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Leitsatz:
Bei der Beurteilung der Frage der verminderten Sicht" ist die Ausrüstung eines Schiffes mit Radargerät zu berücksichtigen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 7. Juli 1960
II ZR 246/58
Zum Tatbestand:
An einem Novemberabend kam es bei nebligem Wetter gegen 19.15 Uhr zu einem Zusammenstoß zwischen dem mit 12 bis 14 km pro Std. und mit Radar ausgerüsteten, zu Tal fahrenden Motortankschiff A der Klägerin und dem mit 3 bis 4 km pro Std., ohne Anhänge zu Berg fahrenden Motorschlepper B der Beklagten zu 1 und 3, geführt vom Beklagten zu 2. Die Klägerin hat behauptet, im Radargerät des Tankers A habe man den Schlepper B schon auf eine Entfernung von 1500 m gesehen und bei einem Abstand von 250 m mit bloßem Auge wahrgenommen. Zu diesem Zeitpunkt sei von A Steuerbordsignal gegeben und Kurs nach Steuerbord genommen. Erst in einer Entfernung von 100 in habe B reagiert, jedoch nunmehr durch Blinkzeichen Begegnung an Steuerbordseite gewünscht und sei nach Backbord gefahren, wodurch es zum Zusammenstoß gekommen sei. Die Beklagten bestreiten diese Darstellung und führen den Unfall vor allem auf die bei dem nebligen Wetter angeblich zu hohe Geschwindigkeit des Motortankschiffes A zurück.
In den beiden Vorinstanzen wurde der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Auch die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 80 Nr. 2 müssen bei unsichtigem Wetter Talfahrer anhalten oder aufdrehen, sobald sie infolge der verminderten Sicht und mit Rücksicht auf den übrigen Verkehr oder die örtlichen Umstände die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können, während nach Nr. 3 Bergfahrer anhalten müssen, wenn sie beim Weiterfahren Gefahr laufen würden, bei einem auftauchenden Hindernis nicht rechtzeitig anhalten zu können. Nach der gesetzlichen Regelung dürfen Tal- und Bergfahrer ihre Fahrt nur fortsetzen, wenn dies ohne Gefahr geschehen kann, wenn sie also vor einem auftauchenden Hindernis rechtzeitig anhalten können. Die verschiedenartige Fassung der gesetzlichen Bestimmungen für Talfahrer einerseits und Bergfahrer andererseits erklärt sich aus der Natur der Sache: Der Bergfahrer kann regelmäßig auf verhältnismäßig kurze Entfernung zum Halten kommen, während der Talfahrer eine viel längere Strecke braucht, um das Fahrzeug abzustoppen und ständig zu machen. Die verschiedene Länge des Weges, der zum Anhalten benötigt wird, führt dazu, daß bei ungünstigen Sichtverhältnissen der Bergfahrer u. U. seine Fahrt noch fortsetzen darf, während sie der Talfahrer bereits einstellen muß. Mit Hilfe des Radargerätes wird die Sichtweite bedeutend vergrößert. Der Radarfahrer nimmt andere Schiffe wahr, die er mit den Augen noch nicht erkennen kann, und kann seine Fahrweise danach einrichten. Bei seinen nautischen Maßnahmen muß er berücksichtigen, daß Kurs und Geschwindigkeit anderer Fahrzeuge bei Radarbeobachtung viel schwieriger zu beurteilen sind als bei optischer Sicht, insbesondere muß er aber in Rechnung ziehen, daß andere Fahrzeuge nicht mit Radargeräten versehen sind und ihn daher nicht wahrnehmen können. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Augensichtweiten dieser Schiffe einen gefahrlosen Verkehr ermöglichen. In diesem Sinne ist die Radarausrüstung bei der Auslegung des Begriffes der verminderten Sicht" in § 80 Nr. 2 zu berücksichtigen, ohne daß es dabei einer Ergänzung oder Änderung der gesetzlichen Bestimmung bedurfte. Soweit die Zentralkommission auf Grund des § 102 Nr. 3 bei der Entscheidung über die Frage der Fortsetzung der Fahrt die Radarortung als nautisches Hilfsmittel zu berücksichtigen gestattete, liegt hierin entgegen dem Wortlaut dieser Anordnung keine Abweichung von der gesetzlichen Regelung. Das Berufungsgericht hat recht, wenn es in der Anordnung die Reglementierung einer gesetzlich zulässigen Maßnahme sieht. Die Ansicht der Revision, die Schiffsführung von A habe
durch Fortsetzung der Fahrt gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, wäre nur zutreffend, wenn aus dem Gesetz entnommen werden könnte, daß bei der Frage der verminderten Sicht die mit Hilfe von Radar gewonnene Sicht außer Betracht zu bleiben habe. Da dem nicht so ist, durfte A unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen die Fahrt fortsetzen.
Die Geschwindigkeit muß der verminderten Sicht angepaßt werden, wobei die örtlichen Umstände und der übrige Verkehr eine entscheidende Rolle spielen. Das Revier war, wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang festgestellt hat, weiträumig; das zwischen den Stilliegern befindliche freie Fahrwasser war etwa 240 m breit. Andere Schiffe als A und B waren auf dieser Strecke nicht in Fahrt. Diese - richtige - Wahrnehmung hat A auf dem Radarschirm gemacht. Dann war aber gegen die Fahrgeschwindigkeit nichts einzuwenden. Als die beiden Schiffe gegenseitig in Augensichtweite kamen, konnte A , wie ausgeführt, davon ausgehen, daß die Vorbeifahrt an Backbord stattfinden werde. Da A vorsorglich den Kurs noch nach Steuerbord richtete, war von ihrem nautisch einwandfreien Standpunkt aus mit keinerlei Gefahr zu rechnen. Zu einer Verminderung der bisherigen Geschwindigkeit bestand daher kein Anlaß.