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Leitsätze:
Zum Anscheinsbeweis und zur Beweislastverteilung, wenn ein fahrendes Schiff einen nicht vorschriftsmäßig beleuchteten Stillieger anfährt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. Februar 1966
II ZR 25/64
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
MS M lag beladen bei Unkel, etwa bei km 636, rechtsrheinisch vor Anker und wurde von dem Beklagten zu 1 gehörenden, leer zu Tal fahrenden MS P an einem Januarmorgen gegen 4.50 Uhr durch Anfahrung (Zusammenstola beider Vorderschiffe auf Backbordseite) erheblich beschädigt. MS P fuhr nach dem Zusammenstola zwischen dem Ankerlieger und dem rechten Ufer durch und drehte sodann über Backbord auf.
Die Klägerin als Versicherin des M verlangt die Erstattung des zum Schadensausgleich aufgewendeten Betrages von rd. 33 879.- DM mit der Behauptung, daß M erlaubterweise 30 bis 40 m vom rechten Ufer entfernt geankert und das vorgeschriebene Ankerlicht in einer Höhe von 3 m über dem Gangbord gesetzt habe. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises sei der Unfall allein auf das Verschulden der Schiffsführung von P zurückzuführen, auf dem auch ein Ausguckposten gefehlt habe.
Die Beklagten behaupten, daß M zu weit, nämlich 60-70 m aus dem rechten Ufer gelegen habe. Das Ankerlicht sei nicht hoch genug angebracht gewesen, so dal3 es sich, aus der Sicht von MS P, in gleicher Höhe wie die Laternen am Unkeler Ufer befunden habe und das MS M nicht rechtzeitig als Ankerlieger habe ausgemacht werden können.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der Revision wollen die Beklagten die Abweisung der Klage erreichen, soweit die Klägerin mehr als 1/3 der Klagesumme verlangt.
Demgemäß hat der Bundesgerichtshof die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils, soweit die Klage zu einem den Betrag von 11 293.- DM übersteigenden Betrag für gerechtfertigt erklärt war, an das Berufungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Im Ergebnis sind die Revisionsangriffe gegen die Ansicht des Berufungsgerichts begründet, die unvorschriftsmäßige Anbringung des Ankerlichts habe die deutliche Erkennbarkeit des Lichtes für die Schiffsführung von P nicht beeinträchtigt.
Nach §§ 22 Abs. 1, 72 Nr. 1 RhSchPVO in Verbindung mit Bild 55 der Anlage 6 zu RhSchPVO muß das Ankerlicht von allen Seiten sichtbar sein. Die falsche Anbringung des Ankerlichts an der äußeren Verschanzung von MS M in zu geringer Höhe (2,38 m über Gangbord) hat gegen den Schutzzweck des Gesetzes verstoßen, das Licht von allen Seiten sichtbar und damit die Schiffahrt auf den Stillieger aufmerksam zu machen. Die im Interesse der Verkehrssicherheit erlassenen Vorschriften über die Ausrüstung eines Schiffes müssen peinlich eingehalten werden, um Schiffsunfälle zu verhüten. Kollidiert ein Schiff mit einem mangelhaft beleuchteten Stillieger, so besteht kein Anscheinsbeweis gegen das fahrende Schiff, vielmehr spricht in der Regel der Anscheinsbeweis dafür, daß die unvorschriftsmäßige Lichterführung des Stilliegers den Unfall schuldhaft herbeigeführt hat, wobei die Parteistellung keine Rolle spielt. Der Stillieger kann den Anscheinsbeweis ausräumen, indem er beweist, daf7 das Ankerlicht für das anfahrende Schiff deutlich erkennbar gewesen ist. Im vorliegenden Fall muß die Partei des stilliegenden MS M entweder nachweisen, daß das Licht überhaupt nicht verdeckt war; dazu gehört hier der Nachweis, daß es nicht durch das Geländer an der Roef, an dem es angebracht war, verdeckt gewesen ist, ferner der Nachweis, daß nicht ein Rettungsring das Licht verdeckt hat, wobei dem Stillieger der Beweis dafür obliegt, wo der Rettungsring angebracht war. Kann die Partei von M den Beweis dafür, daß das Licht überhaupt nicht verdeckt gewesen sei, nicht erbringen, so bleibt ihr noch der Nachweis offen, daß für den Talfahrer nach dem von ihm gefahrenen Kurs das Licht auf ausreichende Entfernung deutlich erkennbar war. Das hängt von verschiedenen Umständen ab, für die die Partei von MS M beweispflichtig ist: Einmal davon, in welchem Ausfallwinkel das Licht trotz des verdeckenden Gegenstandes austreten konnte; sodann von der Lage des Stilliegers M zum Strom und zum Ufer; schließlich von dem Kurs, den MS P vor dem Unfall gefahren ist. Soweit Feststellungen nicht getroffen werden können, geht das zu Lasten der Partei des MS M.
Bis jetzt hat die Partei des MS M den für die Gegenseite sprechenden Anscheinsbeweis nicht ausgeräumt. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil reichen nicht aus, um die entgegengesetzte Ansicht des Berufungsgerichts zu stützen.
