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Leitsätze:
1) Kursweisungsrecht eines Bergfahrers gegenüber dem aus einem Hafen kommenden Schiff.
2) Das Kursweisungsrecht des Bergfahrers besteht gegenüber einem Schiff, das einen Hafen vor der Vorbeifahrt des Bergfahrers verlassen und anschließend zu Tal fahren will, auch schon vor dem Passieren der Hafenausfahrt durch dieses Schiff.
3) Zu dem Umfang der Darlegungs- und Beweislast des Ausfahrenden im Rahmen des § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolV.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 23. Juni 1969
II ZR 251/67
(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS S näherte sich auf der Bergfahrt der am linken Ufer befindlichen Ausfahrt des Hafens Köln-Niehl 1. Zu diesem Zeitpunkt wollte das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS T den Hafen verlassen und zu Tal fahren. Unmittelbar nach dem Passieren der Hafenausfahrt stieß es mit MS S bei km 695,9 zusammen. Beide Schiffe wurden beschädigt.
Die Klägerin verlangt Ersatz des von ihr erstatteten Schadens an MS S in Höhe von ca. 20000,DM mit der Behauptung, daß der Zusammenstoß darauf beruhe, daß die Führung von MS T die von S bei km 696,3 mit dem Blinklicht gegebene und von ihr erwiderte Weisung für eine Steuerbordbegegnung nicht befolgt habe.
Die Beklagten bestreiten ein Verschulden. Das Blinklicht sei zunächst nur von MS G gegeben, das das MS S auf dessen Backbordseite überholt habe. MS T habe sich, als seine Führung schon Ausfahrtssignal gegeben habe und beide Bergfahrer noch etwa 1 km entfernt gewesen seien, darauf eingestellt, zwischen den beiden Schiffen, die einen Seitenabstand von 100-120 m gehabt hätten, hindurchzufahren. Als sich MS T bereits im Strom befunden habe, sei auf MS S bei einer Entfernung von nur noch 100 m das Blinklicht eingeschaltet und der Kurs des Schiffes hart nach Backbord gerichtet worden. Darauf habe MS T das Signal erwidert und entsprechend der Kursweisung -- vergeblich - versucht, an der Steuerbordseite von MS S vorbeizufahren.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Rheinschifffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das erstinstanzliche Grundurteil wieder hergestellt worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil nach seiner Auffassung ungeklärt geblieben ist, wie es zu dem Schiffszusammenstoß gekommen ist.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Berufungsgericht, wie die Revision mit Recht rügt, den Umfang der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten im Rahmen des § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO verkannt hat.
Nach der genannten Vorschrift ist die Ausfahrt aus einem Hafen, die, wie im Streitfall, nicht durch eine Signaleinrichtung geregelt ist, nur gestattet, wenn das Manöver ausgeführt werden kann, ohne daß andere Fahrzeuge gezwungen sind, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO räumt demnach der durchgehenden Schiffahrt in gewissem Umfange die Vorfahrt vor den von der Uferseite her kommenden Fahrzeugen ein (BGH VersR 1962, 1200, 1201). Der Bestimmung ist ferner zu entnehmen, daß der Ausfahrende das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zulässigkeit seines Manövers dartun und beweisen muß (BGH VersR 1965, 1146, 1147). Im Streitfall haben daher die Beklagten nachzuweisen, das MS „Schängel" auf Grund der Ausfahrt des MS T nicht gezwungen war, unvermittelt die Geschwindigkeit zu vermindern oder den Kurs zu ändern. Hierfür genügt nicht, wie das Berufungsgericht meint, der unbestrittene Vortrag der Beklagten, beide Schiffe hätten sich schon auf eine größere Entfernung, und zwar als MS T noch im Hafen gewesen sei, erkannt; auch habe die Führung des MS S keine Bedenken gegen die Ausfahrt gehabt und demgemäß kein Achtungssignal, sondern eine Kursweisung für den Ausfahrenden gegeben. Denn dieses Vorbringen hat im wesentlichen nur Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob und gegebenfalls wie man seitens des MS S auf die Ausfahrt des MS T Rücksicht zu nehmen hatte oder Rücksicht genommen hat. Hingegen gibt der erwähnte Vortrag nichts für die Feststellung einer nach § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO zulässigen Ausfahrt des MS T her. Insoweit hätten die Beklagten vielmehr zunächst vortragen und im Streitfall beweisen müssen, wie weit MS S noch entfernt war, als MS T die Hafenausfahrt passierte, welche Geschwindigkeit und welchen Kurs der Bergfahrer zu diesem Zeitpunkt einhielt, welche Kursweisung er für die unmittelbar nach dem Passieren der Hafenausfahrt durchzuführende Begegnung gab und mit welchem Kurs und welcher Geschwindigkeit MS T den Hafen verließ. Denn nur anhand dieser Umstände läßt sich beurteilen, ob MS T so ausgefahren ist, daß MS S nicht gezwungen war, unvermittelt die Geschwindigkeit zu vermindern oder den Kurs zu ändern.
