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II ZR 230/88 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.06.1989
Aktenzeichen: II ZR 230/88
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Die Bestimmungen des Schubabkommens 1970 schließen den Anspruch eines Leichtereigners auf Ersatz der Kosten für die Bergung seines durch Verschulden der Besatzung des Schubbootes gesunkenen Fahrzeugs nicht aus.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 12. Juni 1989

II ZR 230/88

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Auf der Talfahrt geriet der Koppelverband MS „Limmat"/ SL „Arie" bei Rhein-km 513,8 infolge nautischen Fehlers des Schiffsführers von MS „Limmat" auf Grund, wodurch der Schubleichter leck schlug und sank.
Die Klägerin als Versicherin des SL „Arie" verlangt von den Beklagten, Eignerin des MS „Limmat" — Beklagte zu 1 — und Schiffsführer — Beklagter zu 2 —, Ersatz der Bergungskosten in Höhe von 245 000,— — HFL.
Die Beklagten lehnen die Zahlung ab, weil nach § 1 des vom Rechtsvorgänger der Klägerin und von der Beklagten zu 1 gezeichneten Schubabkommens 1970 der Schubbooteigner nur hafte „für die Schäden, die an dem Schubleichter während der Zugehörigkeit zum Schubverband entstanden sind, es sei denn, daß die Beschädigung des Schubleichters nicht auf seinem Verschulden oder auf dem Verschulden der Besatzung beruht". Bei den Bergungskosten handele es sich aber um keine Schäden an dem Schubleichter.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr stattgegeben.
Die Revision wurde zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Unstreitig ist SL „Arie" durch nautisches Verschulden des Beklagten zu 2 leck geschlagen und gesunken. Deshalb ist dieser dem Rechtsvorgänger der Klägerin nach § 823 Abs. 1 BGB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1.04 RheinSchPV zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens, also auch der Bergungskosten, verpflichtet. Die gleiche Verpflichtung trifft die Beklagte zu 1 nach § 3 Abs. 1 BinSchG. Allerdings haftet sie nur dinglich mit MS „Limmat" (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BinSchG) und beschränkt persönlich im Rahmen des § 114 Abs. 1 BinSchG. Die Haftungsbeschränkung kommt auch gegenüber einem vertraglichen Schadensersatzanspruch des Rechtsvorgängers der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1 zum Zuge (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 BinSchG). Wegen der Haftungsbegrenzung der Beklagten zu 1 greift, was in den Vorinstanzen nicht erörtert worden ist, nach § 8 Abs. 2 Satz 2 Schubabkommen 1970 — „Die Haftungsbeschränkung (des Schiffseigners) gilt, soweit sie gegeben ist, auch für die Besatzung" — auch eine Begrenzung der Haftung des Beklagten zu 2 entsprechend § 114 Abs. 1 BinSchG ein.
2. Das Berufungsgericht geht ohne weiteres davon aus, daß das Schubabkommen 1970 nicht nur für Schubverbände, sondern auch für Koppelverbände gilt (zum Unterschied der beiden vgl. die Begriffsbestimmungen in § 1.01 lit. d und e RheinSchPV).
...
3. Nach Ansicht des Berufungsgerichts schließt das Schubabkommen 1970, das im Wege der Schutzwirkung zugunsten Dritter auch den Beklagten zu 2 als „Schubbootführer" begünstige, die Haftung der Beklagten für die Kosten der Bergung des SL „Arie" nicht aus. Allerdings hafte der Schubbooteigner nach § 1 Satz 1 des Abkommens nur für die „an dem Schubleichter eingetretenen Sachschäden". Im Gegensatz zu der Meinung des Rheinschiffahrtsgerichts liege beim Sinken aber „geradezu der klassische Fall einer Sachbeschädigung an dem Schubleichter" vor. Dieser Vorgang erfasse nämlich den Leichter selbst in seiner gesamten Substanz und bewirke, daß dieser nicht mehr schwimmfähig, also auch nicht mehr für seinen bestimmungsgemäßen Zweck als Wasserfahrzeug verwendbar sei...."
...
