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II ZR 32/71 - Bundesgerichtshof (Zivilgericht)
Entscheidungsdatum: 22.06.1972
Aktenzeichen: II ZR 32/71
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Zivilgericht

Leitsätze:

1) Der Versicherungsnehmer eines Schiffes kann unter Berufung auf eine positive Forderungsverletzung vom Versicherer Ersatz des Schadens verlangen, der infolge der unbegründeten Ablehnung der Leistungspflicht des Versicherers dadurch entstanden ist, daß der Versicherungsnehmer mangels eigener Mittel keinen Reparaturauftrag erteilen konnte und das Schiff im Laufe der Zeit reparaturunwürdig geworden ist.


2) Zu den Begriffen „Versicherungswert", „Anschaffungs-, Herstellungs-, Wiederbeschaffungswert" und anderen Wertbegriffen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 22. Juni 1972

II ZR 32/71

(Landgericht Kiel; Oberlandesgericht Schleswig)

Zum Tatbestand:

Der Kutter des Klägers war bei den Beklagten mit 75000,- DM kaskoversichert. Nach den vereinbarten DTV-Kaskoklauseln war u. a. der Anspruch auf Teilschadensersatz bedingt durch die Ausführung der Ausbesserung. Nachdem der Kutter gestrandet und gesunken war, wurde er auf Veranlassung der Beklagten gehoben, zur Werft geschleppt und dort aufgedockt. Im Auftrage der Beklagten wurde eine Schadenstaxe aufgestellt, die einen Teilschaden von ca. 23300,- DM ergab. Die Beklagten lehnten jedoch den Ersatz dieses Schadens ab, weil der Kläger vor dem Unfall einem nur vorübergehend an Bord befindlichen Matrosen das Ruder für etwa 4 Stunden allein überlassen hatte und das Schiff daher mangels ausreichender nautischer und örtlicher Kenntnisse nach dem Spruch des zuständigen Seeamts nicht gehörig bemannt gewesen war.

Der Kutter blieb ohne Reparatur auf der Werft, wurde später zu Wasser gelassen, ist aber etwa 2 Jahre nach dem Unfall reparaturunwürdig geworden. Der von den Beklagten gegen den Kläger erhobene Anspruch auf Erstattung der Bergungskosten von über 40000,- DM ist in einem Vorprozeß rechtskräftig abgewiesen worden. Dagegen wurde der Widerklage des Klägers auf Feststellung, daß die Beklagten für den durch die Strandung des Kutters eingetretenen Schaden einzutreten hätten, stattgegeben. Diese lehnten jedoch die Auszahlung des Teilschadenersatzes ab, weil der Kutter nicht repariert worden sei. Erst aufgrund des landgerichtlichen Urteils im vorliegenden Rechtsstreit zahlten sie den als erstattungsfähig berechneten Teilschadensbetrag von 15300,- DM an den Kläger. Der Kutter ist unrepariert geblieben.

