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II ZR 28/68 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 13.03.1969
Aktenzeichen: II ZR 28/68
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Die Schiffahrt muß im allgemeinen damit rechnen, daß die Standfestigkeit von Brückenpfeilern durch unter Wasser liegende Böschungen verstärkt wird.

2) Die Fahrrinnenmarkierungen von Brückenöffnungen sind genau über den Rinnengrenzen gesetzt und lassen keinen Spielraum dahingehend, daß bei einer geringfügigen Überschreitung der Grenze ein gefahrloses Fahren noch möglich wäre Der Schiffsführer kann sich nicht darauf berufen, daß außerhalb der zwischen den Zeichen gelegenen Fahrrinne befindliche, nicht sichtbare, weil unter Wasser liegende Hindernisse zusätzlich gekennzeichnet werden müßten.

3) Die Wasserstraßenverwaltung genügt ihrer Verkehrssicherungspflicht,. wenn sie die Fahrrinnengrenze richtig und genau bezeichnet. Die Verkehrssicherungspflicht kann nicht so weit ausgedehnt werden, daß jede Gefahrenquelle beseitigt wird.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 13. März 1969

II ZR 28/68

(Schiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der der Klägerin gehörende Schubverband, bestehend aus dem Schubboot L (ca. 30 m lang, ca. 11 m breit, Tiefgang 1,40m) und dem Leichter S (70m lang, 9,5 m breit, Tiefgang 0,55 m), hielt nach der Ausfahrt aus der Koblenzer Schleuse talwärts die gemäß § 64 Nr. 3 MSchPolVO durch Rauten (auf der Spitze stehende quadratische Tafeln) gekennzeichnete linke Durchfahrtsöffnung der Eisenbahnbrücke an. Im Begriffe, unter der Brücke hindurchzufahren, geriet das Schubboot mit der backbordseitigen Rundung der Kimmplatte gegen die Spundwandeinfriedung des Fundaments des backbords gelegenen Brückenpfeilers und erlitt Leckage. Im Unterkanal der Moselmündung wurde das Schubboot auf Grund gesetzt.
Die senkrecht in das Flußbett eingerammte unter der Wasseroberfläche liegende Spundwand begrenzte das Fahrwasser der Brückendurchfahrt. Die Spitze der backbordseitigen Raute lag genau lotrecht über der das Fahrwasser begrenzenden Spundwand. Die Breite der Fahrrinne beträgt an der Brückendurchfahrt nach Oberstrom 15,70 m und verjüngt sich nach Unterstrom auf 14,28 m. Unter den Parteien ist streitig, ob das Schubboot unter der Brücke oder einige Meter von ihr gerakt hat.
Die Klägerin verlangt Schadenersatz von etwa 52 000 DM, weil die beklagte Verwaltung die Verkehrssicherungspflicht wegen unzureichender Durchfahrtsbreite verletzt habe. Bezeichnenderweise habe die Beklagte die linke Begrenzungsraute nach dem Unfall zur Strommitte versetzt. Sie habe ihre Verpflichtung zur Kennzeichnung des unter Wasser befindlichen Hindernisses vernachlässigt.
Die Beklagte bestreitet jedes Verschulden.
Die Klägerin unterlag in beiden Vorinstanzen. Auch ihre Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin muß davon ausgegangen werden, daß das Boot unter dem Brückenbogen gerakt hat. Auf die Rügen der Revision, die sich gegen die Schlußfolgerungen der Hilfserwägung des Berufungsgerichts richten, das Raken sei 2 bis 3 m vor dem Brückenbogen erfolgt, kommt es daher nicht an.
Hiernach war die Grenze der Fahrrinne durch die lotrecht über der die Böschung einschließenden Spundwand befindliche Raute genau und deutlich gekennzeichnet.

