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Leitsatz:
Besteht bei der Durchführung von Bauarbeiten an einer Schiffahrtsstraße oder auf Grund der besonderen Beschaffenheit ihrer Sohle die Gefahr, daß Schiffe diese durch Schleifenlassen des Ankers beschädigen können, so ist der Eigentümer der Schiffahrtsstraße im eigenen Interesse gehalten, die Schiffahrtstreibenden auf diese Gefahr hinzuweisen.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 11. April 1988
II ZR 200/87
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort,
Schiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Als der der Beklagten zu 1 gehörende Gelenkverband im September 1983 den Wesel-Datteln-Kanal leer in Richtung Wesel befuhr, ließ der Beklagte zu 2 als Schiffsführer im Vorhafenbereich der großen Schleuse Friedrichsfeld den Heckanker des im Anhang fahrenden Schubleichters schleifen, um den Kurs zu halten. Der Anker beschädigte die im Rahmen von Erneuerungsarbeiten schon ausgebrachte, aber noch nicht durch eine Deckschicht geschützte Tonschicht auf einer Strecke von etwa 300 m.
Die Klägerin als Eigentümerin des Kanals verlangt etwa 80000,— DM Schadensersatz, weil der Beklagte zu 2 verbotswidrig den Anker im Kanal hatte schleifen lassen und dadurch den Schaden rechtswidrig verursacht habe.
Die Beklagten berufen sich vor allem darauf, daß keine Ankerverbotsschilder im Baustellenbereich aufgestellt gewesen seien und die Klägerin ein Mitverschulden treffe.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte, das Schiffahrtsobergericht hat sie in vollem Umfang für gerechtfertigt erklärt. Der Bundesgerichtshof hat das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Gewiß ist es den Schiffern verboten, ''Anker, Trossen oder Ketten schleifen zu lassen' (§ 6.18 'Nr. 1 BinSchStrO 1971 und 1985; § 6.18 Nr. 1 RheinSchPolVO 1981 und 1983; § 6.18 Nr. 1 MoselSchPVO 1981 und 1984; § 6.18 Nr. 1 DohauSchPVO 1970). Dadurch soll insbesondere vermieden werden, daß diese Gegenstände abreißen und zur Gefahr für andere Fahrzeuge werden (vgl. Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1983 § 6.18 Rn. 1). Hingegen hat dieses Verbot mit dem Schutz der Sohle von .Binnenwasserstraßen jedenfalls unmittelbar nichts zu tun. Das mag seinen Grund darin haben, daß diese normalerweise — auch bei Kanälen (vgl. BI. 3 des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen) — beim Schleifenlassen eines Ankers keinen Schaden erleidet, wie die Beklagten unwidersprochen dargelegt haben. Offenbar deshalb ist es auch gestattet, den Anker schleifen zu lassen für kleinere Bewegungen auf Liege- und Umschlagstellen oder beim erlaubten Treibenlassen (vgl. § 6.18 Nr. 2 BinSchStrO 1985; § 6.18 Nr. 2 RheinSchPVO 1983; § 6.18 Nr. 2 MoselSchPVO 1984). Auch ist es trotz des allgemeinen Verbots nicht ungewöhnlich, daß Schiffer bei Manövern (vgl. auch § 6.18 Nr. 2 DonauSchPVO 1970) den Anker grasen lassen, insbesondere um bei störenden Windoder Strömungsverhältnissen den Kurs halten zu können oder andere Fahrzeuge nicht zu gefährden. Das ist der Klägerin, deren Wasser- und Schiffahrtsverwaltung mit den nautischen Gepflogenheiten der Schiffsführer vertraut ist, nicht unbekannt. Ferner weiß sie, wo im Einzelfall bei Bauarbeiten oder einer besonderen Beschaffenheit der Sohle diese durch das Schleifenlassen eines Ankers beschädigt werden kann. Diese Umstände gebieten es ihr, schon im eigenen Interesse durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, daß es im Bereich derartiger Stellen keinesfalls zu einem Schleifenlassen des Ankers seitens einzelner Schiffsführer bei nautischen Manövern oder aus sonstigen Gründen kommt. Das kann durch das Aufstellen des Tafelzeichens A6 ('Ankerverbot und Verbot des Schleifenlassens von Ankern, Trossen oder Ketten), durch eine vorübergehende Anordnung oder einen besonderen Hinweis geschehen. Unterläßt sie das, so ist darin 'ein Verschulden gegen sich selbst` zu sehen, das nach § 254 BGB jedenfalls zu einer Kürzung ihres Schadensersatzanspruchs führen kann. Das liegt hier um so näher, weil bei einem Aufreißen der noch nichtverfestigten und ungeschützten Tonschicht durch einen schleifenden Anker ein — erkennbar — ungewöhnlich hoher Schaden drohte, wie auch durch die Höhe der Schadensersatzforderung der Klägerin belegt wird (§254 Abs. 2 BGB).
Davon abgesehen trifft die Klägerin noch aus einem anderen Grunde der Vorwurf eines Mitverschuldens an der Entstehung des streitigen Schadens. Die Klägerin hatte, was sie nicht näher bestreiten konnte und sich außerdem mittelbar aus der Verfügung der Wasser- und Schiffahrtsdirektion West vom 7. Februar 1986 an das Neubauamt Datteln ergibt, etwa bis Mitte 1985 die Gepflogenheit, an Kanalbaustellen vor dem Beginn von Sohlenarbeiten das Tafelzeichen A6 aufzustellen, wie es übrigens auch hier, allerdings erst nach dem streitigen Unfall, geschehen ist. Eine solche Ubung mußte oder konnte bei den Schiffsführern den Eindruck hervorrufen, daß an Baustellen, an denen sich das Tafelzeichen A6 nicht befunden hat, schleifende Anker keine Gefahr für die Kanalsohle darstellen. Auch der Beklagte zu 2 ist nach seinen unwidersprochenen Angaben in dem gegen ihn geführten Strafverfahren offensichtlich davon ausgegangen.
Grundsätzlich ist es Sache des Tatrichters, die in §254 BGB vorgesehene Abwägung der beiderseitigen Verantwortlichkeit durchzuführen. Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, daß das Revisionsgericht diese selbst vornehmen kann, wenn, wie hier, alle erforderlichen Feststellungen vom Tatrichter bereits getroffen sind. Die Abwägung führt — übereinstimmend mit den Ausführungen des Schiffahrtsgerichts — dazu, daß die Klägerin und die Beklagten (als Gesamtschuldner) jeweils die Hälfte des Schadens zu tragen haben. Die Klägerin hat es versäumt, die Gefährdung der Kanalsohle im Baustellenbereich bei Schleifenlassen eines Ankers durch einen besonderen Hinweis an die Schiffsführer deutlich zu machen. Der Beklagte zu 2 hat diesen Bereich unter Verstoß gegen die allgemeine Regelung des § 6.18 Nr. 1 BinSchStrO 1971 mit grasendem Anker passiert. Anhaltspunkte dafür, daß der Schaden vorwiegend von der Klägerin oder dem Beklagten zu 2 verursacht worden ist, bestehen nicht."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.4 (Sammlung Seite 1234); ZfB 1988, 1234