4. Die Revision wendet sich gegen diese Ausführungen im Ergebnis ohne Erfolg.
a) Bei dem Schubabkommen 1970 handelt es sich um ein im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der Rheinschiffahrt e.V. erarbeitetes Vertragswerk. Zuvor hatte ein von dem Verband deutscher Rheinreeder e.V. veranlaßtes Abkommen vom 15. Januar 1968 über „Allgemeine Bedingungen der Schubschiffahrt für die Verträge über die Mitnahme fremder Schubleichter durch Schubboote" bestanden, dem seinerseits ein am 1. Juli 1963 von einigen Schubschiffahrtsreedereien getroffenes Abkommen über Schubbedingungen vorausgegangen war (vgl. die einleitenden Bemerkungen zu dem Schubabkommen 1970 in ZfB 1970, 315 sowie Pabst, Haftung in der Schubschiffahrt, 1984 S. 28 ff.; vgl. ferner die Redaktionsanmerkung in ZfB 1968, 288 f. zu dem Urt. des Rheinschiffahrtsobergerichts Köln v. 3. Mai 1968 — 3 U 219/ 67). Das Schubabkommen 1970 ist von nahezu allen Schubboot- und Schubleichtereignern aus den Rheinuferstaaten unterzeichnet worden und mit einer seine einzelnen Bestimmungen kommentierenden Erläuterung versehen (ZfB 1970, 316; Pabst a. a. 0. S. 139 ff.). Wegen seiner allgemeinen, nicht auf einen speziellen Sachverhalt bezogenen Abreden und seines das gesamte Bundesgebiet ergreifenden Geltungsbereichs unterliegt es der freien Auslegung durch das Revisionsgericht (so schon für das Schubabkommen 1963 das Senatsurt. v. 8. Dezember 1969 — II ZR 101/681, LM § 549 ZPO Nr. 83 = VersR 1970, 174).
b) Die Schubabkommen 1963, 1968 und 1970 regeln das Innenverhältnis zwischen dem Schubbooteigner und den Eignern der Schubleichter. Nach dem Schubabkommen 1963 hatte jeweils der einzelne Schiffseigner die Schäden, die sein Fahrzeug während der Schubfahrt erlitt, zu tragen; ferner haftete der Schubbooteigner grundsätzlich für alle Schäden Dritter. Diese Regelung, die von einer Risikogemeinschaft der Fahrzeuge in einem Schubverband ausging (vgl. die bereits erwähnte Redaktionsanmerkung in ZfB 1968, 288, 289), hatte sich von der im Binnenschiffahrtsrecht geltenden Verschuldenshaftung abgewendet. Zu dieser Haftung kehrte dann aber das Schubabkommen 1968 zurück, ebenso das dieses Abkommen in einigen Punkten erweiternde Schubabkommen 1970 (vgl. Pabst a. a. 0. S. 31 und 33; vgl. ferner die einleitenden Bemerkungen zu dem- Schubabkommen 1970 in ZfB 1970, 315 sowie die jeweilige Nr. 2 zu § 1 und § 2 der Erläuterungen zu diesem Abkommen). So sehen die §§ 1 — 3 Schubabkommen 1970 eine Verschuldenshaftung des Schubbooteigners bzw. der Eigner der Schubleichter — mit bestimmten hier nicht interessierenden Beweislastregeln — ausdrücklich vor. Das ist der eigentliche Sinn und Zweck dieser Bestimmungen. Das sie — insgesondere § 1 des Schubabkommens 1970 — außerdem die Ersatzansprüche eines geschädigten Schiffseigners auf dessen eigentlichen Sachschaden begrenzen und dessen — adäquaten — Sachfolgeschaden vom Ersatz ausschließen, kann hingegen nicht angenommen werden. Für eine derartige Annahme reicht nicht schon aus, daß die einzelnen Bestimmungen jeweils von Schäden sprechen, die an dem Schubleichter oder an anderen Fahrzeugen des Schubverbandes entstanden sind. Von einer solchen Formulierung können auch Sachfolgeschäden umfaßt werden, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb der ersatzpflichtige Schiffseigner von der Haftung für diese in aller Regel nicht unbeträchtlichen Schäden (z. B. Bergungskosten, Beiträge zur großen Havarei) befreit sein sollte. Auch hätte es im Falle einer solchen Haftungsbefreiung sowie im Hinblick auf die große Zahl der Vertragsparteien besonders nahe gelegen, diese ausdrücklich in das Abkommen aufzunehmen, wie es mit dem Ausschluß der Ersatzpflicht für kleinere Schäden unter 3000 DM in § 6 des Schubabkommens 1970 geschehen ist. Offenbar haben die Vertragschließenden aber von einer derartigen Bestimmung abgesehen, weil sie eine haftungsmäßig unterschiedliche Behandlung von Substanz- und Sachfolgeschäden nicht einführen wollten. In diese Richtung weisen die Erläuterungen zu dem Schubabkommen 1970 ganz deutlich. So heißt es in deren Nr. 1 zu § 1 des Abkommens, daß alle Schäden umfaßt werden, die bei Aufnahme des Schubleichters in den Verband noch nicht vorhanden waren, und daß hierzu auch die Schäden gehören, die entstehen, wenn ein Schubleichter sinkt, weil es sich hierbei ebenfalls um solche handelt, „die an dem Schubleichter erst während der Zugehörigkeit zum Verband entstanden sind". Ferner bemerken die Erläuterungen zu § 5 („Nutzungsverlust") des Abkommens, daß die Erstreckung der Schadensersatzpflicht auf den Ersatz des Nutzungsverlustes den allgemeinen Rechtsgrundsätzen entspricht und hier nur ausdrücklich klargestellt wird. Insoweit kann daher keine Rede von einer Ausnahme zu einem Ausschluß der Haftung für Sachfolgeschäden sein.
..."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.5 (Sammlung Seite 1264 f.); ZfB 1989, 1264 f.