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II ZR 215/77 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 01.03.1979
Aktenzeichen: II ZR 215/77
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 3 BinnSchG
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Haftung des Eigners oder des Ausrüsters eines Schiffes gegenüber dem Eigentümer eines längsseits gekuppelten (zweiten) Schiffes, dessen Schiffsführer aus Gefälligkeit den Schiffer des ersten Schiffes am Ruder dieses Fahrzeugs vorübergehend abgelöst und dort durch Unterlassen gebotener Schallzeichen die Beschädigung des zweiten Schiffes infolge eines Schiffszusammenstoßes mitverschuldet hat.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 1. März 1979 

(Rheinschiffahrtsgericht Mainz; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Das bei dem Kläger versicherte MS B war auf der Rheinfahrt zu Tal längsseits an das von der Beklagten ausgerüstete MS W gekoppelt. Es wurde infolge falschen Begegnungskurses des bergwärts fahrenden MS E von diesem angefahren und so schwer beschädigt, daß es bald darauf sank. Zur Zeit des Unfalls wurde der Verband wegen eines Maschinenschadens an MS B allein vom MS W aus gesteuert, und zwar durch den Schiffsführer K. von MS B, während sich der Schiffsführer von MS W im Steuerhaus seines Schiffes schlafen gelegt hatte. Die Eigner von MS E haben ihr Schiff dem Eigner des MS B, das verschrottet werden mußte, zum Schadensausgleich zur Verfügung gestellt.

Soweit der Schaden hierdurch nicht gedeckt werden konnte, hat der Kläger Zahlung von fast 447 000,- DM verlangt mit der Behauptung, daß der Schiffsführer K. die Kollision mitverschuldet habe, weil er es unterlassen habe, MS E durch Schallzeichen auf seinen falschen Kurs aufmerksam zu machen.
Die Beklagte bestreitet jegliches Verschulden von Schiffsführer K. und meint, dafür keinesfalls zu haften, weil K. nicht Mitglied der Besatzung von MS W gewesen sei.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Frage offengelassen, ob Schiffsführer K. die Kollision durch das Unterlassen gebotener Schallzeichen mitverschuldet hat. Für die Revisionsinstanz ist deshalb ein derartiges Verschulden von K. zu unterstellen.

2. Nach § 3 Abs. 1 BinnSchG sind der Eigner oder der Ausrüster (vgl. § 2 Abs. 1 BinnSchG) eines Schiffes für den Schaden verantwortlich, den eine Person der Schiffsbesatzung einem Dritten in Ausführung von Dienstverrichtungen schuldhaft zufügt. Nach § 3 Abs. 2 BinnSchG gehören zur Schiffsbesatzung der Schiffer, die Schiffsmannschaft und alle übrigen auf dem Schiff angestellten Personen. Demnach kommt eine Haftung des Eigners oder des Ausrüsters eines Schiffes nach § 3 Abs. 1 BinnSchG nur für solche Personen in Betracht, die zu ihnen in einem D i e n s t - verhältnis stehen (vgl. BGHZ 3, 34, 39; 26, 152, 157; 57, 309, 313; 70, 113, 115 und 127, 129). Ein derartiges Verhältnis hat zwischen der Beklagten und Schiffsführer K. nicht vorgelegen. Mit Recht hat daher das Rheinschiffahrtsobergericht für den Streitfall eine unmittelbare Anwendung des § 3 Abs. 1 BinnSchG verneint.

3. Nicht zutreffend sind hingegen seine Ausführungen, soweit es auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift abgelehnt hat.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist der § 3 Abs. 1 BinnSchG sinngemäß heranzuziehen, wenn die Gleichheit der Interessenlage es erfordert, einem durch einen Schiffsunfall Geschädigten einen gleichartigen Schutz zu gewährend (BGHZ 57, 309, 313) 1). Demgemäß hat der Senat in dieser Entscheidung § 3 Abs. 1 BinnSchG entsprechend angewendet, um dem Eigentümer eines Segelbootes Schadensersatz gegen den Eigner eines Jollenkreuzers zuzubilligen, dessen Schiffer das Segelboot infolge eines nautischen Verschuldens beschädigt, jedoch in keinem Dienstverhältnis zu dem Eigner des Jollenkreuzers gestanden, sondern dieses Schiff nur aus Gefälligkeit geführt hatte. Dabei hat sich der Senat besonders von dem Gedanken leiten lassen, daß § 3 Abs. 1 BinnSchG den Schutz Dritter vor den mit dem Schiffsbetrieb verbundenen Gefahren bezweckt und es insoweit keinen Unterschied machen kann, ob es sich bei dem Schiffsführer, wie es die Regel ist, um einen Bediensteten des Schiffseigners handelt oder ob dieser die Führung des Schiffes nur aus Gefälligkeit übernommen hat.

