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II ZR 267/59 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 05.10.1961
Aktenzeichen: II ZR 267/59
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Beim Wenden zu Berg (und beim Wenden zu Tal auf Reeden) besteht eine Pflicht anderer Fahrzeuge zur Geschwindigkeitsverminderung und (oder) Kursänderung u. a. nur dann, wenn diese Maßnahmen nötig sind, damit das Wenden ohne Gefahr geschehen kann. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat der Schiffsführer des wenden den Schiffes zu beweisen, wenn daraus ein Verschulden (Mitverschulden) der Schiffsführung des anderen Fahrzeuges hergeleitet werden soll. Über die Verantwortung des Schiffsführers eines aufdrehenden oder auf Reeden zu Tal wendenden Schiffes.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 5. Oktober 1961

 II ZR 267/59

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort - Rheinschiffahrtsobergericht Köln)


Zum Tatbestand:

Das Boot A (2160 PS) der Klägerin war zu Berg mit sieben Anhangkähnen bei km 782 angekommen, wo die Anhangkähne Nr. 1 bis 3 loswarfen. An dieser Stelle drehte rechtsrheinisch das den Beklagten zu 1 und 2 gehörige, vom Beklagten zu 1 geführte Schleppboot B (486 PS) mit dem 80 m langen, leeren Kahn C über Steuerbord zu Tal. Dabei kam C in Querlage gegen Boot A an dessen Backbordseite achtern an. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Die Klägerin verlangt Ersatz des an Boot A entstandenen Schadens. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auch ihre Revision war erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Bei Wendebeginn habe der seitliche Abstand zwischen dem „B"-Zug und dem Boot „A" 120 bis 150 m betragen. Dieser Raum habe zu dem Wenden mit dem leeren Kahn „C" durchaus ausgereicht. Der Beklagte zu 1) habe das Wendemanöver Fehlerhaft ausgeführt. Statt den Kahn langsam herumzuziehen, was unbedingt notwendig gewesen wäre, habe er „forsch", in übersteigerter Eile, gedreht. „B" habe den Kopf von „C" nicht genügend festgehalten und abgezogen, so daß der Kahn in Querlage durchgeschossen und so gegen die hintere Backbordseite von „A" gestoßen sei. Die Eile sei darauf zurückzuführen, daß der Beklagte zu 1) dem gerade an ihm vorbeigefahrenen Talzug „D" habe nachfahren wollen, um - während der Talfahrt, ohne Aufdrehen - den Kahn „E" von „D" mit seinem Anhangkahn „C" zusammenzukoppeln.
Wäre im übrigen der seitliche Abstand zwischen „B" und „A" in Wirklichkeit nicht ausreichend gewesen, so hätte das Drehmanöver überhaupt nicht begonnen werden dürfen, da der Beklagte zu 1) hätte erkennen müssen, daß das schwere, langsam fahrende Boot „A" mit restlichen vier Kähnen im Anhang nicht ausreichend habe beiseite gehen können.
Die hiergegen von der Revision vorgetragenen Angriffe können keinen Erfolg haben. Was das Berufungsgericht unter fehlerhaftem Wenden versteht, ist in seinem Urteil deutlich zum Ausdruck gekommen.
Unter Verletzung seiner nautischen Sorgfaltspflicht (§ 4 RhSchPolVO, § 7 BSchG, § 276 BGB) hat der Beklagte das Durchschießen seines Anhangs herbeigeführt und dadurch bewirkt, daß der Drehkreis seines Schleppzuges unzulässig ausgedehnt worden ist. Wäre der Kahn nicht infolge des fehlerhaften nautischen Verhaltens des Beklagten zu 1) durchgeschossen, sondern hinter seinem Boot geblieben, so wäre es zu der Kollision nicht gekommen. Das ursächliche Verschulden des Beklagten zu 1) ist daher vom Berufungsgericht rechtlich einwandfrei festgestellt.
