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II ZR 3/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 09.07.1964
Aktenzeichen: II ZR 3/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

A. Trotz Einverständnisses der Parteien darf sich das Gericht nicht über die nach § 304 Abs. 1 ZPO notwendige Voraussetzung hinwegsetzen, daß das Zwischenurteil nur ergehen darf, wenn die Streitpunkte, die zum Grund des Anspruchs gehören, geklärt sind. Zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 9. Juli 1964

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar / Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Am B. 11. 1956 trat nach 16.00 Uhr im Bereich des Binger Lochs und im Aßmannshäuser Revier plötzlich so starker Nebel auf, daß jede Orientierungsmöglichkeit für die zahlreichen im dortigen Revier befindlichen Schiffe verloren ging. Das der Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte Motorschiff „A" geriet nach einer Kollision mit einem anderen Motorschiff linksrheinisch auf 3rund. Mit Hilfe erheblicher Maschinenmanöver war es zwar freigekommen, aber ohne Orientierungsmöglichkeit in Zwerchlage in den Strom geschossen und, mit dem Steven voraus, gegen einen rechtsrheinisch ankernden Kahn „B" gestoßen, der an der Seite aufgerissen wurde, ins Treiben kam, dabei gegen die Backbordseite des der Klägerin gehörenden Schlepp-Bootes „C" geriet und sodann vor dem Steven des beladenen Kahnes „D" sank, der sich auf 1. Länge im Anhang von „C" befand, ebenso wie Kahn „E" (2. Länge). „D" und „E" gehören gleichfalls der Klägerin. Nachdem Kahn „B" vor „D" gesunken war, geriet Kahn „E" mit dem neben ihm gemeerten MS „F" ins Treiben. Beide Schiffe schwoiten herum, stießen mit ihren Vorderschiffen gegen das Backbordvorderschiff des als dritter Anhang im Schlepp eines weiteren Schleppzuges „G" befindlichen Kahnes „H" und kamen auf dem Clemensgrund fest. MS „A" war selbst auch noch gegen den Bug des Bootes „C" gekommen, hatte aber an dessen Steuerbordseite beigehen können. Ebenso hatte Kahn „J", der wie „B" zum Anhang eines weiteren Schleppzuges „K" gehörte, nach der Kollision von „A" und „B" in treibendem Zustand neben „A" aufgehalten und durch einen Draht zu „C" festgehalten werden können.
Die Klägerin behauptet, daß der Beklagte zu 2 als Schiffsführer von „A" schuldhaft die Kollision mit „B" herbeigeführt und hierdurch alle nachfolgenden Schiffsunfälle ausgelöst habe. U. a. gehörten dazu nicht nur die geringfügigen, durch das Ankommen von „B" gegen „D" unmittelbar entstandenen Schäden in Höhe von ca. 200,- DM, sondern auch die hohen, durch das Auseinanderbrechen des Kahnes „D" bei der Entladung in Basel erwachsenen Schäden. Denn der Kopf von „D" sei im Neerwasser des gesunkenen Kahnes „B" ständig hin- und hergeworfen und infolge der dabei erlittenen Erschütterungen sei der Kahn „D" bei der Entladung auseinandergebrochen. Als weitere Folge zwischen „A" und „B" seien Strang und Kabelkette des Stockankers von „E" gerissen, wodurch „E" und „F" ins Treiben gekommen seien.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. In den nächsten Instanzen waren die Schäden am Boot „C" und am Kahn „D", soweit es sich beim letzteren nur um den geringeren Betrag von ca. 200,- DM handelte, nicht mehr im Streit, da das Grundurteil insoweit rechtskräftig geworden war. Die auf die restlichen Schäden an „D" (großer Schaden) und an „E" eingeschränkte Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Auf die Revision wurden die vorinstanzlichen Urteile zum Teil aufgehoben und die Sache an das Rheinschiffahrtsgericht zurückverwiesen, soweit es sich um den Schaden an „D" handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:

„A. Schäden an D'

