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II ZR 31/82 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 28.02.1983
Aktenzeichen: II ZR 31/82
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 559 HGB, § 485 HGB
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Zur Wirksamkeit einer Freizeichnung von der Haftung für die anfängliche Ladungstüchtigkeit eines Schiffes in den vorformulierten Bedingungen eines Chartervertrages (hier: Gencon CP), wenn die Bedingungen nicht vom Verfrachter (Vercharterer), sondern vom Befrachter (Charterer) in den Vertrag einbezogen worden sind.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 28. Februar 1983

(Landgericht Hamburg, OLG Hamburg)

Zum Tatbestand:

Aufgrund eines im Jahre 1977 geschlossenen Globalvertrages zwischen der Fa. S. (Befrachterin und Empfängerin) und der Beklagten zu 1 (Verfrachterin) transportierte diese mit dem der Beklagten zu 2 (Reederei) gehörenden MS „N" unter einem Konnossement vom 29. September 1978 eine Teilpartie Profileisen von Aviles (Spanien) nach Antwerpen. In der Biskaya geriet das Schiff in schweres Wetter mit Windstärken von 7 bis 8 bft, was infolge starker Bewegungen in der groben See zu Torsionen des Schiffskörpers und zu Undichtigkeiten in der Abdeckung des Laderaumes (MacGregor) führte. Das in den Laderaum eindringende Seewasser bewirkte Rostschäden an einem Teil des Profileisens.
Die Klägerin verlangt als Versicherungsagentin der beteiligten Transportversicherer - auch aus abgetretenem Recht der Fa. S. - Schadensersatz von ca. 85100,- DM, weil die Beklagte zu 1 und der Kapitän des Schiffes der Beklagten zu 2 wegen der schweren Eisenladung und der besonders großen Lukenöffnung (so breit und fast so lang wie der Laderaum) hätten damit rechnen müssen, dass Torsionen des Schiffskörpers eintreten würden und die Abdeckung undicht werden und Seewasser durchlassen könnte. Diese Gefahr sei vor Beginn der Reise nicht beseitigt worden.
Die Beklagten bestreiten eine nicht ordnungsmäßige Vorbereitung des speziell für Eisentransporte gebauten Schiffes. Sie hätten sich auf die Sachkenntnis der Werft, des Herstellers der Lukenabdeckung und der Klassifikationsgesellschaft (Germanischer Lloyd) verlassen dürfen. Auch bei vorangegangenen Reisen seien keine Undichtigkeiten an der Lukenabdeckung aufgetreten. Außerdem sei eine Haftungsfreizeichnung gemäß Transportbedingungen Gencon CP vereinbart worden.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat dieses Urteil bis auf einen geringfügigen Betrag (ca. 260,- DM) bestätigt. Die Revision der Beklagten zu 1 blieb erfolglos. Auf die Revision der Beklagten zu 2 ist das Urteil insoweit aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Fehlt einem Schiff bei Reisebeginn die Ladungstüchtigkeit, so haftet der Verfrachter den Ladungsbeteiligten für den dadurch entstandenen Ladungsschaden, sofern er nicht beweist, dass der Mangel bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters bis zum Antritt der Reise nicht zu entdecken war (§ 559 Abs. 1 HGB). Diesen Beweis hat die Beklagte zu 1 nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht erbracht. Das greift ihre Revision ohne Erfolg an.