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Leitsätze:
1) Ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) ist von dem tragenden Gedanken genossenschaftlicher Selbsthilfe durch gegenseitige Gewährung von Versicherungsschutz geprägt. Der Betrieb des Versicherungsgeschäfts ist mit dem Wesen des VVaG untrennbar verbunden.
2) Eine Mitgliedschaft im WaG ohne gleichzeitige Versicherung kann es prinzipiell nicht geben. Ausnahmsweise kann die Mitgliedschaft im VVaG über die Beendigung des Versicherungsverhältnisses hinaus fortgesetzt werden. Aus § 20 Satz 3 VAG kann aber nicht darauf geschlossen werden, daß der Gesetzgeber den Status eines rechtsfähigen WaG auch einer Personenvereinigung zuerkennen wollte, die keinerlei Versicherungstätigkeit betreibt.
3) Es ist nicht möglich, einen VVaG ein Jahr lang ohne Geschäftstätigkeit aufrechtzuerhalten, wenn die Vereinsmitglieder nicht einmal für sich selbst einen Versicherungsschutz anstreben, sondern der Verein wie ein Mantel für die Übernahme durch andere Personen bereitgehalten werden soll.
Urteil des Landgerichts Hamburg
vom 2. November 2017
Zum Tatbestand:
Der Kläger betrieb als kleinerer Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit das Flußkasko-Versicherungsgeschäft. Der Beklagte war von 1980 bis zum 31. Dezember 1991 Rückversicherer des Klägers. Die Mitgliederversammlung des Klägers beschloß am 27. Juli 1991, den Verein zum 31. Dezember 1991 aufzulösen. Der Auflösungsbeschluß wurde von der Aufsichtsbehörde am 27. September 1991 genehmigt. Am 30. Dezember 1991 beschloß eine außerordentliche Mitgliederversammlung des Klägers die Rücknahme des Auflösungsbeschlusses und die Fortführung des Vereins ohne Geschäftstätigkeit. Die Mitgliedschaft der derzeitigen Mitglieder sollte fortbestehen; deren Versicherungsverhältnisse wurden zum 31. Dezember 1991, 24.00 Uhr durch Einzelvereinbarungen aufgehoben. Zugleich wurde die Satzung des Vereins dahingehend geändert, daß die Mitgliedschaft nicht mit dem Wegfall des versicherten Interesses erlischt. Die Aufsichtsbehörde genehmigte diese Beschlüsse unter dem 13. August 1992. Am 19. August 1992 trat der Kläger an den Beklagten heran, um über den Neuabschluß eines Rückversicherungsvertrages zu verhandeln, der ab 1. Januar 1993 gelten sollte. Der Beklagte erklärte sich bereit, die Rückversicherung zu den Bedingungen des am 31. Dezember 1991 erloschenen Vertrages zu übernehmen. Mit einigen Änderungswünschen des Beklagten erklärte sich der Kläger am 2. Dezember 1992 einverstanden und bat um Übersendung der Police. Am 19.Dezember 1992 beschloß die Generalversammlung des Klägers neben einigen Satzungsänderungen, die Gesamtrücklage aufzulösen und an die Mitglieder auszuzahlen. Während einer Unterbrechung der Versammlung beschloß der Vorstand, 14 neue Mitglieder "bei sofortiger Mitgliedschaft mit Versicherungsbeginn 1. Januar 1993" aufzunehmen. Nach der Wahl eines neuen Vorstands erklärten sodann sämtliche Altmitglieder ihren Austritt per 31. Dezember 1992. Nach der Übersendung einer Liste der nunmehr beim Kläger versicherten Schiffe erklärte der Beklagte am 4. Januar 1993 die Kündigung seiner Deckungszusage und am 6. Januar 1993 die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung. Der Kläger habe absichtlich den unrichtigen Eindruck einer gleichartigen Fortführung der früheren Vertragsbeziehung erweckt; die nunmehr versicherten Schiffe stellten aber völlig anders geartete Risiken dar. Der Kläger begehrt die Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet ist, Deckungsschutz für die angemeldeten Schiffe zu gewähren, hilfsweise den Schaden zu ersetzen, den er durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages erlitten hat. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter. Die Revision des Beklagten führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Klage ist als unzulässig abzuweisen, weil der Kläger nicht mehr als rechtsfähiger Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) existiert.