Die Revision rügt die Verletzung des § 304 ZPO. Die Rüge ist begründet.
Die Klägerin hat mit der Klage einen Gesamtschadensersatzanspruch geltend gemacht, der sich aus Teilersatzansprüchen zusammensetzt, die je den Schaden an den einzelnen Fahrzeugen der Klägerin betreffen. Ein Grundurteil nach § 304 ZPO darf nur insoweit ergehen, als hinsichtlich jedes einzelnen Teilanspruches ein hinreichender Anhaltspunkt für einen erstattungsfähigen Schaden gegeben ist (RGZ 158, 34, 36; vgl. RGZ 103, 219, 220). Diese Voraussetzung lag hinsichtlich des an D' in der Berufungsinstanz noch im Streit befindlichen Schadens nicht vor.
Die Beklagten haben in ihrer Berufungsbegründung vorgetragen: Der hauptsächliche Schaden an D' bestehe darin, dat5 der Kahn bei der Entladung in Basel auseinander gebrochen sein soll. Wie die Schadenstaxe ergebe, habe der Kahn bei dem Unfall am Bug nur die geringen Schäden, die unter den Positionen 109-113 der Schadenstaxe aufgeführt seien, im Gesamtbetrag von 201 DM erlitten. Bei allen anderen Schäden handle es sich um solche, die auf das Brechen des Kahnes in Basel zurückzuführen seien. Das Auseinanderbrechen sei aber durch den Unfall nicht verursacht.
Im Berufungsverfahren war jedenfalls dadurch eine neue Sachlage eingetreten, als nunmehr nur noch über die Basler Schäden gestritten worden ist. Bei der Entscheidung über die Berufung hatte sich das Berufungsgericht nicht die Frage vorzulegen, ob das angefochtene Urteil richtig war. Vielmehr muhte es prüfen (§ 537 ZPO), ob der bei ihm nur noch, anhängige Anspruch hinsichtlich der Basler Schäden dem Grunde nach gerechtfertigt war, wobei der maßgebende Zeitpunkt der Schlug der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren war. Das das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob die allein noch im Streit befindlichen Schäden durch den Unfall verursacht worden sind, durfte ein Grundurteil nicht ergehen. Daran ändert nichts das Einverständnis der Parteien, über die Frage der Verursachung erst im Betragsverfahren zu entscheiden. Denn auch im Einverständnis mit den Parteien darf sich das Gericht nicht über die nach § 304 Abs. 1 ZPO notwendige Voraussetzung hinwegsetzen, daß das Zwischenurteil nur ergehen darf, wenn die Streitpunkte, die zum Grund des Anspruchs gehören (hier also die Verursachung), geklärt sind.
Das angefochtene Grundurteil mußte daher hinsichtlich des sich auf D' beziehenden und noch im, Streit befindlichen Klageanspruchs, mit dem der Betrag von 60459,45 DM geltend gemacht wird, aufgehoben werden. Um den Parteien keine Instanz zu nehmen, erschien es dem Senat entsprechend dem in § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken erforderlich, die Sache insoweit zur Verhandlung und Entscheidung an das Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen.

B. Schäden an E'

I. Das Berufungsgericht geht davon aus, darf der Beklagte zu 2 als Führer des MS A' schuldhaft die Kollision zwischen A' und B' verursacht habe. Das wird von der Revision nicht angegriffen. Außer Streit ist auch, daß nach dieser Kollision sowohl A' als auch der Kahn J' bei ihrem Ankommen durch Einsatz der Maschinen von C' aufgefangen worden sind, daß B' gegen C' ankam und sodann auf den Ankerketten von D' gesunken ist, so daß am nächsten Tag die steil ins Wasser stehenden Ketten von ,D' abgebrannt werden mußten. Von der Revision werden auch die Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht angegriffen, daß die Kabelkette des Stockankers von E' gebrochen und daraufhin E' mit dem angemeerten F' sofort ins Treiben geraten ist. Die beiden abtreibenden Schiffe sind nach der von den Beklagten nicht bestrittenen Behauptung der Klägerin gegen den, Kahn H' angefallen, ,E' ist, immer noch F' auf Seite, mit seinem. Achterschiff auf dem Clemensgrund festgekommen.
Die Klägerin behauptet, die Kausalkette zwischen der Kollision von A' mit B' und J' und der Beschädigung von ,E' sei geschlossen. Die Beklagten behaupten, ein Glied dieser Kette fehle, nämlich der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Auffangen von A' und J' durch C' sowie dem Sinken von B' vor D' einerseits und dem Bruch der Kabelkette des Stockankers von E' andererseits. Im angefochtenen Urteil ist dieser ursächliche Zusammenhang bejaht. Dagegen richtet sich der Hauptangriff der Revision.


II. Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe die Beweislast verkannt; ein Anscheinsbeweis wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz komme der Klägerin schon deshalb nicht zugute, weil es hierbei für die Kausalität einen derartigen Anscheinsbeweis - im Gegensatz zum Verschulden - nicht gebe.
Die Rüge ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung hinsichtlich der Kausalität nicht auf die Beweislast abgestellt, es hat auch keinen Anscheinsbeweis herangezogen, sondern ist auf Grund der Beweisaufnahme zu der Oberzeugung gekommen, daß der ursächliche Zusammenhang gegeben ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall § 287 ZPO oder (etwa, weil die Klägerin als Eignerin von E' nicht wie der Eigner von ,B' unmittelbar von dem Kollisionsverschulden des Beklagten zu 2 betroffen ist, vgl. BGHZ 4, 192, 196 f; 29, 393, 398; BGH VersR 1964, 408) § 286 ZPO anzuwenden ist; denn auch die Vorschrift des § 286 ZPO wäre, wenn sie anzuwenden wäre, nicht verletzt.
Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, daß die Kabelkette des Stockankers von E' nach Vorausziehen und anschließendem Absacken dieses Kahnes gerissen und daß auch der Schleppstrang zu dem Kahn gebrochen ist. Auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhalts sieht es nur drei mögliche Ursachen, die zum Losreihen des Kahns geführt haben. Nach seiner Ansicht ist jede dieser möglichen Ursachen auf das fehlerhafte nautische Verhalten des beklagten Kapitäns zurückzuführen und daher das Losreihen des Kahns den Beklagten zuzurechnen. Die Auffassung des Berufungsgerichts ist denkgesetzlich einwandfrei. Auch ist der erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Kapitäns und der drei möglichen Ursachen rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Revision könnte das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen, wenn sie durch ihre Angriffe eine oder auch zwei Ursachen ausräumen würde. Ihre Angriffe mühten hinsichtlich aller drei Ursachen durchgreifen, wenn sie damit Erfolg haben wollte.
Die Revision wendet sich ferner dagegen, daß es keine anderen als diese drei möglichen Ursachen für das Losreihen gebe. Sie stützt sich dabei jedoch auf Vermutungen, für die die tatsächlichen Grundlagen fehlen. Die Revision vermag keinen Rechtsfehler aufzuzeigen, der die von der freien Überzeugung des Berufungsgerichts getragene Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs erschüttern könnte.
Während hinsichtlich des Verschuldens des Beklagten zu 2 an der Kollision mit ,B', die das erste Glied der Ursachenkette bildet, kein Streit mehr besteht, hält das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Schiffsführer von C' und E' nicht für bewiesen. Der ,C'-Zug habe seine Fahrt nicht zu lange fortgesetzt. Bei dem schnellen Einfallen des Nebels habe auch einem früheren weiteren Beigehen des ,C'-Zuges zum rechten Ufer der aus vier Einheiten bestehende ,L'-Zug im Weg gestanden. Für eine etwaige Talfahrt sei noch fast 100 m Raum geblieben. Nach dem Ankern wäre ein weiteres Beigehen zum rechten Ufer nur in der Weise möglich gewesen, daß sich der Schleppzug aufgelöst und die einzelnen Fahrzeuge getrennt mehr nach rechtsrheinisch begeben hätten. Das sei weder üblich noch zweckmäßig, sondern sogar gefährlich.
Was die Revision hiergegen vorbringt, bewegt sich im wesentlichen auf dem ihr verschlossenen Gebiet der Beweiswürdigung. Ohne Rechtsfehler hält es das Berufungsgericht weder für bewiesen, daß der ,C'-Zug nicht rechtzeitig angehalten habe (§ 80 Nr. 3 RhSchPVO) noch daß er seiner Pflicht, das Fahrwasser so weit wie möglich freizumachen (§ 80 Nr. 4 RhSchPVO), nicht nachgekommen sei. Da der Schleppzug durch seine Lage an der äußeren Seite seiner Fahrwasserhälfte keine wesentliche Gefährdung einer etwaigen Talfahrt darstellte, war es nautisch nicht fehlerhaft, wenn unter den vorliegenden Umständen von einem Loswerfen des Anhanges E' und seinem weiteren getrennten Beigehen zum rechten Ufer abgesehen worden ist.
Die Revision meint, der Schiffsführung von E' sei das (angeblich) fehlerhafte Verhalten der Führung von F' anzurechnen, da diese Fehler bei ordnungsmäßger Beobachtung auf E' nicht hätten unerkannt bleiben können. Diese Rüge läßt nicht erkennen, auf welchen Vortrag der Beklagten sich die Revision bei dieser Frage des Anrechnens stützt. Der Senat hat daher keinen Anlaß, auf die Rüge einzugehen. Daß dem Führer von E' nicht vorgeworfen werden kann, er habe das Wiederfestmachen von F' an seinem Schiff nicht gestatten dürfen, hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen; im übrigen war, wie aus geführt, das Wiederfestmachen für das Abtreiben nicht ursächlich.

Hiernach war die Revision hinsichtlich der Schäden am Kahn E' als unbegründet zurückzuweisen."