen. Die Ausscherbewegung des Kahnes M sei dadurch begünstigt worden, dag das Ruder dieses Kahnes zunächst nur von einem Mann bedient worden sei. Ein Mitverschulden der Führung des Kahnes B liege nicht vor.
Die Angriffe der Revision können ihr nicht zum Erfolg verhelfen.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, M habe nach dem ersten Ausscheren einen Hauer von mindestens 40 m nach Backbord gemacht. Ohne Rechtsfehler ist es in Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht zu der Auffassung gekommen, daß der Hauer nicht durch zu große Geschwindigkeit des Bootes, die höchstens 5 km/h betragen habe, herbeigeführt worden sei.
Es ist auch außer Streit, daß der Hauer nicht durch die Führung des Kahnes B schuldhaft verursacht worden ist. Selbst wenn der Hauer durch Verfangen des Stranges im Ruder von M herbeigeführt worden sein sollte - was möglich ist, wenn B durch hart Steuerbordruder im Schleppzugkurs verblieben ist -, so würde dies ausschließlich den Beklagten zur Last fallen, da der Strang nur bei vorherigem Ausscheren von M nach Backbord sich verfangen haben könnte. Da ein Verschulden anderer Fahrzeuge demnach ausscheidet, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß es zu dem Hauer durch fehlerhafte nautische Maßnahmen der Führung von M gekommen ist. Solche fehlerhaften Maßnahmen hat hier das Berufungsgericht sogar festgestellt: Der Kahn M hat zu früh den Übergang begonnen; sein Ruder wurde nur von einem Manne bedient.
Die Rüge der Revision, im angefochtenen Urteil sei nicht beachtet, bei einem Hauer nach Backbord gehe das Hinterschiff nach Steuerbord und könne den am Hinterschiff anliegenden Strang zum Nachmann nicht nach Backbord mitnehmen, geht an der Sache vorbei. Nicht der Hauer, sondern die durch den Hauer veranlagte und danach erfolgende Aufstreckbewegung von M hat B auf den Grund gezogen; das ergibt sich aus dem Naturgesetz - dessen Nichtbeachtung die Revision rügt -, daß beim Aufstrecken des nach Backbord verfallenen Schiffes das Hinterschiff nach Backbord geht.
Nur dann, wenn festgestellt oder nach der Lebenserfahrung wenigstens damit zu rechnen wäre, dass B auch ohne den Hauer von M auf Grund gelaufen wäre, könnte die Frage aufgeworfen werden, ob der Hauer als Ursache für das Auflaufen von B ausscheidet (vgl. BGH VersR 1958, 858). Davon kann aber keine Rede sein. Für die Meinung der Revision, das freiwillige Verlassen des Schleppzugkurses durch B sei die alleinige Ursache des Auflaufens, fehlt es an jedem tatsächlichen Anhaltspunkt.
Da, wie ausgeführt, zum mindesten nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises der Hauer auf schuldhaft fehlerhafte nautische Maßnahmen der Schiffsführung von M zurückzuführen ist, ist die Schadensersatzpflicht der Beklagten gegeben.
Ein ursächliches Mitverschulden der Schiffsführung des Kahnes B könnte vorliegen, wenn sie den Kurs des Schleppzuges - ebenso wie der Kahn M - zu früh freiwillig verlassen hätte, ferner weil sie, als M den Hauer machte, nicht ihren Strang losgeworfen und Anker gesetzt hatte.
Das Berufungsgericht hat aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt, daß der Kahn B seinen Kurs im Schleppzug nicht freiwillig verlassen habe. Das wird zwar von der Revision angegriffen.
Die Beklagten müssen aber entgegen der Ansicht der Revision den vollen Beweis für ihre von der Klägerin bestrittene Behauptung erbringen. Davon kann unter den gegebenen Umständen keine Rede sein.
Zu dem Vorbringen der Beklagten, auf Kahn B hätte als letzte Maßnahme der Strang losgemacht und Anker gesetzt werden müssen, hat das Berufungsgericht in näheren Ausführungen festgestellt, daß diese Maßnahmen in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit nicht durchzuführen gewesen wären.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagten hätten auch für einen Schaden aufzukommen, der durch das Losturnen des festgefahrenen Kahnes B eingetreten sei.
Auch insoweit könnte es sich nur um die Frage des Mitverschuldens des losturnenden Bootes J handeln, für das die Klägerin nach §§ 3, 92 BSchG, §§ 736, 738 HGB, § 254 BGB einzutreten hätte. Denn die ursächliche Wirkung des schuldhaften Verhaltens der Führung des Kahnes M wird nicht dadurch beseitigt, daß durch dazwischen liegende Handlungen des turnenden Bootes eine weitere Schadensursache gesetzt wird, da erfahrungsgemäß Turnmanöver zu Schäden führen (BGH VersR 1958, 122, 124 a.E.). Etwas anderes könnte nur gelten, wenn dem turnenden Boot ein so grober Verstoß gegen die nautische Sorgfaltspflicht zur Last zu legen wäre, daß mit ihm nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen wäre. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein."