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Leitsatz:
Zur Frage der richtigen Löschung eines großen, mit 12 Räumen ausgestatteten Erzkahnes.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 11. Oktober 1965
II ZR 258/63
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/ Schiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, deren Kahn A (1716 t groß, Baujahr 1899, 12 Räume) beim Löschen von Erz im Hafen Schwelgern durchbrach, verlangt von der Beklagten zu 1, die das Be- und Entladen von Schiffen betreibt, und vom Beklagten zu 2, als dem Kranführer am Unfalltag Ersatz der entstandenen Schäden mit der Behauptung, da4 der Beklagte zu 2 entgegen der dem Verlademeister der Beklagten zu 1 gegebenen Anweisung, 2 Kräne nur in den Räumen 3, 5, 7, 9 und 11 arbeiten zu lassen, und entgegen einem ausdrücklichen Verbot auch mehrere Greiferladungen aus dem in der Schiffsmitte befindlichen Raum 6 entnommen habe. Hierauf allein sei der Bruch des Schiffes zurückzuführen. Diese Darstellung wird von den Beklagten bestritten.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Hiergegen hat nun die Klägerin Berufung eingelegt, die jedoch vom Schifffahrtsobergericht zurückgewiesen worden ist. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Hinsichtlich des allein noch im Streit befindlichen unfallursächlichen Mitverschuldens der Kahnbesatzung hat das Berufungsgericht ausgeführt:
Eine fachgerechte Entladung des Schiffes erfordere, daß bis zur letzten Phase des Entladungsvorganges die in der Schiffsmitte befindliche Ladung ein geringes Übergewicht gegenüber der Ladung in den anderen Schiffsräumen besitze, damit sich die Elastizitätsveränderung, d. h. der Rückgang der Durchbiegung des Schiffes nach unten und der Übergang zu der bei einem leeren Schiff vorhandenen leichten Aufbiegung nach oben ohne Gewalt vollziehen könne. Daher müsse die Löschung der Fracht von den Schiffsenden aus zur Schiffsmitte erfolgen. Es bestünden erhebliche Bedenken, ob die von der Kahnbesatzung erteilte Löschungsanweisung dieser allgemein bekannten Grundregel entsprochen habe. Es könne dahinstehen, ob diese Anweisungen dahin gegangen seien, zunächst in den Räumen 3, 5, 7, 9 und 11 zu löschen (Behauptung der Klägerin) oder lediglich in den Räumen 3, 5, 7 und 9 (Behauptung der Beklagten). Jedenfalls sollten die an den äußersten Schiffsenden befindlichen Räume 1, 2 und 12 nicht entladen werden; auch seien die Kranführer nicht angewiesen worden, aus dem in der Schiffsmitte befindlichen Raum 7 geringere Mengen zu entnehmen als aus den anderen Räumen. Jedoch bedürfe es keiner Entscheidung, ob schon die erteilten Anweisungen über die Reihenfolge der Löscharbeiten einen fahrlässigen Verstoß gegen die der Schiffsführung obliegende Sorgfaltspflicht darstelle. Jedenfalls habe die Führung des Kahnes gegen die ihr gemäß § 7 Abs. 1 BSchG obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen, indem sie zugelassen habe, daß der Kahn entgegen der Grundregel gelöscht worden sei. Es stehe auf Grund der Beweisaufnahme fest, daß die Ladung aus den Räumen 3, 5, 7 und 9 - und zwar in Raum 3, 5 und 7 jeweils bis zur Hälfte des in diesen Räumen befindlichen Frachtgutes - ohne Beanstandung der Schiffsbesatzung entnommen worden sei. Durch dieses der genannten Grundregel widersprechende Entladeverfahren sei der Kahn bereits vor der weisungswidrigen Entnahme der drei oder vier Greiferfüllungen aus Raum 6 in einen Spannungszustand geraten, der die Sicherheit des Schiffes auf das äußerste gefährdet habe. Ohne einen solchen Spannungszustand hätte die Entnahme dieser wenigen Greiferfüllungen nicht zum Bruch des schwer beladenen Kahnes führen können. Unter gröblicher Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht habe die Kahnbesatzung ihr Schiff gefährdet und dadurch den Schaden mitverursacht, mögen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, daß er ohne Mißachtung der Anweisung der Schiffsführung durch den beklagten Kranführer, die Entnahme von Ladung aus Raum 6 einzustellen, zum Bruch des Schiffes gekommen wäre. Für das schuldhafte Verhalten der Kahnbesatzung habe der Schiffseigner auch im Rahmen des § 254 BGB einzustehen. Das unfallursächliche Verschulden des beklagten Kranführers überwiege nicht solchermaßen, daß die Festsetzung einer für die Klägerin günstigeren Haftungsquote gerechtfertigt erscheine. Das angefochtene Urteil hält allen Revisionsangriffen stand.