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war bei Reedern, Verfrachtern und Kapitänen bekannt, dass bei Schiffen von der Größe und Bauart (übergroße Lukenöffnung) des MS „N" die stählerne Lukenabdeckung in grober See infolge von Torsionen des Schiffskörpers undicht werden konnte, insbesondere wenn ein solches Schiff mit einer schweren Eisenladung auf vollen Tiefgang abgeladen war. Grundsätzlich musste daher ein ordentlicher Verfrachter davon ausgehen, dass auch MS zur Wirksamkeit einer Freizeichnung von der Haftung für die anfängliche Ladungstüchtigkeit eines Schiffes in den vorformuliert „N" diese Schwäche der Lukenabdeckung aufwies und deshalb für die Beförderung der seewasserempfindlichen Ladung Profileisen über die im Herbst oft stürmische Biskaya nicht ladungstüchtig war. Allerdings war das Schiff, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, speziell für die Schwergutfahrt mit verstärktem Doppelboden und Rumpf gebaut worden. Jedoch hat, was unbestritten ist, weder die Bauwerft noch die den Neubau abnehmende Klassifikationsgesellschaft der Reederei die Zusicherung gegeben, dass damit die Gefahr von Undichtigkeiten der stählernen Lukenabdeckung bei schwerer See beseitigt sei. Auch konnte die Beklagte zu 1 den Wegfall dieser Gefahr nicht daraus entnehmen, dass die Lukenabdeckung auf den vorausgegangenen Reisen des MS „N" keine Undichtigkeiten hatte erkennen lassen. Denn die Reisen sind, wie die Beklagten haben einräumen müssen, nicht unter Wetterbedingungen erfolgt, mit denen für die Schadensreise gerechnet werden musste. Entgegen der Ansicht der Revision der Beklagten zu 1 kann daher nicht angenommen werden, dass die Schwäche der stählernen Lukenabdeckung des MS „N" bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters bis zum Antritt der Schadensreise nicht zu entdecken war. Zu Recht hat daher das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten zu 1 für den Ladungsschaden der Rechtsvorgängerin der Klägerin aus § 559 Abs. 2 HGB bejaht. Ohne Belang für diese Haftung ist, durch welche Maßnahmen MS „N" vor Antritt der Reise hätte ladungstüchtig gemacht werden können und ob das Berufungsgericht, wie die Revision der Beklagten zu 1 rügt, zu diesem Punkt die Pflichten der Schiffsführung überspannt hat. Auch braucht im Zusammenhang mit der Haftung der Beklagten zu 1 die Freizeichnungsfrage nicht besonders erörtert zu werden, weil die insoweit allein in Betracht kommende Klausel 2 der Gencon CP eine Freizeichnung des Verfrachters von der Haftung für eigenes Verschulden nicht vorsieht.
Nach § 485 Satz 1 HGB ist der Reeder für den Schaden verantwortlich, den eine Person der Schiffsbesatzung einem Dritten in Ausführung von Dienstverrichtungen schuldhaft zufügt. Dieses Verschulden hat das Berufungsgericht darin gesehen, dass der Kapitän des MS „N" die Reise angetreten hat, ohne zuvor sachgerechte Maßnahmen zum Schutz der Ladung getroffen zu haben, obwohl auch er damit habe rechnen müssen, dass bei grober See die Abdeckung der übergroßen Lukenöffnung des MS „N" überkommendes Seewasser infolge von Torsionen des Schiffsrumpfes durchlassen könnte. Dazu hätte, wie der Sachverständige B. überzeugend ausgeführt habe, zumindest gehört, die Oberfläche des Profileisens mit einer wasserdichten Plane und die stählerne Lukenabdeckung mit einer verschalkten und gelaschten Persenning abzudecken.
Auch diese Ausführungen sind frei von Rechtsfehlern. Sie überspannen nicht die Pflichten, die dem Kapitän eines Seeschiffes nach §§ 511 ff. HGB gegenüber den Ladungsbeteiligten obliegen.
In dem Auftragsschreiben der Fa. S. an die Beklagte zu 1 vom 20. April 1977 heißt es einleitend: „Wir beziehen uns auf unsere div. fernmündlichen und persönlichen Unterredungen in obiger Angelegenheit und übertragen Ihnen die Verladung des im Betreff erwähnten Materials ab den genannten nord¬spanischen Häfen nach folgenden Endbestimmungen im einzelnen wie folgt:". Zu diesen „Endbestimmungen" gehören, wie das Schreiben auf Seite 2 zu Ziff. 1 bis 3 deutlich macht, die Bedingungen der Gencon CP, eines von der Baltic und International Maritime Conference (BIMCO) entworfenen Einheitsformulars für eine Reisecharter (abgedruckt bei Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht 2. Aufl. Anh. § 557 A).