Der Kläger macht geltend, daß die Beklagten durch die unberechtigte Ablehnung des Versicherungsschutzes verschuldet hätten, daß der Kutter nicht habe repariert werden können und wertlos geworden sei. Hätten sie die Verpflichtung zum Ersatz des Teilschadens anerkannt, würde er der Werft den Reparaturauftrag erteilt haben. Er verlangt nunmehr die Zahlung von 70000,- DM, abzüglich der geleisteten 15300,- DM.
Die Beklagten bestreiten ihre Verpflichtung, weil der Teilschaden erst nach vollzogener Reparatur zu ersetzen sei und sie sich deshalb nicht in Verzug befunden hätten. Als das erstinstanzliche Urteil im Vorprozeß ergangen sei, bis zu dessen Erlaß sie ihre Leistungsfreiheit hätten annehmen dürfen, sei der Kutter bereits reparaturunwürdig gewesen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat ihr nur in Höhe von etwa 43200,- DM entsprochen (einschl. der gezahlten 15300,- DM). Auf die Revision des Klägers ist dieses Urteil insoweit aufgehoben, als es die Klage abgewiesen hat. Die Sache ist zur anderweitigen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagten haben sich über ihre Verpflichtung zur Gewährung von Versicherungsschutz zunächst nicht geäußert und erst am 22. Juni 1961 nach dem Spruch des Seeamts die Leistung abgelehnt, weil das Schiff nicht gehörig bemannt gewesen sei. Der Kläger, der ebenfalls den Spruch abwarten wollte, hat daher nicht schuldhaft gezögert, die Reparatur zu beginnen. Für ihn war in seiner wirtschaftlich bedrängten Lage von wesentlicher Bedeutung, ob er der Werft gegenüber darauf verweisen konnte, ihm stehe Versicherungsschutz zu. Die Revision nimmt auch zu Unrecht an, der Kläger habe nur nach § 75 Abs. 5 ADS Ersatz des Teilschadens in Geld verlangen können, weil er die Kosten der Reparatur nicht habe aufbringen können. Der Kläger hat nicht erklärt, nicht aus. bessern zu wollen. Das Berufungsgericht stellt fest, er würde den Kutter instandgesetzt haben, wenn nicht die Beklagten ihre Haftung als Versicherer abgelehnt hätten. Er hatte, wie rechtskräftig feststeht, nach Maßgabe der Police Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die Strandung des Kutters entstanden ist Dieser war ihm gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 ADS und der Ausbesserungsklausel durch die Erstattung der zur Reparatur aufgewendeten Kosten zu gewähren. Der Kläger ist entgegen der Ansicht der Revision nicht gehindert, geltend zu machen, die Beklagten hätten ihm durch unbegründete Ablehnung des Versicherungsschutzes unmöglich gemacht, den Reparaturauftrag zu erteilen, Die Beklagten hatten zwar die Kosten der Reparatur erst nach derer Vornahme zu zahlen und auch keinen Vorschuß zu gewähren. Der Kläger, der auf eine baldige Entscheidung der Versicherer zur Frage ihrer Haftung drängte, hätte, wenn diese ihre Verpflichtung zur Erstattung der Reparaturkosten anerkannt hätten, diesen Anspruch an die Werft abtreten können.
Die Revision der Beklagten verkennt, daß es nicht um den Ersatz eines Schadens wegen Verzuges mit einer Geldleistung geht - eine solche war (abgesehen von dem erwähnten Vorschuß) nicht fällig -, sondern um den Schaden durch die unbegründete Ablehnung der Leistungspflicht durch die Versicherer. Diese ist ohne Rechtsirrtum vom Berufungsgericht als sog. positive Forderungsverletzung aufgefaßt worden (vgl. Proelss, VVG § 8 Anm. 6; RG JW 1937, 218; Celle, VersR 1952, 283; ferner RGZ 149, 403; BGH BB 1958, 54). Die Anerkennung der Pflicht zur Gewährung von Versicherungsschutz war hier von wesentlicher Bedeutung für den Versicherungsnehmer und die von ihm zu treffenden Maßnahmen zur Reparatur des Kutters, durch die sein Anspruch auf die Versicherungsleistung bedingt war.

Zu Unrecht bezweifelt die Revision, daß die Beklagten schuldhaft den Versicherungsschutz für den festgestellten, aber zunächst vom Versicherungsnehmer zu reparierenden Teilschaden nach ADS versagt haben. Es sind hier dieselben Grundsätze heranzuziehen, die für das Verschulden im Falle des Verzuges entwickelt worden sind (vgl. BGH VersR 1968, 148). Ein Tatsachenirrtum der Beklagten war nicht dargelegt. Sie kannten bei der Ablehnung den Sachverhalt, der vom Seeamt im einzelnen festgestellt worden war. In Frage stand nur die Bewertung der Tatsachen. Ein Rechtsirrtum der Beklagten, der die Ablehnung des Versicherungsschutzes als schuldlos erscheinen lassen könnte, ist ebenfalls vom Berufungsgericht zutreffend verneint worden. Die Beklagten haben sich für ihre Leistungsfreiheit „hauptsächlich" auf die Seeuntüchtigkeit des Kutters infolge nicht gehöriger Bemannung (§ 58 ADS) berufen. Daß ein Schiff nicht deshalb „nicht gehörig bemannt" ist, weil der an Bord befindliche geeignete Schiffsführer das Ruder einem ungeeigneten Matrosen überläßt, durfte von Seeversicherern nicht in Zweifel gezogen werden (vgl. z. B. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht Bd. II HGB § 513 Anm. 15: Sorge für gehörige Bemannung: Gegenstand der Fürsorge des Schiffers ist die für das betreffende Schiff erforderliche Zahl von Schiffsmannschaften).

