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Leitsatz:
Der Umstand, daß ein Unternehmer des Güterkraftverkehrs vorsätzlich den Tarif unterboten hat, reicht nicht aus, um den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung im Falle der Nachforderung des Differenzbetrages zwischen tarifmäßigem und vereinbartem Entgelt zu begründen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 7. April 1960
II ZR 224/58
Zum Tatbestand:
Der Kläger verlangt von dem Beklagten unter Zugrundelegung des Reichskraftwagentarifs restliche Entgelte für durchgeführte Lkw-Transporte im Güterfernverkehr sowie für gelieferte Treibstoffe und Kraftfahrzeugteile. Der Beklagte beruft sich auf eine Vereinbarung, nach welcher der Kläger dem Beklagten jeweils 20 bis 25°/o der tarifmäßigen Fracht in der Weise zurückerstatten sollte, daß er ihm Treibstoffe und Kraftfahrzeugteile von entsprechendem Wert ohne Berechnung liefere. Eine Rückforderung sei gemäß § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da der Kläger als Leistender selbst gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen habe. Außerdem werde der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erhoben, da der Kläger von vornherein beabsichtigt habe, entgegen den Vereinbarungen Nachforderungen zu stellen.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben, soweit die Ansprüche nicht als verjährt angesehen worden sind. Die Revision beider Parteien blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit der Kläger Zahlung rückständiger Fracht verlangt, macht er einen Anspruch auf Erfüllung des inhaltlich durch den Tarif festgelegten Vertrages geltend. Auf einen solchen Anspruch kann § 817 Satz 2 BGB ohnehin weder unmittelbar noch entsprechend angewendet werden (BGH NJW 1955, 1755). Soweit die Klage auf Wertersatz für die Lieferungen an den Beklagten gerichtet ist, handelt es sich um unter § 23 Abs. 2 GüKG fallende Ansprüche auf Rückleistung tarifwidriger Zuwendungen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 3. März 1960 - II ZR 196/57 - ausgesprochen hat, ist die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht auf die Rückforderung übertariflichem Entgelts beschränkt. Sie erstreckt sich vielmehr auf jedwede Rückforderung tarifwidriger Zahlungen und Zuwendungen, gleichviel, wer sie gewährt und wer sie empfangen hat. Nach § 23 Abs. 2 Satz 3 ist bei Zuwendungen, die wie hier nicht in Geld bestehen, der dem Wert der Zuwendungen entsprechende Geldbetrag einzuziehen. Damit ist klargestellt, daß es für die Anwendbarkeit dieses Absatzes auch nicht darauf ankommt, ob das ursprünglich Geleistete oder an seiner Stelle Wertersatz verlangt wird.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der das Schrifttum weitgehend folgt, reicht der Umstand, daß der Unternehmer vorsätzlich den Tarif unterboten hat, nicht aus, um den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu begründen (BGH NJW 1955, 1755; BGH in Der Güterverkehr 1956, 40, beide Urteile m. Anm. von Fromm; BGH MDR 1959, 911 m. w. Nachw.). Die Richtigkeit dieses Standpunkts ergibt sich schon daraus, daß nach § 23 Abs. 3 GüKG auch bei vorsätzlichem Tarifverstoß des Forderungsberechtigten eine Nachforderung oder Rückforderung, die die Bundesanstalt auf sich überleiten kann, als bestehend vorausgesetzt wird (vgl. dazu im einzelnen das erwähnte Urteil in Der Güterverkehr 1956, 40). Die gegenteilige Auffassung würde im übrigen für Tarifverstöße Tür und Tor öffnen und damit den Zweck des Gesetzes gefährden. In den genannten Entscheidungen wird zwar nicht der Fall erörtert, daß der vorsätzlich gegen den Tarif verstoßende Unternehmer überdies von vornherein die gegenüber dem Vertragspartner verheimlichte Absicht hat, den Unterschiedsbetrag zwischen dem tarifmäßigen und dem vereinbarten Entgelt später nachzufordern, was der Beklagte dem Kläger zur Last legt. Das Vorhandensein einer solchen Absicht kann jedoch nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage führen.
Den Unternehmern des Güterkraftverkehrs und ihren Auftraggebern sollte jeder Anreiz genommen werden, von den tariflichen Bestimmungen abweichende Vereinbarungen zu treffen. Angesichts dieser auf allgemeinwirtschaftlichem Gebiet liegenden Ziele des Gesetzes erscheint der Auftraggeber, der bewußt tarifwidrige Abmachungen trifft, sich aber darauf verläßt, der Unternehmer werde keine Nachforderungen erheben, hinsichtlich seines Interesses an der Einhaltung dieser Vereinbarungen auch dann nicht hinreichend schutzwürdig, wenn der Unternehmer insgeheim von vornherein die spätere Geltendmachung von Nachforderungen beabsichtigt. Auch in einem solchen Fall schuldet der Auftraggeber das volle tarifmäßige Entgelt, ohne sich mit Erfolg auf treuwidrige Handlungsweise des Unternehmers berufen zu können.
Die Bedenken, die sich aus den Grundsätzen des redlichen Handelsverkehrs gegen das Verhalten des Unternehmers ergeben, rechtfertigen nicht, dem Auftraggeber den ihm aus der anfänglichen Einhaltung der tarifwidrigen Vereinbarungen erwachsenen Vorteil zu belassen. Das Güterkraftverkehrsgesetz trägt diesen Bedenken auf andere Weise Rechnung, nämlich dadurch, daß es in § 23 Abs. 3 die Uberleitung der Forderungen des vorsätzlich handelnden Unternehmers auf die Bundesanstalt ohne Fristsetzung ermöglicht und außerdem in § 98 gegen Tarifverstöße Ordnungsstrafen und selbst kriminelle Strafen androht. Es widerspräche seinem Wortlaut und seiner Zielsetzung, dem Unternehmer darüber hinaus den Anspruch auf Nachzahlung des tarifmäßigen Entgelts zu versagen.
Die Behauptung des Beklagten, der Kläger habe sich schon bei Aufnahme der Geschäftsverbindung nicht an die tarifwidrigen Vereinbarungen halten wollen, rechtfertigt hiernach nicht den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung.
Die Anschlußrevision sucht den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung weiter damit zu begründen, der Beklagte habe, ehe er mit dem Kläger wegen der Transporte in Verbindung getreten sei, die Transporte durch andere Unternehmer ausführen lassen, die ihm Rabatte" gewährt hätten. Unabhängig davon, ob diese Vergünstigungen mit dem Tarif in Einklang gestanden hätten oder nicht, habe der Kläger ihn nicht durch die Zusage von Rückvergütungen` von der Beibehaltung dieser Verbindungen abbringen dürfen. Dies sei schon nach § 1 UWG unzulässig gewesen.
Auch mit diesem Angriff kann die Anschlußrevision keinen Erfolg haben. Ist die Arglist, die die Anschlußrevision daraus herleitet, daß der Kläger von vornherein die Absicht gehabt habe, die Lieferungen später in Rechnung zu stellen, unbeachtlich, so kann es auch nicht darauf ankommen, ob er unter Verheimlichung dieser Absicht bezweckt und erreicht hat, daß der Beklagte seine Geschäftsbeziehungen zu andern Unternehmern löste. Ebensowenig ist es erheblich, ob der Kläger sich gegenüber seinen Konkurrenten wettbewerbswidrig verhalten hat, da daraus allenfalls Dritten, nicht aber dem Beklagten Ansprüche erwachsen könnten.