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Leitsatz:
Bei Schwarzfahrten eines im Dienst befindlichen Schiffsmannes ist der Schiffseigner für den Schaden verantwortlich, der dem Eigner eines anderen Schiffes durch einen von dem Schiffsmann verschuldeten Zusammenstoß mit diesem Schiff entstanden ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 10. Juni 1968
II ZR 27/66
(Schiffahrtsgericht Dortmund/Schiffahrtsobergericht Hamm)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte und im Parallelhafen Münster ordnungsmäßig verankerte MS S war von dem dem Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten Fahrgastschiff L angefahren und beschädigt worden. Der Beklagte zu 2 als Besatzungsmitglied war zur Bordwache eingeteilt, hatte jedoch abends das Schiff pflichtwidrig verlassen und nach Besuch mehrerer Wirtschaften mit 2 Zechkumpanen das Schiff in den Morgenstunden wieder betreten. Nach Inbetriebnahme des Schiffes und einer mehrstündigen Schwarzfahrt kam es gegen 9 Uhr morgens zu der Kollision. Bei dem verhafteten Beklagten zu 2 zwischen 12 und 13 Uhr vorgenommene Blutproben ergaben Blutalkoholwerte von 1,76 und 1,64 %. Der Beklagte zu 2, der zu 1 Monat Gefängnis verurteilt worden ist, war kein gelernter Schiffer.
Die Klägerin verlangt nicht nur von dem Beklagten zu 2, sondern auch vom Beklagten zu 1 Erstattung der zur Abdeckung des eingetretenen Schadens an den Eigner von MS S gezahlten Betrages von ca. 17 500,- DM.
Schiffahrtsgericht und Schiffahrtsobergericht haben die Klage gegen den Beklagten zu 1 (in den Entscheidungsgründen nur als Beklagter bezeichnet) abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde unter Aufhebung des Urteils der Klageanspruch auch gegen den Beklagten zu 1 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Berufungsgericht führt zur Haftung des Beklagten nach § 3 Abs. 1 BSchG (u. a.) aus:
Der Anstoß des Fahrgastschiffes L an das MS S habe sich bei einer Schwarzfahrt ereignet. Der Matrose habe die schädigende Handlung nicht in Ausübung seiner Dienstverrichtung begangen. Die selbständige Inbetriebnahme des Schiffes sei zu keinem Zeitpunkt in den Aufgabenkreis des Matrosen, der kein Patentinhaber gewesen sei, gefallen.
Der Kreis der Dienstverrichtungen im Sinne des § 3 BSchG umfasse nur solche Pflichten, die dem Besatzungsmitglied gegenüber dem Schiffseigner oder dem Schiffsführer oblägen. Wenn ein Besatzungsmitglied bewußt genau das Gegenteil von dem tue, was ihm aufgetragen werde, so handle es nicht in Ausführung seiner Dienstverrichtungen.
Der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts kann nicht zugestimmt werden.
Grundlage für die Haftung des Beklagten ist, da es sich um einen Schiffszusammenstoß handelt, § 92 BSchG i. V. m. § 735 HGB. Das in § 735 HGB als Haftungsvoraussetzung bezeichnete „Verschulden der Besatzung" ist dann gegeben, wenn ein solches „in Ausführung ihrer Dienstverrichtung" gemäß § 3 Abs. 1 BSchG vorliegt (Mittelstein, Das Recht der Binnenschiffahrt S. 371; Vortisch-Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl., BSchG § 92 Anm. 7a; vgl. SchapsAbraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. HGB § 735 Anm. 6).