1. Dem Berufungsgericht ist darin beizutreten, daß der Beschluß, den Verein zum 31. Dezember 1991 aufzulösen, am 30. Dezember 1991, also vor dem Auflösungszeitpunkt, noch wirksam zurückgenommen werden konnte. Dieser Beschluß bedurfte nicht der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde, weil durch ihn lediglich der vor dem Auflösungsbeschluß bestehende Zustand aufrechterhalten wurde. Zu Recht macht die Revision jedoch geltend, daß dieser Beschluß nicht zum Fortbestand des Vereins über den genannten Zeitpunkt hinaus führen konnte, weil mit ihm die vollständige Aufgabe der Versicherungstätigkeit des Vereins verbunden war.
2. Der V VaG ist ein Versicherungsunternehmen (§ 1 Abs. 1, § 7 VAG) in der Form eines rechtsfähigen Vereins, bei dem die Vereinsmitglieder die Versicherten sind (Prölss/Frey, VAG 10. Aufl., § 15 Rdn. 1). Der Betrieb des Versicherungsgeschäfts ist daher mit dem Wesen des VVaG untrennbar verbunden (v. Gierke, Die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nach deutschem Recht (1942), S. 3). Im Gesetz (§ 20 VAG) findet dies durch die enge Verknüpfung von Mitgliedschafts- und Versicherungsverhältnis Ausdruck: Wie der Erwerb der Mitgliedschaft die Begründung eines Versicherungsverhältnisses voraussetzt, soll mit dessen Beendigung grundsätzlich auch die Mitgliedschaft aufhören (Begründung zu § 20 des Gesetzentwurfs, RT-Drucks. Nr. 5 der 10. Legislaturperiode, 11. Session 1900/1902, S. 184; Kisch, Das Recht des V VaG (1951), S. 163 ff.; Goldberg/Müller, VAG (1980) § 15 Rdn. 1, § 20 Rdn. 1 u. 9; Prölss/Frey aa0 § 20 Rdn. 2, 6; Emminghaus LZ 1908, 517, 519 f.). Eine Mitgliedschaft im V VaG ohne gleichzeitige Versicherung kann es daher prinzipiell nicht geben (Goldberg/Müller aa0 § 20 Rdn. 10; Kisch aa0 S. 11 f.). § 20 Satz 3 VAG läßt als Ausnahme von diesem Grundsatz zwar zu, in der Satzung zu bestimmen, daß die Mitgliedschaft über die Beendigung des Versicherungsverhältnisses hinaus fortgesetzt werden kann. Durch diese Vorschrift sollte die Möglichkeit geschaffen werden, einem bisher Versicherten "in Folge fortdauernder Pflichten gewisse Mitgliedschaftsrechte" einzuräumen (so die Gesetzesbegründung aaO; vgl. auch Kisch aaO S. 166; Goldberg/Müller aa0 Rdn. 8). Sie ist also auf das einzelne Mitgliedschaftsverhältnis zugeschnitten. Keinesfalls kann ihr entnommen werden, daß der Gesetzgeber den Status eines rechtsfähigen VVaG auch einer Personenvereinigung zuerkennen wollte, die keinerlei Versicherungstätigkeit betreibt. Ob ein V VaG schon durch eine vorübergehende, kurzzeitige Nichtausübung des Versicherungsgeschäfts seinen rechtlichen Status verliert, kann offenbleiben. Jedenfalls ist es nicht möglich, einen VVaG - wie im vorliegenden Fall - ein Jahr lang ohne Geschäftstätigkeit aufrechtzuerhalten, wenn die Vereinsmitglieder nicht einmal für sich selbst einen Versicherungsschutz anstreben, sondern wenn der Verein wie ein Mantel für die Übernahme durch andere Personen bereitgehalten werden soll. Ein solches Vorgehen ist bereits mit der personalistischen Prägung des VVaG und dem ihn tragenden Gedanken genossenschaftlicher Selbsthilfe durch gegenseitige Gewährung von Versicherungsschutz (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 2. Aufl. § 42 1 1) nicht vereinbar.