Wenn § 64 Nr. 3 MSchPVO die Durchfahrt nur „zwischen" den Rauten oder Lichtern gestattet, so ist damit klargestellt, daß die Spundwände, die sich lotrecht unter diesen Zeichen befinden, nicht zur Fahrrinne gehören. Allerdings bezieht sich die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten auch auf die Böschung (BGH VersR 1968, 1137), und es ist auch richtig, daß insbesondere eine durch eine Spundwand eingefriedete Böschung Gefahren mit sich bringt. Auf diese Gefahr ist aber hier dadurch aufmerksam gemacht, daß gerade für diese Stelle ausdrücklich verboten ist, die durch die Rautenspitze gekennzeichnete Fahrwassergrenze zu überschreiten. Muß die Schiffahrt schon im allgemeinen damit rechnen, daß die Standfestigkeit von Brückenpfeilern durch unter Wasser liegende Böschungen verstärkt wird, so gilt dies besonders für den vorliegenden Fall, wo die Schiffsführung von L gerade mit Rücksicht auf die angebrachten Markierungszeichen damit rechnen mußte, daß die Pfeiler Böschungen hatten, die nicht befahren werden durften. Hier kommt erschwerend hinzu, daß die Klägerin nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten über die Fahrwasserverhältnisse an der Brücke genau unterrichtet war.
Im Gegensatz zu sonstigen Fahrwasserzeichen (auf dem Rhein) die zur Kennzeichnung der Fahrrinne dienen und 5 m außerßerhalb der Grenzen der Rinnen ausgelegt werden (Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen BSchVO § 54 a. Anm. II), sind die Fahrrinnenmarkierungen von Brückenöffnungen über den Rinnengrenzen selbst gesetzt. Bei sonstigen Zeichen ist daher eine Mindestentfernung von 5 m einzuhalten, während die Brückenmarkierungen die Fahrrinne ganz genau zu begrenzen haben und auch begrenzen können. Die Brückenmarkierung läßt nach den Vorschriften keinen Spielraum dahingehend, daß bei einer wenn auch geringfügigen Überschreitung der Grenze ein gefahrloses Fahren noch möglich ist. Davon hat jeder Schiffsführer auszugehen. Er kann sich nicht darauf berufen, daß außerhalb der zwischen den Zeichen gelegenen Fahrrinne befindliche, nicht sichtbare, weil unter Wasser liegende Hindernisse zusätzlich gekennzeichnet werden müßten. Ähnlich wie bei der Solltiefe BGH VersR 1963, 551, 552) ist die Beklagte bei der Fahrrinnenbegrenzung, die durch das Verbotszeichen der Grenzüberschreitung gekennzeichnet ist, nicht gehalten, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen.
Der Schiffsführer muß selbst nach den Umständen des Einzelfalles entscheiden, welchen Sicherheitsabstand er von der Grenze der Fahrrinne zu wählen hat. Je mehr er sich der Grenze nähert, desto mehr erhöht sich die Gefahr, daß sein Fahrzeug bei auch nur geringfügiger Kursabweichung mit einem künstlichen oder natürlichen, unter der Wasseroberfläche befindlichen Hindernis, das bis an die Grenze der Fahrrinne hinreichen kann, in Berührung kommt. Der Schiffsführer darf es also nie so weit kommen lassen - das verkennt offensichtlich die Revision -, daß er die Grenze selbst berührt. Die Beklagte genügt ihrer Verkehrssicherungspflicht, wenn sie die Fahrrinnengrenze richtig und genau bezeichnet. Das ist hier für den Bereich unter dem Brückenbogen, wo das Schubboot gerakt hat, geschehen. Damit erübrigt sich eine Erörterung der Schlußfolgerungen, die die Revision daraus ziehen will, daß die Raute nach dem Unfall um 70 cm versetzt worden ist.
Die Schiffahrt kann durch ihre Maßnahmen die Beklagte nicht zwingen, die vorgesehene Fahrrinne zu erweitern (BGHZ 37, 69, 72; BGH VersR 1965, 33). Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Schubverband der Klägerin die Eisenbahnbrücke in gestreckter Lage bei Einhaltung des gegebenen Abstandes von mindestens 1,50 m von den beiderseitigen Fahrrinnengrenzen hätte durchfahren können, ohne mit den Spundwänden in Berührung zu kommen. Bei sorgfältiger und aufmerksamer Navigation sei dies ohne Überforderung des Schiffsführers möglich gewesen. Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang davon spricht, die Durchfahrt sei nicht mit einer „akuten Gefahr" verbunden gewesen, so will das nur besagen, daß - wie auch bei anderen Stellen von Binnenschiffahrtsstraßen - das Navigieren besondere Aufmerksamkeit erfordert, da sonst eine akute Gefahr eintreten kann. Das Berufungsgericht hätte hinzufügen können, daß an den Führer eines Schubverbandes besondere nautische Anfor¬derungen zur Führung einer solchen Einheit zu stellen sind.
An alledem ändert nichts, daß den Bediensteten der Beklagten die Verhältnisse an der Brückendurchfahrt bekannt waren und sie mit der Möglichkeit rechneten, daß ein Fahrzeug, wenn es etwas verfiele, auf die Böschung kommen konnte. Durch richtige Navigation muß ein Verfallen verhindert werden.

Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht ausgeführt, hieraus folge nicht, daß die Durchfahrt zur Unfallzeit verkehrsunsicher gewesen sei. Die Verkehrssicherungspflicht kann nicht so weit ausgedehnt werden, daß jede Gefahrenquelle beseitigt wird. Im vorliegenden Fall ist der Versicherungspflicht dadurch Rechnung getragen worden, daß die Grenzen der Fahrrinne genau bezeichnet waren."