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Leitsätze:
1) Das Verhalten eines Schiffsführers, der sich mit seinem weitaus größeren Schiff neben ein anderes, offensichtlich nicht intaktes Fahrzeug legt, kann den Schaden, der aus dem Zusammenknicken dieses gefährdeten Schiffes entsteht, in adäquater Weise verursachen.
2) Rechtsirrig ist die Ansicht, daß jedes in einem Stapel neben anderen Fahrzeugen liegende Schiff für seine eigene Sicherheit verantwortlich sei. Ein Schiff, das sich neben ein anderes Fahrzeug legt, ist vielmehr dafür haftbar, daß es durch sein Anlegen und Liegenbleiben das andere Schiff nicht gefährdet.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 18. Oktober 1965
II ZR 216/63
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das dem Schiffseigner B gehörende und von ihm geführte, beim Kläger versicherte MS M (331 t, 38 m lang), lag im Duisburg-Ruhrorter Hafenkanal mit seiner Steuerbordseite in Richtung Hafenausgang an einer Umschlagstelle, um zu einer schon übernommenen Ladung von 260 t Langeisen, die mittschiffs auf einer Länge von 16,5 m lagen, noch Eisenbleche in den vorderen und hinteren Teil des insgesamt ca. 29 m langen Laderaums zuzuladen. An der Backbordseite des Schiffes lag E und auf diesem wiederum der der Beklagten zu 1 gehörende Schubleichter N (952 t, 67 m lang, 600 t Ladung). Für die Führung und Bewegung von N war der beklagte Kapitän zu 2 verantwortlich. Als E seinen Liegeplatz verließ, wurde der mit dem Kopf hafeneinwärts gerichtete Schubleichter mit der Heckhandwinde an MS M, an dessen Vorschiffpoller der Draht befestigt war, herangeholt. Dabei stieß die Backbordecke des achteren Schubrahmens mittschiffs gegen M. N blieb neben M liegen. Am anderen Morgen knickte M durch und sank.
Der Kläger verlangt Ersatz der dem Eigner von M erstatteten Schäden mit der Behauptung, dass N fehlerhaft verholt worden sei, nicht neben M habe liegenbleiben dürfen und außerdem falsch am Kai befestigt gewesen sei.
Die Beklagten bestreiten dies und haben vorgetragen, dass M nicht die nötige Festigkeit besessen habe und fehlerhaft beladen worden sei. Allein hierauf beruhe der Unfall.
Die Klage ist vom Rheinschiffahrtsgericht abgewiesen, vom Rheinschiffahrtsobergericht zu einem Drittel dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen. Die Anschlußrevision der Klägerin blieb ebenfalls im wesentlichen ergebnislos. Sie hatte lediglich insoweit Erfolg, als der durch den Anstoß auf M unmittelbar entstandene verhältnismäßig geringfügige Schaden in vollem Umfang zuerkannt worden ist.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Revision der Beklagten meint, das Verhalten des Schiffsführers von N sei für den Unfall nicht adäquat gewesen. Die Einwirkungen von N auf M seien so unbedeutend gewesen, daß sie generell und erfahrungsgemäß keineswegs als geeignet anzusehen seien, das Durchbrechen von „Manfred" herbeizuführen. Der Verkehr brauche nicht mit einer so außerordentlichen Schwächung des inneren Gefüges eines Schiffes zu rechnen, daß bereits eine harmlose Berührung und ein alltägliches Nebeneinanderliegen ein Durchbrechen zur Folge haben könnte. Möglich sei dieser Erfolg nur gewesen aufgrund einer äußerlich nicht wahrnehmbaren außergewöhnlichen Schwächung des Gefüges von M.
Der Revisionsangriff kann keinen Erfolg haben. Bei der Frage, ob eine Handlung einen Erfolg in adäquater Weise verursacht hat, sind zu Lasten des Handelnden stets jedenfalls diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die dem Handelnden bekannt waren (BGHZ 3, 261, 266 f). Dem beklagten Schiffsführer von N war, bevor er sein Schiff an die Seite von M verholte, bekannt, daß M kein intaktes Schiff war.
Die Revision der Beklagten meint, der Schiffsführer von N habe nicht schuldhaft gehandelt. Auch dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Dafür, daß die Beschädigung des Schiffes vom beklagten Schiffsführer schuldhafterweise herbeigeführt worden ist, spricht ein Anscheinsbeweis. Der Schiffsführer von N muhte erkennen, welche Gefahr von der den Schiffskörper überragenden Ecke des Schubrahmens eines Schiffes beim Verholen an die Seite von M ausging. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hat der beklagte Schiffsführer erkannt, daß M verladen war; er hat gesehen, daß die Ladung „nur in der Mitte des Schiffes" lag; er hat bemerkt, daß Außenwände und Tennebaum verzogen waren und sich eine Aufbeulung im Gangbord, „ein richtiger Buckel", befand; ihm waren also der Zustand von M und die damit verbundenen Gefahren bekannt. Mit Recht schließt daraus das Berufungsgericht, der beklagte Schiffsführer hätte angesichts dieser Erkenntnisse sein erheblich größeres und schwereres Schiff schon nicht an die Seite von M verholen dürfen. Erst recht habe er, als nach dem Anstoß die mangelnde Festigkeit von M durch das Eindrücken des Tennebaums zusätzlich in Erscheinung getreten sei, nicht neben dem gefährdeten MS M liegen bleiben dürfen. Er habe voraussehen können, dah beide Schiffe unter den Einwirkungen der vorbeigehenden Schiffahrt oft in Bewegung geraten mühten und daß dabei von N ein Druck ausgehen mühte, der die Gefahr für M habe steigern können. Hinzu komme, daß N fehlerhaft an der Kaimauer befestigt worden sei. Der beklagte Schiffsführer habe ebenso wie der Schiffsführer von „Manfred" bedenken müssen, daß sich der Druck, den N auf M beim Vorbeifahren anderer Schiffe ausübte, wegen der gebogenen Kaimauer, an der M lag, besonders ungünstig auswirken muhte.
Rechtsirrig ist die Ansicht der Revision, bei Schiffen, die im Stapel nebeneinander lägen, sei jedes Schiff nur für seine eigene Sicherheit verantwortlich. Wenn ein Schiff sich neben ein anderes legt, so ist es dafür verantwortlich, daß es nicht durch sein Anlegen und Liegenbleiben das andere Schiff gefährdet. Gewiß ist auch das andere Schiff für seine eigene Sicherheit verantwortlich; insoweit handelt es sich aber um eine Frage des Mitverschuldens.
Die Anschlußrevision hat recht, daß die durch den Anstoß unmittelbar entstandenen Schäden die Beklagten allein zu tragen haben. Wenn die Schiffsführung von M dem Schubleichter gestattet hat, sich neben M zu legen, so hat sie damit nicht in Kauf genommen, daß N beim Verholen unvorsichtig manövrieren würde. Den Feststellungen des angefochtenen Urteils kann auch nicht entnommen werden, daß die falsche Beladung für die durch den Anstoß unmittelbar entstandenen Schäden mitursächlich gewesen wäre. Das angefochtene Urteil muß daher in dieser Hinsicht bezüglich des Grundes des Schadensersatzanspruches geändert werden. Dagegen ist die Anschlußrevision im übrigen, also soweit es sich um die durch das Einkicken und Sinken von M entstandenen Schäden handelt, unbegründet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts steht es außer Frage, daß die falsche Beladung das Einknicken und Sinken von M mitverursacht hat. Der Eigner und Schiffsführer B. von M hat seine Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten dadurch verletzt, daß er das Schiff falsch beladen und trotz der ihm erkennbaren, seinem Schiff drohenden Gefahr es zugelassen hat, daß N sich neben sein Schiff legte und neben seinem an der gebogenen Kaimauer liegenden Schiff liegen blieb. Er muß sich sein mitwirkendes Verschulden nach § 254 BGB anrechnen lassen; entgegen der Meinung der Anschlußrevision scheidet eine Anwendung des § 92 BSchG in Verbindung mit § 736 HGB aus, da der Eigner von M gleichzeitig der Schiffsführer war. Dem Einwand aus § 254 BGB ist auch der Kläger ausgesetzt, der sein Recht von B. herleitet."