3. Es bedarf keiner abschließenden Klärung, wie der Beschluß vom 30. Dezember 1991, den Verein nicht aufzulösen, sondern ohne Geschäftstätigkeit fortzuführen, rechtlich zu qualifizieren ist, denn zu einem Fortbestand des Klägers als rechtsfähiger VVaG kann es in keinem Fall gekommen sein. Es kann dahinstehen, ob der Kläger durch die Einstellung seiner Geschäftstätigkeit sogleich seinen Status als rechtsfähiger VVaG vollständig verloren oder ob er zunächst als rechtsfähiger Liquidationsverein fortbestanden hat. Im letzteren Fall wäre möglicherweise schon durch die am 19. Dezember 1992 beschlossene Verteilung der Gesamtrücklage an die "Altmitglieder", jedenfalls aber durch den Austritt sämtlicher Mitglieder zum 31. Dezember 1992 dessen Erlöschen herbeigeführt worden (RGRK-BGB/Steffen, 12. Aufl. § 49 Rdn. 6); die Aufnahme neuer Mitglieder konnte hieran nichts ändern, da eine solche beim Liquidationsverein nicht möglich ist (Soergel/Hadding aaO § 49 Rdn. 9; Reichert/Dannecker, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts 5. Aufl., Rdn. 2124; vgl. auch § 46 Abs. 2 Satz 3 VAG für den großen V VaG). Ob es möglich wäre, ihn trotz des Beschlusses über die Auflösung der Gesamtrücklage und trotz des vollständigen Austauschs des Mitgliederbestandes durch eine Genehmigung nach §§ 5, 15 VAG als VVaG wiederherzustellen oder ob nicht, wie die Revision meint, allenfalls ein neuer, mit dem Kläger nicht identischer VVaG zur Entstehung gebracht werden könnte, bedarf vorliegend schon deswegen keiner Entscheidung, weil es an der hierfür erforderlichen Genehmigung fehlt. Zudem ist die Klage, wie dies dem Klageziel entspricht, nicht für einen in Gründung befindlichen VVaG, sondern gerade mit der Behauptung erhoben worden, der Kläger sei nach wie vor als jener rechtsfähige VVaG existent, der schon bisher Vertragspartner des Beklagten war.
4. Da die Klage somit im Namen einer nicht existenten Partei erhoben worden ist, muß sie - im Ergebnis übereinstimmend mit dem landgerichtlichen Urteil - als unzulässig abgewiesen werden (vgl. Zöller/ Vollkommer ZPO 19. Aufl. vor § 50 Rdn. 11; Wieczorek/Schütze/Hausmann ZPO 3. Aufl. vor § 50 Rdn. 24) Ihre Zulässigkeit läßt sich auch nicht aus anderen rechtlichen Erwägungen ableiten.
a) Der Kläger kann sich nicht auf den in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz berufen, daß eine erloschene juristische Person solange noch als parteifähig anzusehen ist, als ihr nach dem Parteivortrag im betreffenden Rechtsstreit noch vermögensrechtliche Ansprüche zustehen (vgl. BGHZ 48, 303, 307; 75, 178, 182 f.; Sen.Urt. v. 17. Oktober 1994 - II ZR 159/93, ZIP 1994, 1887). Die Ansprüche, deren der Kläger sich hier berühmt, stehen in keinem Zusammenhang mit seiner Liquidation, sondern werden aus einer Fortsetzung seiner werbenden Tätigkeit (neuer Rückversicherungsvertrag mit dem Beklagten) hergeleitet. Für solche Rechtsstreitigkeiten muß sich eine erloschene juristische Person aber genauso behandeln lassen wie jedes andere nicht rechtsfähige Gebilde, für welches der Bestand von Forderungsrechten geltend gemacht wird.
b) Auch aus dem Senatsurteil vom 30. September 1965 (II ZR 79/63, WM 1965, 1132) läßt sich für den vorliegenden Fall nichts herleiten. Der Senat hat dort ausgesprochen, daß die Klärung der Frage, ob eine juristische Person noch besteht, auch dieser selbst ermöglicht werden muß. Diese Entscheidung bezog sich auf die Feststellungsklage eines Vereins, der seine Identität mit einem infolge der Kriegswirren handlungsunfähig gewordenen Verein festgestellt haben wollte. Im vorliegenden Fall ist die Feststellung der Identität dagegen nicht Hauptsache des Rechtsstreits, sondern es geht um die Durchsetzung von Versicherungsansprüchen. Die rechtliche Existenz des Klägers ist hier nur Vorfrage: ist sie zu verneinen, so muß die Klage als unzulässig abgewiesen werden...".