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II ZR 29/88 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 19.12.1988
Aktenzeichen: II ZR 29/88
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Die Voraussetzungen des § 6.32 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPV 1983 für eine Radarfahrt bei unsichtigem Wetter sind nicht gegeben, wenn der Inhaber des Radarschiffer-Zeugnisses zwar im Steuerhaus anwesend ist, jedoch die Aufgaben des Radarbeobachters nicht selbst wahrnimmt.

Urteil des Bundesgerichtshofs

vom 19. Dezember 1988

II ZR 29/88

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:


Das der Klägerin gehörende, beladene MS „Otto Springorum" stieß rechtsrheinisch fahrend auf Höhe von Rhein-km 392,5 im Dezember 1983 gegen 3.30 Uhr auf der Talfahrt bei starkem Nebel mit dem Steuerbordvorschiff gegen das Steuerbordvorschiff des zu Berg kommenden beladenen und der Beklagten zu I gehörenden MTS „Margus". Das Schiff der Klägerin wurde vom Lotsen S. geführt, der auf seinem Radar- Einmannsteuerstand zur Orientierung das Radargerät benutzte; am Ruder des Bergfahrers stand Lotse P., der auch Radarhilfe benutzte, aber kein Radarschifferzeugnis besaß, während der Beklagte zu 2 als Schiffsführer zwar das Zeugnis besaß, aber zur Unfallzeit auf einer Bank im Steuerhaus lag und zeitweise schlief.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Ersatz des Schiffsschadens von etwa 73700,— DM mit der Begründung, daß der Bergfahrer — trotz mehrmaliger Meldung von „Otto Springorum" — erst bei einer Entfernung von 300-400 m eine Steuerbordbegegnung verlangt habe. In diesem Zeitpunkt habe sich der Bergfahrer ca. 100 m und der Talfahrer ca. 80 m vom rechten Ufer befunden. Trotz Verringerung der Geschwindigkeit und versuchten Ausweichens nach Backbord habe die Führung von MS „Otto Springorum" die Kollision nicht vermeiden können.
Die Beklagten tragen vor, daß MTS „Margus" bei km 393 den dort üblichen Übergang nach rechtsrheinisch — bei weißein Funkellicht und mit blauer Seitentafel — gemacht und nach erstmaliger Erkennung des Talfahrers im Radarbild etwa 1000 m oberhalb bei Verlangsamung seiner Fahrt mehrfach die Steuerbordbegegnung verlangt habe. Der Talfahrer habe sich aber erst in einer Entfernung von 400 m gemeldet, seinen rechtsrheinischen Kurs jedoch nicht geändert.
Rheinschiffahrts- und Rheinschiffahrtsobergericht haben den Klageanspruch dem Grunde nach zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt. Die Revision beider Parteien blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:
„1. ...
Zu Unrecht meint sie (die Revision), der Regelung des § 6.32 Nr. 2 Satz 1 RheinSchPV 1983 werde bereits genügt, wenn der Inhaber des Radarschifferzeugnisses im Steuerhaus „ständig präsent und nötigenfalls ansprechbar sei". Damit wird sie den allseits anerkannten Notwendigkeiten für eine sichere Radarfahrt, von denen § 6.32 Nr. 2 Satz 1 RheinSchPV 1983 unzweifelhaft nicht abgehen will, nicht gerecht. Eine solche Fahrt erfordert neben bestimmten technischen Voraussetzungen (vgl. § 4.06 Nr. la—c RheinSchPV 1983) einen Radarbeobachter, der das Radarschifferzeugnis besitzt (vgl. auch Art. 6 der Verordnung zur Einführung der Verordnung über die Erteilung von Radarschifferzeugnissen für den Rhein vom 23. Dezember 1964 — BGBl. II 2010 — in seiner Neufassung durch Art. 14 Abs. 2 der Einführungsverordnung zur Rheinschifferpatentverordnung vom 26. März 1976 — BGBl. 1757), also in Theorie und Praxis hinreichend geschult und geprüft ist, ferner über eine gründliche Kenntnis der mit Radar zu durchfahrenden Strecke verfügt und außerdem den Radarschirm ständig im Auge hat (vgl. auch Merkblatt der Rheinzentralkommission für die Fahrt bei unsichtigern Wetter auf dem Rhein — Guide Radar — 1963 S. 10 ff.; Rheinzentralkommission, Das Flußradar 