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II ZR 20/64 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 03.02.1966
Aktenzeichen: II ZR 20/64
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: RhSchPVO
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Unfallursächliches Verschulden für einen Schiffsunfall infolge vorschriftswidriger Anbringung des Blinklichts. Ein Bergfahrer, dessen gesetztes Blinklicht wegen falscher Anbringung für den Talfahrer nicht erkennbar ist, „zeigt" - rein objektiv - kein Blinklicht.

2) Schuldhaftes Verhalten eines Schiffsführers kann mit dem „Manöver des letzten Augenblicks" nicht entschuldigt werden, wenn die Gefahrensituation von dem Schiffsführer selbst herbeigeführt ist, in der er versagt hat.

3) Auch ein nicht üblicher Kurs ist erlaubt, es sei denn, daß er gefährlich ist. Bei unüblichem Kurs ist, wie sonst, die Weisung des Bergfahrers mattgebend.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 3. Februar 1966

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das leere, der Klägerin gehörende TMS R begegnete in der Dämmerung bei Filsen auf der Talfahrt rechtsrheinisch dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten, beladenen TMS D. Bei der Begegnung geriet der Steven von D gegen das Steuerbordachterschiff von R, wodurch beide Schiffe beschädigt wurden.
Die Klägerin verlangt Schadenersatz mit der Behauptung, dal3 TMS D ohne Blinklicht mehr linksrheinisch gefahren sei, während das ihm zu Berg folgende MS I - deutlich erkennbar durch das Blinklicht - das rechte Ufer angehalten habe. TMS R habe daher die Begegnung mit D auf Backbordseite und mit I auf Steuerbordseite vornehmen wollen. In einer Entfernung von 150 m habe D plötzlich nach entsprechendem Signal Backbordkurs genommen. Erst jetzt habe man das Blinklicht, das übrigens vorschriftswidrig nicht - wie üblich - am Ruderhaus, sondern an der Umkleidung der Steuerbrücke - etwa 1,20 bis 1,50 m von deren Vorderkante zurückgesetzt - unterhalb des grünen Positionslichtes befestigt gewesen sei, auf dem schräg liegenden Bergfahrer wahrgenommen. Darauf habe R ebenfalls unter entsprechender Signalgebung Backbordkurs gehalten. D habe anschließend aber wiederum Steuerbordkurs genommen und das Blinklicht abgestellt. Der Zusammenstoß sei bei der geringen Entfernung unvermeidlich gewesen.
Die Beklagten bestreiten das Vorbringen der Klägerin und berufen sich auf die angebliche Unüblichkeit des Rechtskurses des Talfahrers an der Unfallstelle. Deshalb habe D bei einer Entfernung von 250 m Backbordsignal gegeben, worauf R jedoch nicht reagiert habe. Zur Vermeidung einer Kollision habe der Schiffsführer von D bei einer Entfernung von 100 m das Blinklicht ausgeschaltet und habe Steuerbordsignal gegeben sowie entsprechenden Kurs genommen. Die darauf erfolgende Kursänderung nach Backbord durch R habe zum Zusammenstoff geführt.
Das Rheinschiffahrfsgericht hat der Klage zu 1/4, das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr zu 3/4 dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos. Auf die Anschlußrevision der Klägerin wurde die Klage in vollem Umfang dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach § 38 Nr. 3 b S. 2 RhSchPVO muss das Blinklicht von vorne und möglichst (insofern einschränkend gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 22 Abs. 1 RhSchPVO) auch von hinten sichtbar sein. Das Berufungsgericht hat den Ausdruck „von vorn" dahin ausgelegt, daf1 das Licht seine Strahlen nach vorne, von der Richtung querab gerechnet, in einem Winkel von mindestens 180° unbehindert aussenden muf). Diese Auslegung liegt nahe; der Fall gibt aber dem Senat keinen Anlaß, hierzu abschließend Stellung zu nehmen. Jedenfalls ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, dass ein Sichtwinkel nach Backbord von nur 8°, von der Längsachse des Schiffes aus gerechnet, den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt. Wenn die Beklagten das nicht erkannten, so beruht dies, wie im angefochtenen Urteil zutreffend angenommen ist, auf ihrem Verschulden.
Das Blinklicht war gelöscht, solange D Steuerbordkurs fuhr. Als es wieder in Tätigkeit gesetzt wurde, war es für den Talfahrer so lange nicht sichtbar, als dieser sich mehr als 8° über Backbord von D befand.Die Schiffsführung von D hat bereits in dieser Phase des Unfallgeschehens gegen § 37 Nr. 3 RhSchPVO verstoßen. Nachdem sie unter Löschung des Blinklichts Steuerbordkurs genommen hatte, mußte sie den Talfahrer an Backbord vorbeifahren lassen (§ 38 Nr. 2 RhSchPVO), durfte also nicht wieder Backbordkurs einschlagen. Von der Backbordbegegnung durfte und mußte (§ 39 Nr. 1 RhSchPVO) auch die Schiffsführung von R ausgehen. Soweit daher durch den Kurswechsel der D in etwa 200 m Entfernung bereits eine Gefahrenlage eingetreten ist, geht das zu Lasten dieses Schiffes. Nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe des Berufungsgerichts erscheint es ausgeschlossen, daß die Gefahr eines Zusammenstoßes bestanden hätte, wenn der Bergfahrer seinen Kurs nicht geändert hätte.
Ein weiteres unfallursächliches Verschulden des Schiffsführers von D hat das Berufungsgericht darin gesehen, daß D in der letzten Phase des Unfalls entgegen der von ihrer Schiffsführung erteilten Weisung zur Vorbeifahrt an Steuerbord den Kurs wieder geändert habe (§ 37 Nr. 3 RhSchPVO). D, deren Blinklicht in Tätigkeit gewesen sei, habe in einem Abstand von 200 bis 150 m vom Talfahrer Backbord-Schallsignal gegeben, habe dann aber ca. 100 m vor dem Talfahrer unter Abgabe eines Steuerbordsignals seinen Kurs wieder nach Steuerbord gerichtet; da der Talfahrer die vorhergehende Weisung des Bergfahrers zur Begegnung an Steuerbord inzwischen befolgt habe, habe es zwangsläufig zum Zusammenstoß kommen müssen. Die Voraussetzungen des § 5 RhSchPVO hält das Berufungsgericht nicht für gegeben.
Die Revision will das Verhalten des beklagten Schiffsführers mit einem Manöver des letzten Augenblicks entschuldigen. Damit kann sie keinen Erfolg haben, da die Schiffsführung von D selbst die Gefahrensituation herbeigeführt hat, in der sie versagt hat. Unerheblich ist, ob sie in dem Augenblick, als sie ihren nautisch völlig verfehlten Steuerbordkurs einschlug, bereits erkennbar war, daß der Talfahrer der nunmehr erkannten Weisung des Bergfahrers zur Vorbeifahrt an Steuerbord Folge leistete. Sie mußte entsprechend ihrer eigenen Weisung handeln und durfte keinesfalls bei einem Abstand von ca. 100 m ihren Kurs nochmals wechseln.

