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Leitsätze:
1) Zum Umfang der Haftpflicht aus übernommenen Schleppleistungen.
2) Wer sich auf einem abgeschleppten Kasko eigenmächtig in die Manöver der vorgespannten Schlepper einschaltet und eine andere als die ihm übertragene Tätigkeit übernimmt, die mit dem Aufgabenkreis in keinem inneren Zusammenhang steht, handelt nicht „in Ausführung der Verrichtungen" im Sinne des § 831 BGB.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. November 1969
II ZR 36/68
(Oberlandesgericht Oldenburg)
Zum Tatbestand:
Nach einer zwischen der beklagten Werft (Beklagte zu 1) und der Bundesmarine getroffenen Vereinbarung wurden Verholmanöver, die bei der Reparatur oder dem Umbau von Schiffen der Bundesmarine in Wilhelmshaven nötig wurden (z. B. Verlegung an einen anderen Kai), von Schleppern der Bundesmarine unentgeltlich ausgeführt. Demgemäß hatte der Beklagte zu 2, als Schiffsbauobermeister bei der Beklagten zu 1, 2 Schlepper angefordert und den Schiffsführern der Schlepper nach ihrem Eintreffen bei der Werft mitgeteilt, daß ein Werkstattschiff der Bundesmarine, dessen Motor und Ruderanlage ausgebaut waren, zum Ausrüstungskai gebracht und dabei gedreht werden solle, so daß die Steuerbordseite des Schiffes an den Kai kam. Der eine Schlepper nahm das Schiff am Bug, der andere am Heck; sie zogen das Schiff zum Tonnenhafen und drehten es. Die Schleppzugführer konnten sich beim Drehen nicht sehen, weil ihnen das Schiff die Sicht nahm. Sie hatten nur Sprechverbindung mit dem auf dem Schiff befindlichen, vom Beklagten zu 2 dort postierten Taklerkommando. Auf Zuruf brachen die Schlepper das Manöver auch ab, als sich der Steven des Schiffes einem auf der Nordseite des Hafens stehenden Portalkran der Klägerin näherte; sie konnten aber die Berührung mit dem Kran nicht mehr verhindern, der beschädigt wurde.
Der Kläger verlangt Ersatz seines Schadens von ca. 87 000,- DM. Nach seiner Meinung ist der Schaden dadurch entstanden, daß der Beklagte zu 1 nicht dafür gesorgt habe, daß ein entsprechend ausgebildeter Verholoder Bugsiermeister oder ein Patentinhaber die Leitung des Drehmanövers vom Schiff aus übernahm. Der Beklagte zu 2 habe das Verholen und Drehen dem nautisch nicht vorgebildeten Takler M. überlassen.
Die Beklagten haben u. a. geltend gemacht, daß die Leitung des Manövers den Schleppführern in eigener Verantwortung obgelegen habe. Die Taklermannschaft habe nur den Auftrag gehabt, die Leinen des Schiffes wahrzunehmen; sie habe nicht die Leitung des Manövers übernommen und keine Kommandos gegeben.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht verweist mit Recht darauf, daß die Werft Bau- und Reparaturaufträge am Schiff ausführen, aber nicht nautische Leistungen erbringen sollte. Diese waren, wenn sie bei Gelegenheit der Werftarbeiten nötig wurden, zur Ersparung der Kosten für die Schleppkraft und evtl. einen Hafenlotsen vertraglich von der Bundesmarine zu erbringen, die über das nötige Personal und die Schlepper verfügte. Die Verholung war mithin eine im Werkvertrag übernommene, ausschließlich von ihr vorzunehmende Leistung der Bestellerin, mit der sie zur Herstellung des Werkes beizutragen hatte. Der vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen über Frachtverträge beim Schleppen oder Gefälligkeitsverträge sowie über die nautische Leitung bei Beteiligung mehrerer Schlepper bedarf es zur rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts nicht. Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, traf die Bundesmarine, die durch die von ihr eingesetzten Schlepper die Gefahrenquelle für die Hafenanlagen schuf. Die Führer der Schlepper hatten das von der Werft gewünschte Verholen in eigener Verantwortung ohne Leitung und Beaufsichtigung durch die Werft durchzuführen und dabei die nautischen Regeln zu beachten. Sie waren daher auch nicht von der Werft zu einer Verrichtung im Sinne des § 831 BGB bestellt.
Dem Berufungsgericht ist daher zuzustimmen, wenn es ausführt, es sei Aufgabe lediglich der Schlepperführer gewesen, zu prüfen, ob die Durchführung des Drehmanövers die Mitwirkung eines Bugsiermeisters auf dem zu schleppenden Schiff als Leiter des gesamten Vorganges erforderte oder ob sie allein, z. B. weil sie Leute vom Schlepper auf das Schiff schickten, imstande waren, das Manöver sachgemäß durchzuführen.
Eine Rechtspflicht auf Grund der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, für die Oberleitung des Manövers zu sorgen, traf die Beklagten nach dem festgestellten Sachverhalt nicht. Somit bedeutet es auch kein „Organisationsverschulden", wenn die Beklagte zu 1 nicht eine allgemeine Anordnung erließ, daß zum Drehen größerer Schiffe durch die Schlepper der Bundesmarine gleich Bugsiermeister angefordert werden müßten und die Manöver erst eingeleitet werden dürften, wenn sie zur Stelle seien.
Auch eine Haftung der Beklagten für das Taklerkommando nach § 831 BGB ist nach den getroffenen Feststellungen zu verneinen. Die Takler waren nur eingesetzt, um die Leinen des geschleppten Schiffes wahrzunehmen. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, die Beklagten hätten gewußt und zugelassen, daß sich die Takler bei Verholmanöver durch Kommandos und Zeichen leitend einschalteten und daß ihre Weisungen dann von den Schleppern befolgt wurden. Mischten sich die Takler eigenmächtig in die Schleppmanöver ein, so war die Beklagte zu 1 hierfür nicht nach § 831 BGB haftbar. Denn damit überschritten die Takler nicht nur die Grenzen ihres Auftrages, sondern übernahmen eine ganz andere Tätigkeit als die ihnen aufgetragene, die mit ihrem Aufgabenkreis nach Zweck und Art in keinem inneren Zusammenhang mehr stand (BGH VersR 1963, 1077). Festmacher, die Drehmanöver eines großen Schiffes im Hafenbecken kommandieren, handeln nicht mehr „in Ausführung ihrer Verrichtungen". Derartige Maßnahmen, die nautisch vorgebildeten Personen vorbehalten sind, können nicht den Auftraggebern der Festmacher im Rahmen des § 831 BGB zugerechnet werden."