Nicht anders liegt es, wenn eine Person, die nicht in den Diensten des Eigners oder des Ausrüsters eines Schiffes steht, den Schiffsführer aus Gefälligkeit vorübergehend am Ruder ablöst. Auch insoweit wäre es mit dem Schutzgedanken, der § 3 Abs. 1 BinnSchG zugrunde liegt, nicht zu vereinbaren, die Haftung des Schiffseigners oder des Ausrüsters für das nautische Fehlverhalten einer solchen Person zu verneinen. Das meint im Grundsatz offenbar auch das Rheinschiffahrtsobergericht. Jedoch hält es eine entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 1 BinnSchG dann nicht für möglich, wenn der zeitweilige Rudergänger des schädigenden Fahrzeugs mit dem Schiffsführer des beschädigten Fahrzeugs personengleich ist, weil in einem solchen Fall der Eigentümer dieses (zweiten) Fahrzeugs nicht als „Dritter" im Sinne der genannten Vorschrift angesehen werden könne. Das ist nicht richtig. Denn „Dritter" kann im Rahmen des § 3 Abs. 1 BinnSchG jedermann mit Ausnahme des Täters und des Eigners des schädigenden Schiffes sein (Mittelstein, Das Recht der Binnenschiffahrt S. 42; vgl. auch Vortisch/Zschucke, Binnenschifffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 3 Anm. 5 sowie RGZ 45, 50, 55). Davon abgesehen übt hier der fremde Schiffer, solange er auf dem anderen Fahrzeug dessen Schiffsführer am Ruder vertritt, die Funktion eines Rudergängers auf diesem (anderen) Fahrzeug aus; er ist damit insoweit bei dessen Betrieb tätig, und dessen Eigner oder Ausrüster ist daher folgerichtig auch für einen Schaden (jedenfalls mitverantwortlich, den jener schuldhaft dem Eigentümer des Schiffes zufügt, zu dessen Besatzung er im übrigen gehört.

4. Allerdings entbindet ihn eine solche Tätigkeit nicht von der Verantwortung für das eigene Fahrzeug. Das gilt auch dann, wenn dieses, wie hier, zu einer gemeinsamen Reise längs des anderen Fahrzeugs gekuppelt ist und von dort aus Antrieb und Steuerung der Fahrzeugzusammenstellung erfolgen. Zwar ist in einem solchen Fall der Schiffer des anderen Fahrzeugs zugleich der Führer der Einheit (§ 1.02 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 RheinSchPolVO). Diesem obliegt es daher, Kurs und Geschwindigkeit der Zusammenstellung zu bestimmen, für deren ordnungsgemäßes Steuern zu sorgen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die nach der jeweiligen Lage im Revier erforderlich sind. Jedoch hat auch der Schiffer, der nicht für die Führung der Einheit verantwortlich ist, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die sichere Führung des eigenen Fahrzeugs durch die Umstände geboten sind (§ 1.02 Nr. 5 Abs. 2 Satz 2 RheinSchPolVO). Dazu kann gehören, daß er den Führer der Fahrzeugzusammenstellung auf einen fehlerhaften Kurs derselben oder eines anderen Fahrzeugs im Revier aufmerksam macht (vgl. SenUrt. v. 30. 6. 69 - II ZR 193/67), VersR 1969, 989, 990) oder ihn in einer gefährlichen Lage auf die Notwendigkeit von Schallzeichen hinweist. Unterläßt er das, so kann ihn ein Mitverschulden an einer Beschädigung des eigenen Fahrzeugs treffen.

Nun ist bei dem derzeitigen Stand des Verfahrens (vgl. oben Ziff. 1) davon auszugehen, daß auf MS W keine Schallzeichen gegeben worden sind, obwohl das wegen des fehlerhaften Begegnungskurses des MS E geboten war. Es wäre deshalb im Interesse der Sicherheit des eigenen W auf die Notwendigkeit derartiger Zeichen hinzuweisen. Indes stand Schiffsführer K (MS B) zu diesem Zeitpunkt - anstelle des schlafenden Schiffers von MS W - selbst am Steuer dieses Fahrzeugs. Er hätte daher infolge seiner vorübergehenden Stellung als Rudergänger des MS W die erforderlichen Schallzeichen auch selbst geben können. Sein Unterlassen fällt demnach sowohl in den Bereich seiner Tätigkeit als Schiffsführer des MS H als auch in denjenigen als zeitweiliger Rudergänger auf MS W. Sein Fehler kann deshalb nur zu Lasten der Interessenten beider Fahrzeuge gehen. Daß dieser nach der einen Seite schwerer als nach der anderen wiegen soll, ist nicht ersichtlich. Soweit daher das Rheinschiffahrtsobergericht hilfsweise ausgeführt hat, letztlich schließe § 254 Abs. 1 BGB jeden Schadensersatzanspruch des Eigentümers von MS B gegen die Beklagte aus, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden.

5. Die Entscheidung über den Klageanspruch hängt demnach davon ab, ob Schiffsführer K. durch Unterlassen gebotener Schallzeichen die Kollision zwischen MS E und MS B mitverschuldet hat. Zur Klärung dieser vom Rheinschiffahrtsobergericht bisher nicht geprüften Frage war die Sache - unter Aufhebung des angefochtenen Urteils - zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Sollte dieses die Frage nunmehr bejahen, so wird es bei der Abwägung der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens (vgl. § 92 c Abs. 1 BinnSchG) auf die Grundsätze zu achten haben, die gelten, wenn an einem Schiffszusammenstoß drei „schuldige" Fahrzeuge beteiligt sind (vgl. SenUrt. v. 29. 6. 59 - 11 ZR 3/583), LM RheinschiffahrtspolizeiVO v. 4. 12. 1954 Nr. 3).