Die Verwendung eines Schiffes zur Binnenschiffahrt (vgl. § 1 BSchG) bringt besondere Gefahren für die Beteiligten und für Dritte mit sich, die sich häufig, wie auch der vorliegende Fall zeigt, gegen diese Gefahren nicht schützen können. Führt eine mit der Verwendung des Schiffes verbundene Gefahr zu einem Schaden, so sind Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger praktisch oft nicht durchzusetzen. Das Gesetz gibt daher dem Geschädigten in der Person des Schiffseigners als des Trägers der Gefahren des Schiffsbetriebes einen zusätzlichen Schuldner, beschränkt aber seine Haftung auf den Gegenstand, von dem die Gefahr ausgeht. Diesem Interessenausgleich zwischen dem Geschädigten und dem Schiffseigner dienen die Haftungsbestimmungen der §§ 3, 4, 92, 114 BSchG, §§ 735 ff. HGB. Solche Erwägungen haben den 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes veranlaßt, die Haftungsbestimmungen entsprechend anzuwenden, wenn die Gleichheit der Interessenanlage es gebietet, dem Geschädigten einen gleichartigen Schutz zu gewähren (BGHZ 3, 34, 40). Erst recht gebietet es die Interessenlage, den hier in Frage stehenden Begriff „in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen" weit auszulegen. Der Begriff Dienstverrichtungen umfaßt nicht nur Handlungen, sondern auch Unterlassungen, wenn zu der Vornahme der Handlung eine dienstliche Pflicht besteht. Die Dienstverrichtung, in deren Ausführung einem Dritten Schaden zugefügt wird, braucht dem Besatzungsmitglied weder im Einzelfall noch allgemein aufgetragen zu sein. Beruht das schädigende Verhalten, wie im vorliegenden Fall, auf der Verrichtung eines Schiffsmannes (§§ 21 ff. BSchG), so genügt es, wenn diese in den Kreis der Tätigkeiten fällt, bei denen eine Gehorsamspflicht gegenüber dem Schiffer besteht, wenn also die Verrichtung „in Ansehung des Schiffsdienstes" ausgeführt wird (§ 23 BSchG). Zu eng ist die Auslegung, daß die Verrichtung zu dem Aufgabenkreis eines Schiffsmannes gerade dieser Gruppe (hier eines Matrosen) gehören muß (vgl. Boyens, Das deutsche Seerecht 1 178; Mittelstein a.a.O. S. 42; Schaps-Abraham a.a.O. HGB § 485 Anm. 13; Vortisch-Zschucke a.a.O. BSchG § 3 Anm. 4 e; so auch Westphal, Die Haftung des Schiffseigners bei Schwarzfahrten, ZfB 1957, 141 ff., der jedoch übersieht, daß die Verwendung des Schiffes und nicht nur die Anstellung des Schiffsführers die durch die Schwarzfahrt entstehenden Gefahren mit sich bringt; die vom Verfasser zitierte Entscheidung RG Warn Erg. 1 Nr. 334 gibt nichts für seine Auffassung her, da das Reichsgericht die Haftung des Schiffseigners deshalb verneint, weil das Besatzungsmitglied bei seinem schädigenden Verhalten nicht im Dienst gewesen sei). Der modernen Entwicklung des Verkehrs wie auch der Rechtsanschauung hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Personen, die, wenn auch im Einklang mit dem Gesetz, einen Gefahrenzustand für Dritte schaffen, wird eine solche enge Auslegung nicht gerecht.
Unerheblich ist, ob der Schiffsmann die Dienstverrichtung mit dem Willen oder ohne oder gegen den Willen des Schiffsführers ausgeführt hat (vgl. RGZ 111, 37, 39 f.; vgl. BGHZ 1, 388, 394 und RGZ 104, 304, 306 [Fälle des § 839 BGB]). Der Auffassung des Berufungsgerichts, ein Besatzungsmitglied handle nur dann in Ausführung seiner Dienstverrichtung, wenn es sich nicht auftragswidrig verhalte, also seine Gehorsamspflicht nicht verletze, kann nicht zugestimmt werden. Voraussetzung der Haftung des Schiffseigners nach § 3 BSchG ist aber stets, daß sich das schuldige Besatzungsmitglied bei seiner schädigenden Handlung oder Unterlassung im Dienst befunden hat, da sonst von einer „Dienstverrichtung" nicht gesprochen werden kann.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der Matrose selbst oder einer seiner Zechkumpane bei der Schwarzfahrt das Ruder führte. Für die Entscheidung ist das unerheblich, da in jedem Falle der Beklagte haftet. Hat einer der Zechgenossen das Ruder geführt, so hat der Matrose die ihm ausdrücklich übertragene Dienstverrichtung der Bewachung des Schiffes dadurch verletzt, daß er seine Zechkumpane an Bord und ans Ruder ließ. Hierdurch wäre adäquat die Kollision mit MS S herbeigeführt worden. Hat der Matrose selbst das Ruder geführt, !so hat er damit - pflichtwidrig - eine Verrichtung „in Ansehung des Schiffsdienstes" (§ 23 BSchG) ausgeführt. Das kann hier schon deshalb nicht zweifelhaft sein, weil die Ruderführung - auf Anweisung und unter Verantwortung des Schiffsführers - zu den Dienstpflichten eines Matrosen gehört, die fehlende Anweisung und das auftragswidrige Verhalten des Matrosen aber, wie bereits ausgeführt, das Handeln in Ausführung seiner Dienstverrichtung nicht ausschließt.
Durch das Anfahren an ein stilliegendes Schiff ist der Anscheinsbeweis für das Verschulden des Matrosen geführt. Dieser Anscheinsbeweis ist durch den Beklagten nicht entkräftet. Selbst wenn der Alkohol, den der Matrose zu sich genommen hat, zur Volltrunkenheit geführt haben sollte, wäre damit seine Verantwortung nicht ausgeräumt, da dann der Zusammenstoß als von ihm fahrlässig herbeigeführt gelten würde (§ 827 Satz 2 BGB). Für das Verschulden des Matrosen haftet der Beklagte als Schiffseigner (§§ 3, 4, 92, 114 BSchG; §§ 735, 739 Abs. 2 HGB)."