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Leitsatz:
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Haftungsausschluss in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Verschulden von Arbeitern oder nicht leitenden Angestellten gegen Treu und Glauben verstößt, kann von entscheidender Bedeutung sein, ob die sich diesen Bedingungen Unterwerfenden sich gegen Schäden versicherungsmäßig abdecken können und dies normalerweise auch tun. Der Versicherer muss einen von seinem Versicherungsnehmer mit einem Dritten vereinbarten, sich im Rahmen des Verkehrsüblichen haltenden Haftungsausschluss gegen sich gelten lassen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 29. September 1960
II ZR 25/59
Zum Tatbestand:
Die Beklagte unterhält in Hamburg Wachschilfstationen, an denen sie die Bewachung von Wasserfahrzeugen aller Art übernimmt. In ihren Vertragsbedingungen wird die Haftung für Verlust, Diebstahl und Beschädigung von Gütern und Fahrzeugen nur insoweit übernommen, als ihr oder ihren Leuten ein ursächliches Verschulden nachzuweisen ist. Außerdem wird die Haftung der Höhe nach bei Verlust oder Schäden an Fahrzeugen auf 300,- DM je Fahrzeug beschränkt.
Die Klägerin verlangt auf Grund gesetzlichen und rechtsgeschäftlichen Forderungsübergangs als Kaskoversicherin Ersatz von Schäden, die die bei ihr versicherte Firma B an 2 der Beklagten zur Bewachung übergebenen Schuten erlitten und die die Klägerin gedeckt hat. Letztere macht u. a. geltend, dass die Freizeichnungsklauseln und Haftungsbeschränkungen der Beklagten wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig seien. Die Berufung auf diese Klauseln verstoße zumindest gegen Treu und Glauben.
Das Landgericht hat die Klage wegen des 600,- DM übersteigenden Betrages abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos. Auch die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts hat der Bundesgerichtshof (BGHZ 7, 365, 368 mit Nachweisungen) den Rechtsgrundsatz vertreten, dass für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht der Wille und die Absicht der Parteien des Einzelgeschäfts zu erforschen, vielmehr unabhängig von den Umständen des Streitfalles allein ihr Inhalt maßgebend ist; denn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nicht für einen bestimmten Einzelfall aufgestellt, sondern bilden die vertragliche Grundlage für eine unbestimmte Vielzahl von Einzelfällen. Auszugehen ist von dem Willen verständiger und redlicher (gedachter) Vertragspartner, die ihrem Geschäftsverkehr eine allgemeine Grundlage geben wollen.
Ob im Rechtsverkehr gegen Treu und Glauben verstoßen worden ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Revisionsgericht frei zu prüfen ist (RGZ 145, 26, 32). Ein solcher Verstoß fällt aber der Beklagten nicht zur Last. Die Beklagte übernimmt unter Zugrundelegung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Bewachung von Fahrzeugen in den von ihr eingerichteten Wachstationen gegen eine geringe Gebühr, wobei sie ihre Haftung für das einzelne Fahrzeug auf 300 DM beschränkt hat. Die Bewachungsgebühren sind, wie zwischen den Parteien unbestritten ist, so niedrig bemessen, dass die Beklagte ein volles Haftungsrisiko nur durch Gebührenerhöhung abdecken könnte (Berufungsurteil S. 16). Nun können freilich preiskalkulatorische Erwägungen keine Rechtfertigung für unbillige Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geben; denn der Unternehmer muss sein Entgelt nach solchen Bedingungen kalkulieren, die mit Treu und Glauben in Einklang stehen (BGHZ 22, 98). Haftungsausschlüsse oder ihnen gleichkommende Haftungsbeschränkungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen können, jedenfalls soweit es sich um unmittelbare Schäden handelt, sehr wohl mit den Geboten von Treu und Glauben in Widerspruch stehen und daher nichtig sein. In den vorliegenden Geschäftsbedingungen ist aber die sehr weitgehende Haftungsbeschränkung nicht zu beanstanden. Die Schiffseigner, die ihre Fahrzeuge der Beklagten zur Bewachung übergeben, haben die Möglichkeit, von der sie auch üblicherweise Gebrauch machen (und von der auch die Firma B Gebrauch gemacht hat), für ihre Fahrzeuge eine Kasko-Versicherung abzuschließen. Eine solche Versicherung liegt in ihrem wohlverstandenen eigenen Interesse.
Bei der Frage, ob Haftungsausschlüsse gegen Treu und Glauben verstoßen, kann der Gesichtspunkt der versicherungsmäßigen Schadensabdeckung freilich nur dann eine entscheidende Rolle spielen, wenn im Einzelfall durch den vereinbarten Haftungsausschluss der Versicherungsanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer nicht gefährdet ist.
Nach § 61 VVG wird der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt. Könnte der Versicherungsnehmer durch Vereinbarung mit einem Dritten, dem er die Obhut der versicherten Sache überträgt, dessen Haftung für eigene grobe Fahrlässigkeit - ein Haftungsausschluss für Vorsatz kommt nach § 276 Abs. 2 BGB ohnehin nicht in Frage - mit Rechtswirksamkeit gegenüber seinem Versicherer ausschließen, so würde dies praktisch zu einer Gefahrerhöhung und damit zu einer Erweiterung der Leistungspflicht des Versicherers führen, ohne dass dieser einen Ausgleich in einem Anspruch gegen den Dritten finden würde. Damit würde die Lage des Versicherers in einer Weise verschlechtert werden, die mit dem Sinn der Vorschrift des § 61 VVG nicht zu vereinbaren wäre. Andererseits hat aber der Versicherer auch kein Recht darauf, deswegen besser gestellt zu werden, weil der Versicherungsnehmer die Obhut über die versicherte Sache einem Dritten überträgt. Unter Berücksichtigung des in § 67 Abs. 1 S. 3 enthaltenen Grundgedankens hat daher die Rechtsprechung (BGHZ 22, 109, 119 f mit Nachweisungen) die Leistungspflicht des Versicherers bejaht, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen des im Wirtschaftsleben Üblichen sich mit einem Haftungsausschluss einverstanden erklärt hat, sie dagegen verneint, wenn der Haftungsausschluss eine ungewöhnliche, die Interessen des Versicherers gegen Treu und Glauben beeinträchtigende Abrede darstellt. Demgemäß wird nach dieser Rechtsprechung (BGHZ 22, 119, 120) der Versicherungsanspruch gemäß § 67 Abs. 1 Satz 3 VVG grundsätzlich nur dann gefährdet, wenn der Versicherte seinen Vertragsgegner auch von dessen eigener grober Fahrlässigkeit befreit.
Nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes kommt im vorliegenden Fall ein Verschulden der Beklagten oder ihrer leitenden Angestellten überhaupt nicht, sondern möglicherweise nur ein fahrlässiges Verhalten ihres Bewachungspersonals in Frage. Durch den von der Beklagten mit der Firma vereinbarten Haftungsausschluss ist der Versicherungsanspruch der Firma gegen die Klägerin auch dann nicht gefährdet worden, wenn das Wachpersonal grob fahrlässig gehandelt haben sollte. Denn für das Verschulden ihres Bewachungspersonals müsste die Beklagte, auch wenn sie selbst eine Kasko-Versicherung über die Schiffe abgeschlossen hätte, nicht einstehen, da der Wächter nicht versicherungsrechtlicher Repräsentant der Beklagten ist (vgl. BGHZ 22, 121).