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II ZR 2/68 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.10.1969
Aktenzeichen: II ZR 2/68
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Polizei- und Zollbeamten muß jederzeit das verkehrs­sichere Betreten eines Schiffes ermöglicht werden.

2) Leitern müssen, wenn sie als Landgang benutzt werden, verkehrssicher sein.

3) Wer unangemeldet oder unbefugt eine von der Reling herunterhängende Leiter ohne Kenntnis oder Aufforderung der Schiffsbesatzung benutzt, handelt auf eigene Gefahr.

Urteil des Bundesgerichtshof

Vom 20. Oktober 1969

II ZR 2/68

Zum Tatbestand:

Zur Oberprüfung einer polizeilichen Genehmigung wollte der Polizeihauptwachtmeister F. vom Boot B der Wasserschutzpolizei an Bord des an einer Pier unter Ausbringung eines Landgangsstegs vertäut liegenden MS T über die an dessen Wasserseite außen­bords hängende, etwa 6 m lange Lotsenleiter (Fallreepaus Tauen mit hölzernen Stufen) gehen. Als er die Reling fast erreicht hatte, stürzte er ab, schlug mit dem Kopf auf die Scheuerleiste des Bootes. fiel ins Wasser und ertrank.

Die Klägerin macht die auf sie übergegangenen Schadens­ersatzansprüche der Angehörigen in Höhe von 3/4 gegen die beklagte Schiffseigentümerin geltend und verlangt Zahlung von ca. DM 4700,- sowie die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz von 3/4 allen weiteren Schadens. Sie behauptet, mindestens die 2 obersten Sprossen der Lotsenleiter seien über die Reling innenbords gezogen gewesen und hätten sich plötzlich von der Reling mit einem Ruck gelöst, so daß die Leiter ein Stück herunter­gefallen sei. Die Leiter habe ordnungsmäßig mit sämt­lichen Sprossen über die Reling herabhängen oder ein­geholt werden müssen.

Die Beklagte hat die Darstellung bestritten. F. habe über den beleuchteten Landgangssteg gehen oder durch Zuruf oder Signal seine Absicht, die Lotsenleiter zu benutzen, ankündigen müssen.

Das Landgericht hat den Anspruch dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Für die rechtliche Beurteilung ist entscheidend von den besonderen Verhältnissen des Personenverkehrs mit den im Hafen liegenden Seeschiffen auszugehen. Das Berufungsgericht hat auf Grund gutachtlicher Äußerungen hierzu festgestellt, daß im Seehafen-Personenverkehr eine außenbords hängende Lotsenleiter nicht als eine Verkehrseröffnung zum Schiff betrachtet wird und daß es seemännischer Übung entspricht, sich durch Signal oder Zuruf anzukündigen, wenn Lotsen, Polizei- oder Zollbeamte über solche Leitern an Bord gehen wollen. Die Polizei- und Zollbeamten benutzen diese Leiter, die an sich für den Lotsen bestimmt ist (vgl. § 57 [8] der Unfallverhütungsvorschriften der Seeberufsgenossenschaft), häufig, aber immer wird dabei vorausgesetzt, daß sie in diesem Zeitpunkt an Bord erwartet werden, die Leiter also für die Benutzung durch sie bereitgestellt ist. Wer unangemeldet oder unbefugt die Leiter benutzt, handelt, wie das Berufungsgericht zutreffend auf Grund der einwandfrei festgestellten tatsäch­lichen Verhältnisse des Hafenverkehrs annimmt, auf eigene Gefahr. § 50 Abs. 5 SSchSO, den die Revision anführt, ergibt nichts Gegenteiliges. Leitern müssen dann, wenn sie als Land­gang benutzt werden, verkehrssicher sein. Hier war ein Steg für den Landgang angebracht und beleuchtet. Die Lotsenleiter war deutlich erkennbar nicht der vom Schiff vorgesehene Landgang. Sie war für den Gebrauch des Lotsen ausgebracht und hängen geblieben. Sie sollte ersichtlich ihrem Zweck entsprechend wieder vom Lotsen benutzt werden, wenn er beim Auslaufen an Bord kam und war dann auf ihre Sicherheit zu kontrollieren. Der Grundsatz, daß Polizei- und Zollbeamten jederzeit das verkehrssichere Betreten des Schiffes ermöglicht werden muß, ist mit Recht vom Berufungsgericht dahin ver­standen worden, daß das Schiff für die ordnungsmäßige Aus­bringung der Lotsenleiter sorgen muß, wenn es die Absicht, an Bord zu gehen, erkannt hat und sie hierfür zur Verfügung stellen will. Die bloße Tatsache, daß eine Lotsenleiter von der Reling herunterhängt, ist auch für Polizei- oder Zollbeamte kein Zeichen, sie könnten sie zu beliebiger Zeit ohne Kenntnis der Schiffsbesatzung unter deren Verantwortung für ihre Sicherheit als Zugang benutzen. Die Unterlassung des Ein­holens oder der Kontrolle der Leiter und das - unterstellte - Hochziehen einiger Sprossen über die Reling können hiernach nicht als Verletzung der allgemeinen Rechtspflicht angesehen werden, Gefahren abzuwenden, die von einer Sache drohen."