Die Revision irrt grundsätzlich, wenn sie glaubt, die Hauptverantwortung für das Gelingen des Wendemanövers liege nicht bei dem Wendenden, sondern bei den anderen Fahrzeugen. Gerade das Gegenteil ist richtig. Der Schiffsführer, der aufdrehen (§ 46) oder auf Reeden zu Tal wenden (§ 47 Nr. 2) will, darf dies nach § 46 Nr. 1 nur dann tun, wenn der übrige Verkehr es zuläßt. Er muß sich vergewissern, daß seinem Fahrzeug bei nautisch einwandfreiem Manövrieren der erforderliche Drehkreis zur Verfügung steht. Bei seinen Überlegungen darf er freilich davon ausgehen (§ 46 Nr. 1 „unbeschadet der Bestimmungen der Nummern 2 und 3"), daß andere Fahrzeuge ihm Platz machen, entweder durch Verminderung ihrer Geschwindigkeit oder durch Ausweichen (Kursänderung) oder durch beides. Jedoch hat er hier zu prüfen, ob den anderen Fahrzeugen dies ohne Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit oder der Sicherheit Dritter möglich ist. Eine entsprechende Verantwortung hat der Schleppzugführer für alle Fahrzeuge seines Schleppzuges (§ 2 Nr. 4). Ist die Strecke unübersichtlich oder müssen andere Fahrzeuge Platz machen, so muß der wendende Schiffsführer rechtzeitig Wendesignal geben (§ 46 Nr. 2). Die Signalgebung gibt ihm selbstverständlich keinen Freibrief für vorhergehende fehlerhafte Überlegungen noch für nautisch unrichtiges Verhalten während der Durchführung seines Wendemanövers. Diese Bestimmungen zeigen, daß die Hauptverantwortung für die Durchführung des Wendemanövers beim wendenden Schiffsführer liegt. Die anderen Fahrzeuge müssen sich, soweit nötig und möglich, dem Wendemanöver durch Fahrverminderung und (oder) Ausweichen anpassen, insbesondere gewissenhaft prüfen, ob eine Verminderung der Geschwindigkeit und (oder) ein Ausweichen erforderlich ist.
Hier setzt der zweite Fehler der Revision ein, wenn sie meint, allein aus dem Umstand, daß „A" nicht ausgewichen und es zum Zusammenstoß gekommen sei, müsse geschlossen werden, daß die Schiffsführung von „A" die Schutzvorschrift des § 46 Nr. 3 verletzt habe mit der Folge, daß die Klägerin sich nunmehr entlasten müsse. Die Geschwindigkeitsverminderungs- und Ausweichpflicht der anderen Fahrzeuge ist nach dem Gesetzt u. a. an die Voraussetzung geknüpft, daß diese Maßnahmen nötig sind. Beweispflichtig für das Vorliegen dieser Voraussetzung ist das wendende Schiff, das aus der Verletzung der Schutzvorschrift ein ursächliches Verschulden oder Mitverschulden des anderen Schiffes herleiten will.
Das Berufungsgericht stellt schließlich fest, der Schiffsführer von „A" habe, als die falsche Fahrweise von „B" im Laufe des Manövers erkennbar geworden sei, noch einen Ausweichversuch gemacht; es sei aber schon zu spät gewesen, das große schwere Boot, das noch mit vier Anhängen belastet gewesen und sehr langsam gefahren sei, aus dem Wege zu bringen. Wenn das Berufungsgericht insoweit ein Verschulden des Schiffsführers von „A" verneint, so ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Ob der Kapitän von „A" richtigerweise zunächst das Hinterschiff statt des Vorderschiffs nach Steuerbord hätte bringen sollen, kann dahingestellt bleiben. Es handelt sich um eine Maßnahme des letzten Augenblicks, die auch dann zu entschuldigen wäre, wenn sie falsch gewesen wäre. Für einen Anscheinsbeweis, der den Beklagten zugute kommen könnte, sind keinerlei Anhaltspunkte gegeben.