1964 Nr. 2.2 und 2.5; Pabst und Schwoll in ZfB 1970, 50 ff.). Das ergibt sich daraus, daß das Radarbild mit jedem Antennenumlauf neu gezeichnet wird und nur eine ununterbrochene Betrachtung und. A uswertung der einzelnen Bilder, insbesondere ihrer jeweiligene nrdungen, es dem geschulten und streckenkundigen Beobachter erlaubt, sich einen zuverlässigen Überblick über die örtliche Lage und die Verkehrssituation, wie über den Kurs, die Geschwindigkeit und den Abstand der einzelnen Fahrzeuge im Revier, zu verschaffen und die danach gebotenen Maßnahmen zu treffen oder, sofern die Führung des Fahrzeugs nicht auch in seinen Händen liegt, dem Schiffsführer vorzuschlagen. Diese Aufgaben kann der Inhaber des Radarschifferzeugnisses nicht erfüllen, wenn er im Steuerhaus lediglich anwesend ist (oder wie hier sogar schläft), also ohne selbst die ständige Betrachtung und Auswertung der Radarbilder vorzunehmen. Ihn kann deshalb § 6.32 Nr. 2 Satz 1 RheinSchPV 1983, der die persönlichen Bedingungen für die Zulässigkeit der Radarfahrt auf dem Rhein bei unsichtigem Wetter festlegt (vgl. BGHZ 61, 235, 236), sinnvollerweise nicht meinen. Stattdessen ist die Vorschrift im Hinblick auf die vorstehend dargelegten Notwendigkeiten für eine sichere Radarfahrt dahin auszulegen, daß der Inhaber des Radarschifferzeugnisses sich im Steuerhaus nur dann in ihrem Sinne „aufhält", wenn er dort zugleich die Aufgaben des Radarbeobachters wahrnimmt. Offen kann bleiben, ob er die Radarbeobachtung bei einer überschaubaren und ungefährlichen Lage sowie nach vorheriger Einweisung für kurze Zeit jener zweiten, mit der Verwendung von Radar in der Schiffahrt hinreichend vertrauten Person überlassen darf, die sich beim Fehlen eines Radar-Einmannsteuerstandes zum Zwecke der Unterstützung des Radarbeobachters und aus Sicherheitsgründen ebenfalls ständig im Steuerhaus aufhalten muß (§6.32 Nr. 1 RheinSchPV 1983). Denn um einen derartigen Sachverhalt geht es hier nicht.
2. a) Nach dem Senatsurteil BGHZ 61, 235, 237') (= VersR 1974, 134, 135) ist die Fahrt mit Radar auf dem Rhein bei unsichtigem Wetter nur erlaubt, wenn die hierfür vorgeschriebenen technischen und persönlichen Bedingungen erfüllt sind. Wie vorstehend unter Nr. 1 ausgeführt, ist dies hier zu verneinen. Infolgedessen hätte MTS „Margus" die Fahrt nur fortsetzen dürfen, wenn es die optische Sicht erlaubt hätte (BGHZ a.a.O.; Senatsurt. v. 13. Januar 1986 — II ZR 55/872), VersR 1986, 546). Das war, wie dem Urteil des Rheinschiffahrtsobergericht sowie auch den unwidersprochenen Angaben der Zeugen P. und Pla. (beide von MTS „Margus") zu den Sichtverhältnissen zu entnehmen ist, vorliegend nicht der Fall (vgl. auch § 6.30 Nr. 2 RheinSchPV 1983). Das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht angenommen, daß ein Anscheinsbeweis zu Gunsten der Klägerin dahin streitet, daß es durch die schuldhaft fehlerhafte Fortsetzung der Fahrt seitens des MTS „Margus" zu der Kollision mit dem MS „Otto Springorum" gekommen ist (vgl. Senatsurt. v.20. September 1973 — II ZR 137/723), LM RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24. 12. 1954 Nr. 63 und v. 13.Januar 1986 — II ZR 55/ 872), VersR. 1986, 546). Demnach war es Sache der Beklagten, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern bzw. nachzuweisen, daß sich MTS „Margus" so verhalten hat, wie es ein die Fahrt erlaubterweise fortsetzender Bergfahrer getan hätte (vgl. Senatsurt. v. 20. September 1973 — II ZR 31/721), VersR 1974, 134, 135 — insoweit in BGHZ 61, 235 ff. nicht abgedruckt — und v. 13.Januar 1986 — II ZR 77/862) a.a.O.). Das ist ihnen, wie sich aus den Feststellung des Berufungsgerichts ergibt, nicht gelungen.