1. Das Berufungsgericht stellt nicht genügend fest, wie sich Geländer und Rettungsring auf den Lichtausfall ausgewirkt haben. Es läßt offen, ob sich der Rettungsring vor oder hinter der Lampe befunden hat. Mit seiner Erwägung, es könne nicht darauf ankommen, ob die Sichtbarkeit des Ankerlichts von der Backbordseite her beeinträchtigt gewesen sei, unterstellt es, daß die Lichtstrahlen der Lampe nach der Backbordseite, also in einem Winkel von 90°, von der Längsachse des MS M gerechnet, nicht ausfallen konnten. Die Aussage des Polizeimeisters M., der noch am Unfallmorgen bei Dunkelheit auf der Fahrt mit seinem Dienstboot die Sichtbarkeit des Lichtes überprüfte und die einwandfreie Sichtbarkeit bekundete, könnte die Ansicht des Berufungsgerichts nur stützen, wenn sich aus ihr ergeben würde, daß M. auf seiner Überprüfungsfahrt auch einen Standort eingenommen hätte, der auf der Backbordseite der verlängerten Mittelachse des MS M, das sich nach dem Unfall in einer veränderten Lage befand, gewesen wäre. Hierfür ergibt sich aber aus der Aussage nichts.
2. Über die Lage des MS M zum Strom, die für die Frage der verlängerten Mittelachse dieses Schiffs von Bedeutung ist, führt das Berufungsgericht nichts aus. Maßgebend ist die Lage des Schiffes vor dem Unfall, nicht seine spätere Lage, als es auf Grund gesetzt und sein Licht vom Polizeimeister M. überprüft worden ist.
Hinsichtlich der Lage des MS M zum Ufer führt das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang (bei Prüfung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 67 RhSchPVO) aus, das Ergebnis der Beweisaufnahme rechtfertige nicht die Feststellung, daß M weiter als 30 bis höchstens 40 m von der Böschung am rechten Ufer entfernt geankert habe. Um den hier in Frage stehenden Anscheinsbeweis auszuräumen, muß die Partei von M beweisen, daß ihr Schiff so nahe am Ufer lag, daß der Talfahrer in seinem Kurs nicht über die verlängerte Mittelachse von M nach Backbord (also in Richtung zum Ufer hin) geraten konnte.
3. Damit ist bereits die Frage angeschnitten, welchen Kurs der Talfahrer P gefahren ist. Auch hier reichen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Begründung seiner Ansicht nicht aus.
Aus der Aussage ergibt sich nicht, wie das Berufungsgericht meint, daß sich P „zunächst" offenbar 80 bis 90 m aus dem rechten Ufer gehalten habe. Das Berufungsgericht kommt zu dieser Auffassung anscheinend deshalb, weil nicht bewiesen sei, daß MS M weiter als 40 m aus dem rechten Ufer lag und daher der Zusammenstoff in dieser Entfernung vom Ufer erfolgte. Wie bereits ausgeführt, darf aber diese Entfernung vom Ufer zwecks Ausräumung des Anscheinsbeweises nicht unterstellt werden. Vielmehr muß bis zum Beweis des Gegenteils durch die Partei von M unterstellt werden, dal1 M so weit vom rechten Ufer entfernt war, daß das Licht von dem auf der Backbordseite der Mittelachse des Stilliegers fahrenden MS P nicht gesehen werden konnte.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, beide Schiffe seien mit ihren Backbordvorschiffen zusammengestoßen, der Talfahrer sei dann zwischen dem Stillieger und dem rechten Ufer hindurchgefahren. Diese Tatsachen sprechen dafür, dass der Talfahrer auf der Backbordseite der verlängerten Mittelachse von M gefahren ist, das Licht des Stilliegers also außerhalb seines Blickwinkels lag (falls nicht die Partei von M beweist, daß das Licht ihres Schiffes backbordseits der Mittelachse ihres Schiffes erkennbar war).
In der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht auch nochmals seine Stellungnahme zu der Frage des Verstoßes der Schiffsführung von „Monte Rosa" gegen § 67 RhSchPVO (Liegeplatz) überprüfen müssen. Dabei wird vor allem festzustellen sein, wo „Monte Rosa" geankert hat. War der Liegeplatz bei km 636,0, wo nach dem Vorbringen der Partei von „Monte Rosa" die Null-Linie in einer Entfernung von 25 m von der Uferböschung verläuft, so sind gegen einen Sicherheitsabstand von 30 bis 40 m vom Ufer unter den gegebenen Umständen keine rechtlichen Bedenken zu erheben. Lag das Schiff dagegen bei km 631,1, so hätte es wohl näher am Ufer festmachen müssen, wobei selbstverständlich ein ausreichender Sicherheitskoeffizient wegen der Gefahr des sinkenden Hochwasserspiegels zu berücksichtigen wäre. Zwar kann nicht verlangt werden, daß der Schiffer Tieflinienkarten zu seiner Orientierung heranzieht. Wenn er aber schon das Fahrwasser nicht so genau kennt, daß er weil), wo ein Grund beginnt, muß er sich der Schlaggerte bedienen (BGH v. 12. Dezember 1963 II ZR 25/62)."