Das Berufungsgericht sieht ein Mitverschulden der Führung von D darin, daß sie entgegen der allgemeinen Übung der Talfahrt den Kurs am rechten Ufer gehalten hat; sie wäre, meint das Berufungsgericht, verpflichtet gewesen, weiter vom rechten Ufer abzubleiben, um sich den Sichtgegebenheiten in der Stromkrümmung besser anpassen und die optischen Signale der Bergfahrt früher erkennen zu können.

Nach dem unstreitigen Sachverhalt hatte die Fahrweise des Talfahrers nicht zur Folge, daß sich die beiden Schiffe nicht auf genügende Entfernung ausgemacht haben. D hatte - rein objektiv - kein Blinklicht „gezeigt", da es für den Talfahrer nicht erkennbar war. Dieser mußte und wollte daher an der Backbordseite des Bergfahrers vorbeifahren; er hat seinen Entschluß erst geändert, als er die Weisung des Bergfahrers zur Begegnung an Steuerbord erkennen konnte. Unerheblich ist, welcher Kurs üblich ist; auch ein nicht üblicher Kurs ist erlaubt, es sei denn, daß er gefährlich ist. Auch bei unüblichem Kurs ist die Weisung des Bergfahrers maßgebend. Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin zugestimmt werden, daß der Talfahrer durch Schallsignal sich Klarheit über die Begegnungsabsicht des Bergfahrers D hätte verschaffen müssen. Für den Talfahrer bestand keine Unklarheit über die ihm von D erteilte Weisung zur Begegnung an Backbord. Es konnte nicht damit rechnen, daß D mit einem nicht wahrnehmbaren, weil falsch angebrachten Blinklicht fuhr. Auch die scharfe Stromkrümmung bot für ihn keinen Anlaß dazu, mehr vom rechten Ufer abzuhalten oder Schallzeichen zu geben. Er hat das Blinklicht des hinter D fahrenden MS I erkannt und hätte auch das von D erkannt, wenn es der Vorschrift entsprechend von vorn sichtbar gewesen wäre. Bei dieser Sachlage hat der Talfahrer den Unfall nicht schuldhaft mitverursacht."