b) Das Rheinschiffahrtsobergericht hält es für bewiesen, daß man auf MTS „Margus" den Talfahrer erkannt hat, als sich dieser noch etwa 1200— 1300 m oberhalb befunden hat. Es hat nicht feststellen können, daß der Bergfahrer alsbald versucht hat, den Talfahrer über Funk anzusprechen, auch nicht ob etwaige Durchsagen wegen eines zeitweiligen Defekts der Sprechfunkanlage des MTS „Margus" nicht abgestrahlt worden sind und weshalb man auf dem Fahrzeug die Absprache des Talfahrers mit einem zweiten, MTS „Margus" nachfolgenden Bergfahrer (MTS „Nordwind") über eine Backbordbegegnung nicht gehört hat. Für erwiesen sieht es das Rheinschiffahrtsobergericht an, daß der Talfahrer eine Funkweisung des MTS „Margus", Steuerbord an Steuerbord zu begegnen, erstmals empfangen hat, als er noch ca. 400 m oberhalb dieses Fahrzeugs war. Zu jenem Zeitpunkt sei der Talfahrer etwa 80 m aus dem rechten Ufer gefahren. Er habe versucht, die Kursweisung des MTS „Margus", das sich zumindest noch in Fahrwassermitte befunden habe, zu befolgen. Aus der Art und Weise der nunmehr wiederholten Kursweisung des MTS „Margus" sei zu schließen, daß die verlangte Steuerbordbegegnung dem Talfahrer Schwierigkeiten bereitet habe. Daß er MTS „Margus" noch hätte freifahren können, lasse sich wegen der — bei Empfang einer ersten Kursweisung des MTS „Margus" durch den Talfahrer — unbekannten Lage der Fahrzeuge zueinander nicht feststellen. Festzuhalten sei, daß keines der Fahrzeuge im Verlaufe der Annäherung Schallzeichen gegeben hat. Bei der Kollision hätten der Talfahrer eine Backbordschräglage zum linken Ufer hin, der Bergfahrer eine solche in Richtung rechtes Ufer gehabt.
Aus diesen Feststellungen läßt sich nichts für eine Erschütterung des gegen die Beklagten sprechenden Anscheinsbeweises entnehmen. Insbesondere geben sie nichts für die Ansicht der Revision her, MTS „Margus" habe dem Talfahrer rechtzeitig die Weisung erteilt, an der Steuerbordseite vorbeizufahren, ihm dort auch einen geeigneten Weg freigelassen, wogegen dieser die erteilte Kursweisung nicht habe befolgen wollen. Vielmehr ist ihnen das Gegenteil zu entnehmen und dem Bergfahrer mit dem Rheinschiffahrtsobergericht außerdem vorzuwerfen, keine Schallzeichen gemäß § 6.32 Nr. 5 oder gemäß § 6.04 Nr. 4 RheinSchPV 1983 gegeben zu haben, obwohl eine Gefahrenlage schon wegen der zunächst fehlenden Sprechfunkverbindung bestanden und sich der Talfahrer ferner im rechtsrheinischen Teil des Fahrwassers genähert hat, wo der Bergfahrer nach seinem Übergang von links- nach rechtsrheinisch seinen Kurs nehmen wollte.
3. Nach Ansicht des Rheinschiffahrtsobergerichts hat der Talfahrer die Kollision mitverschuldet. Er habe es pflichtwidrig unterlassen, das Dreitonzeichen zu geben und die Geschwindigkeit herabzusetzen (Verstoß gegen § 6.32 Nr. 4 RheinSchPV 1983). Das sei geboten gewesen, nachdem er von dem bereits auf ca. 1800 m erkannten Bergfahrer über einen längeren Zeitraum keine Weisung über den Begegnungskurs erhalten habe. Auch hätte sich durch diese Maßnahmen die Kollision vermeiden lassen, weil dann mehr Zeit und eine größere Strecke für Ausweichmanöver zur Verfügung gestanden hätten. Dem ist entgegen den Ausführungen der Anschlußrevision zuzustimmen. Wegen der fehlenden Sprechfunkverbindung zu MTS „Margus" und der damit verbundenen Unsicherheit über den Begegnungskurs bestand eine Gefahrenlage, welcher der Talfahrer durch Schallzeichen und Verminderung der Geschwindigkeit hätte begegnen müssen.
. . .
4. Die Abwägung der Schwere des auf beiden Seiten obwaltenden Verschuldens (§92 c Abs. 1 BSchG) durch das Rheinschifffahrtsobergericht läßt keinen Rechtsfehler erkennen...."


Anmerkung der Redaktion:


1) s. BGH-Urteil v. 20.9. 1973 — II ZR 31/72 — ZfB 1974, 15
2) s. BGH-Urteil v. 13.1. 1986 — II ZR 77/85 — ZfB 1986, 131
(nicht II ZR 55/87!)
3) s. BGH-Urteil v. 30.9. 1973 — II ZR 137/72 — ZfB 1974, 17

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.3 (Sammlung Seite 1255 f.); ZfB 1989, 1255 f.