Die Beklagten haben sich später darauf berufen, sie hätten den Versicherungsschutz verweigern dürfen, weil sie nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage zu der Überzeugung gelangt seien, der Kläger habe bei der Führung des Schiffs grob fahrlässig gehandelt (nautisches Verschulden; § 33 Abs. 1 Satz 2 ADS). Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß es darauf ankommt, ob die Beklagten bei verkehrsüblicher Sorgfalt mit einer abweichenden Beurteilung durch die Gerichte rechnen mußten (vgl. für die Seeversicherung BDH LM ADS Nr. 2). Es war also nicht entscheidend, ob sachkundige Personen zu dem Ergebnis gelangt waren, ein grobes nautisches Verschulden liege vor.
Die hierfür angetretenen Beweise brauchten nicht erhoben zu werden. Dem Spruch des Seeamts war nur zu entnehmen, daß man den Kläger „nicht von jeder Schuld an der Strandung seines Kutters freisprechen könne". Der Bundesbeauftragte hatte ein Mitverschulden des Klägers nicht für gegeben erachtet, weil dieser ausreichende Weisungen an den Matrosen gegeben habe. Ob die Gerichte bei dieser Sachlage auch nur eine einfache Fahrlässigkeit des Klägers annehmen würden, war ersichtlich zweifelhaft. Die Beklagten mußten bei Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt damit rechnen, daß sie im Rechtsstreit unterliegen könnten. Das Prozeßrisiko, das sie damit erkennbar eingingen, haben sie zu vertreten. Der Schaden des Klägers aus der vertragswidrigen Ablehnung des Versicherungsschutzes besteht darin, daß er den Kutter verloren hat, während er nach durchgeführter Reparatur, zu der die Beklagten 15300,- DM beizutragen gehabt hätten, wieder einen Kutter gehabt hätte, dessen Wert dem vor der Strandung entsprach.
Das Berufungsgericht nimmt an, daß der Kutter vor der Strandung einen Wert von 75000,- DM hatte. Die Angabe des Landgerichts im Tatbestand des Urteils, der Kutter habe vor der Strandung einen Wert von 101000,- DM gehabt, hält das Berufungsgericht nicht für maßgeblich, weil nach den Erklärungen der Beklagten über den Wert des Kutters der „Kasko-Versicherungs-Gleitwert" gemeint gewesen sei, der nicht mit dem hier bedeutsamen gemeinen Wert oder Verkehrswert gleichzusetzen sei. Hiernach kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Beklagten einen Wert des Kutters vor der Strandung von 101000,- DM zugestanden haben, wie die Revision des Klägers meint.
Das Berufungsgericht meint, dieser Wert sei nicht mit dem hier bedeutsamen gemeinen Wert oder Verkehrswert des Kutters gleichzusetzen. Das hätten die Beklagten zutreffend dargetan. Die Beklagten hatten geltend gemacht, es handele sich bei diesem Betrag um den „Versicherungswert", der in den seltensten Fällen dem Marktwert entspreche, sondern in der Regel weit über diesem liege. Der Verkehrswert des Kutters im unbeschädigten Zustand liege weiter unter 100000,- DM. Die Revision des Klägers rügt mit Grund, daß damit die vom Kläger als Beweis eines Vorstrandungswertes von 101000,- DM vorgelegte Werttaxe, die auf einer Besichtigung des Kutters auf der Werft beruht, keine genügende Würdigung erfahren hat. Die Taxe beruht offensichtlich auf der DTV-Teilhaftungsklausel, die der Police besonders beigefügt ist. Diese Klausel (vgl. Ritter/Abraham aaO Bd. II ADS § 70 Anm. 9; S. 864, 1275) sieht in Abweichung von § 70 Abs. 2 ADS (vgl. § 141 VVG) vor, daß nicht der taxmäßig festgesetzte Versicherungswert bei Beginn der Versicherung, sondern der besonders festgestellte Wert des Schiffes zur Zeit des Schadensereignisses für die Berechnung eines Teilschadens maßgeblich ist. Der Versicherer haftet nur im Verhältnis der Versicherungssumme zum Wert des Schiffes. Als solcher soll, wenn das Schiff unbeschädigt ist, der Wert im unbeschädigten Zustand vor dem Schadensereignis, wenn das Schiff beschädigt ist, sein Wert im beschädigten Zustand zuzüglich der Reparaturkosten gelten. Der Zweck der Klausel ist es, den jeweiligen wirklichen Wert des Schiffes bei der Berechnung eines Teilschaden-Ersatzes zur Geltung zu bringen und z. B. bei Wertsteigerungen, Preisänderungen, Währungsschwankungen den Versicherer nur im Verhältnis dieses Wertes zur Versicherungssumme haften zu lassen (vgl. Ritter/Abraham aaO S. 863). Hier hat eine Schätzung des Schiffswertes im „Gesundheitszustand" vor dem Schadensereignis stattgefunden und einen Betrag von 101000,- DM ergeben. Es bedürfte einer Erörterung, nach welchen Gesichtspunkten diese Schätzung vorgenommen worden ist und aus welchem Grunde der Betrag nicht dem Wert des unbeschädigten Kutters entsprechen soll. Als solcher ist für die Seeversicherung grundsätzlich der Anschaffungs- oder der Herstellungswert unter Abzug eines dem Unterschied zwischen neu und alt entsprechenden Betrages anzusehen (Ritter/ Abraham aaO Bd. II § 70 ADS Anm. 2). Die Versicherung ist nicht zum Wiederbeschaffungs- oder zum Neubauwert genommen worden. Die Taxe diente, soweit ersichtlich, zur Feststellung des wahren Wertes des Schiffes zur Zeit des Versicherungsfalles, um die DTV-Teilhaftungsklausel anwenden zu können. Demgemäß haben die Beklagten im ersten Rechtszug einen Vorstrandungswert des Kutters von 101000,- DM angegeben und die entsprechende Berechnung des Teilschaden-Ersatzes vorgenommen.
Die Werttaxe ist hiernach nicht erschöpfend vom Berufungsgericht erörtert und auf ihren Beweiswert für den Schaden des Klägers geprüft worden.
Das Berufungsgericht hat ein mitwirkendes Verschulden des Klägers an der Entstehung des Schadens darin gefunden, daß er jedwede Pflege des Kutters auf der Werft unterlassen und nichts unternommen habe, die Reparaturunwürdigkeit zu verhindern. Bei richtiger Pflege wäre der Kutter raparaturfähig geblieben. Es hat die Ersatzpflicht der Beklagten auf 3/5 des Schadens beschränkt. Mit Grund rügt die Revision des Klägers, daß die Umstände, die zur Annahme des Mitverschuldens geführt haben, in verfahrensrechtlicher Beziehung nicht einwandfrei festgestellt worden sind (§§ 139, 286 ZPO). Das Berufungsgericht geht davon aus, der Kläger habe die Werft mit den Pflegearbeiten beauftragen können. Er habe sich nicht darauf berufen, die nötigen Geldmittel hierfür nicht zur Verfügung gehabt zu haben. Dem steht der Tatbestand des angefochtenen Urteils entgegen, nach dem er vorgetragen hat, ihm hätten die Mittel gefehlt, um die Werft mit den Pflegearbeiten zu beauftragen.
Das Gericht war gehalten, den Kläger gemäß § 139 ZPO aufzufordern, sich über die ihm vorgeworfene mangelhafte Pflege des Kutters vollständig zu erklären und ihn zu fragen, welche Maßnahmen der Pflege nötig gewesen wären, welche Kosten entstanden wären und warum er diese nicht habe aufbringen können.