Die Revision wendet sich u. a. gegen die Feststellung im angefochtenen Urteil, daß der Kahn vor der Entnahme der wenigen Greiferfüllungen aus Raum 6 in einen Spannungszustand geraten sei, der die Sicherheit der Schiffes auf das äußerste gefährdet habe. Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen müsse nur in den Räumen 6 und 7 ein Übergewicht gegenüber den anderen Räumen vorhanden bleiben. Nehme man die in den Räumen 6 und 7 befindliche Ladung zusammen, so seien diese vor der Entnahme von Ladung aus Raum 6 nur zu '/4 als geleert anzusehen gegenüber der hälftigen Leerung der Räume 3 und 5.
Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die Feststellung im angefochtenen Urteil zu erschüttern. Die Revision berücksichtigt nicht, daß sich Raum 5 nahe an der Schiffsmitte befindet, die Entnahme von Ladung aus Raum 5 also den Schwimmauftrieb mittschiffs begünstigte. Da sich Raum 3 nicht in der Nähe des Schiffsendes befindet, konnte die Entnahme der Hälfte der Ladung aus diesem Raum das in der Schiffsmitte vorhandene Untergewicht nicht ausgleichen, geschweige denn das erforderliche Übergewicht der Schiffsmitte herbeiführen.
Da die Schiffsmitte kein Übergewicht aufwies, konnte das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, dem das Gericht gefolgt ist, die Feststellung treffen, daß der Kahn schon vor der Entnahme der wenigen Greiferfüllungen durch schuldhaften Verstoß gegen die Grundregel des Entladens in einen gefährlichen Spannungszustand geraten war.
Das Berufungsgericht geht davon aus, es seien hinreichende Anhaltspunkte weder dafür vorhanden, daß der schuldhafte Verstoß der Schiffsbesatzung gegen die Grundregel allein den Schaden verursacht hätte, noch dafür, daß die geringfügige Entnahme von Ladung aus Raum 6 durch das weisungswidrige Verhalten des beklagten Kranführers für sich allein zum Bruch des Schiffes geführt hätte, wenn das Schiff sich nicht schon vorher in äußerster Gefahrenlage befunden hätte; lediglich das Zusammenwirken beider Umstände habe den Unfall herbeigeführt. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Schiff durfte nicht in eine derartige Gefahrenlage gebracht werden, daß schon die Entnahme einer geringfügigen Ladungsmenge in der Schiffsmitte den Bruch des Kahnes herbeiführen konnte. Es liegt nicht außerhalb aller Lebenserfahrung, daß aus einer solchen von der Schiffsbesatzung herbeigeführten Gefahrenlage durch unsachgemäßes und weisungswidriges Verhalten eines anderen ein Schaden entsteht.
Wenn der Kranführer einerseits verbotswidrig gehandelt hat, so hat andererseits die Schiffsbesatzung durch Herbeiführung des gefährlichen Spannungszustandes in höherem Maß den Unfall verursacht; auch ihre Schuld, die in dem Verstoß gegen eine Grundregel der Löschung derartiger Ladung bei einem solchen Kahn liegt, ist erheblich."