Nach Ansicht der Beklagten zu 2 enthält die Klausel 2 eine Haftungsfreizeichnung zu ihren Gunsten. Mit dem Vorbringen der Beklagten zu 2 zu diesem Punkt hat sich das Berufungsgericht nicht befasst. Darin liegt, wie die Revision der Beklagten zu 2 mit Recht rügt, ein Verstoß gegen §§ 286, 551 Nr. 7 ZPO. Dieser nötigt dazu, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 2 erkannt hat, und die Sache im Umfang der Aufhebung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen:
Allerdings macht der - bis jetzt nur knappe - Vortrag der Beklagten zu 2 zur Freizeichnungsfrage nicht deutlich, dass Klausel 2 der Gencon CP auch eine Freizeichnung des Reeders, der nicht zugleich Verfrachter ist, von der Haftung für ein Verschulden des Kapitäns und der Mannschaft enthalten soll.
Jedoch kann sich, wie der Senat in dem Urteil vom 26. November 1979 – II ZR 191/78 ), LM BGB 328 Nr. 66 = VersR 1980, 572 f. näher ausgeführt hat, die Besatzung eines Seeschiffes in der Regel auf haftungsbeschränkende oder haftungsausschließende Klauseln des Verfrachters oder des Reeders in der Chartepartie berufen. Soweit dadurch die Haftung des Kapitäns oder eines Mitglieds der Mannschaft gegenüber einem Ladungsbeteiligten entfällt, beseitigt das auch die - adjektivische -Haftung des Reeders aus § 485 Satz 1 HGB (Prüßmann/Rabe a.a.O. § 485 Anm. J 5; Schaps/Abraham, Seerecht 4. Aufl. Seehandelsrecht § 485 Rdn. 14 und 21). Nun liegt hier allerdings ein Fall anfänglicher Ladungsuntüchtigkeit eines Schiffes vor. Von der Haftung hierfür können sich aber der Verfrachter, der Reeder oder der Kapitän durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, zu denen auch die vorformulierten Bedingungen einer Chartepartie zu rechnen sind (§ 1 Abs. 1 AGBG), nicht wirksam freizeichnen (vgl. BGHZ 49, 356, 363; 65, 364, 367; 71, 167, 171; Urt. v. 13. März 1956 - 1 ZR 132/54, LM BGB § 138 Cc Nr. 1; Urt. v. 25. Juni 1973 - 11 ZR 72/7    ), LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 49; Prüßmann/ Rabe a.a.O. § 559 Anm. E 1 und 2; Schaps/Abraham a.a.O. § 559 Rdn. 12). Aus neuerer Sicht würde darin eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung der Ladungsbeteiligten liegen (§ 9 Abs. 1 und 2 Nr. 2 AGBG). Indes greift diese Vorschrift zu Gunsten der Ladungsbeteiligten nicht ein, wenn die vorformulierten Bedingungen einer Chartepartie nicht auf Veranlassung des Verfrachters in den Frachtvertrag einbezogen, sondern diese vom Befrachter in das Vertragsverhältnis eingebracht worden sind. Dann ist der Verfrachter nicht „Verwender" der Bedingungen im Sinne von § 1 Abs. 1 AGBG. Das ist vorliegend nach dem einleitenden Satz des Auftragsschreibens der Fa. S. an die Beklagte zu 1 vom 20. April 1977 (vgl. oben) und beim gegenwärtigen Verfahrensstand nicht auszuschließen. Insoweit bedarf die Sache - gegebenenfalls nach Ergänzung ihres Vortrages durch die Klägerin und die Beklagte zu 2 - noch der Prüfung durch das Berufungsgericht. Sollte diese ergeben, dass die Fa. S. für die einzelnen Frachtreisen die vorformulierten Bedingungen der Gencon CP zur Grundlage gemacht oder deren Absprache veranlasst hat, so muss sie sich grundsätzlich an diesen und damit auch an deren Klausel 2 festhalten lassen.