Die Verkennung des Umfangs der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten im Rahmen des § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO durch das Berufungsgericht nötig bereits zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils, ohne daß es einer Prüfung der weiteren Rügen der Revision bedarf.
Im Hinblick auf die Einlassungen der Beklagten in den Vorinstanzen und die hierzu vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann der Senat über den Grund des Klageanspruchs vorab entscheiden (§ 304 Abs. 1, § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
1. Nach § 38 Nr. 1 Satz 1 RheinSchPolVO weisen die Bergfahrer beim Begegnen den Talfahrern den Weg. Diese haben der Kursweisung zu folgen (§ 39 Nr. 1 RheinSchPolVO). Will ein Schiff aus einem Hafen und anschließend zu Tal fahren, so ist es, solange es die Hafenausfahrt nicht passiert hat, noch kein Talfahrer. Dennoch besteht bereits zu diesem Zeitpunkt das Kursweisungsrecht des Bergfahrers, sofern der Ausfahrende vor der Vorbeifahrt des Bergfahrers den Hafen verlassen und auf dem Strom begegnen will. Denn nur dann läßt sich rechtzeitig Klarheit für den Begegnungskurs der Bergund Talfahrt schaffen. Der Bergfahrer muß deshalb dem Ausfahrenden eine Kursweisung nach § 38 RheinSchPolVO geben, wenn vorauszusehen ist, daß es mit dem Ausfahrenden zu einer Begegnung auf dem Strom kommen wird. Der Ausfahrende muß die Weisung des Bergfahrers befolgen, das Kurszeichen gegebenenfalls erwidern (§ 39 Nr. 2 RheinSchPolVO) und, wenn notwendig, den Kurs entsprechend der Weisung des Bergfahrers schon vor dem Passieren der Hafenausfahrt wählen. Zeigt demnach der Bergfahrer die blaue Seitenflagge oder das Blinklicht, so weist er dem Ausfahrenden den Weg für eine Steuerbordbegegnung; gibt er hingegen kein Zeichen, so ist sein Verhalten als Weisung an den Ausfahrenden zu verstehen, an Backbord vorbeizufahren. Dies alles berücksichtigen die Beklagten nicht hinreichend, wenn sie meinen, Hafenausfahrt und Begegnung zwischen Berg- und Talfahrt seien stets als zwei getrennte Vorgänge zu betrachten.
2. Nach dem Vorbringen der Beklagten in den Vorinstanzen war das linksrheinisch zu Berg kommende MS S etwa 100 m entfernt, als das Vorschiff des MS T den Strom erreichte. Wie die Beklagten weiter vorgetragen haben, wollte MS T nach dem Passieren der Hafenausfahrt zwischen MS S und MS G zu Tal fahren. MS T mußte daher unmittelbar nach dem Passieren der Hafenausfahrt den Kurs des bereits sehr nahe herangekommenen MS „Schängel" kreuzen. Dieses Manöver konnte die Führung des MS T aber nur dann ohne Verstoß gegen § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO ausführen, wenn MS S dem MS T Kurs für eine Backbordbegegnung gewiesen und sich seinerseits hierauf eingestellt hatte. Insoweit sind jedoch nach den rechtsfehlerfreien Ausführungen des Berufungsgerichts keine Feststellungen möglich gewesen, weil sich die Aussagen der Besatzungen der beiden unfallbeteiligten Schiffe widersprechen und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Bekundungen der Besatzung des einen Schiffes glaubwürdiger als die des anderen Schiffes sind. Demnach ist im Streitfall zu Lasten der - für die Zulässigkeit der Hafenausfahrt des MS T beweispflichtigen, insoweit aber beweisfällig gebliebenen - Beklagten davon auszugehen, daß der Beklagte zu 2 beim Verlassen des Hafens gegen § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO verstoßen hat. Daß er hierbei schuldhaft gehandelt hat, stellen auch die Beklagten nicht in Abrede, sofern man ihre Darstellung des Unfallhergangs nicht für festgestellt erachtet. Die Beklagten haben deshalb der Eignerin des MS S deren Unfallschaden als Gesamtschuldner zu ersetzen (§ 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO, § 823 Abs. 1 und 2 BGB, §§ 3, 4, 92 und 114 Abs. 1 BSchG, § 734 HGB, § 840 BGB).
Anhaltspunkte für ein etwaiges Mitverschulden des Matrosen 1. (MS S) bestehen nicht."