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II ZR 19/79 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 07.07.1980
Aktenzeichen: II ZR 19/79
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Ein Schiff darf stets nur so tief abgeladen werden, daß ein hinreichender Sicherheitsabstand zwischen seinem Boden und der tatsächlichen Mindesttiefe des Fahrwassers verbleibt.
2) Ein Schiff braucht beim Befahren des Rheins nur dann mit einer Sprechfunkanlage für die Verständigung von Fahrzeug zu Fahrzeug ausgerüstet zu sein, wenn das durch schiffahrtsrechtliche Vorschriften ausdrücklich vorgeschrieben oder von der Schiffsuntersuchungskommission angeordnet worden ist.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 7. Juli 1980

II ZR 19/79

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim; Rheinschifffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Bei der Backbord-Begegnung mit dem linksrheinisch zu Berg fahrenden TMS Z geriet das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte MS R bei km 302,5 am 19. 2. 1974 im Fahrwasser auf Grund und blieb kopfvor zu Tal stehen. Ebenso erging es anschließend dem ihm zu Tal folgenden, bei der Klägerin versicherten MS H, das zwischen der Steuerbordseite des festliegenden MS R und einem zur Kennzeichnung der rechten Fahrwassergrenze ausgelegten Wahrschaufloß hindurchfahren wollte. Als beide nun nebeneinanderliegende Fahrzeuge mit eigener Kraft freizukommen versuchten, näherte sich als 3. Talfahrer das der Streithelferin der Klägerin gehörende MS U, dem schon 1,5 km oberhalb das Festkommen der beiden Schiffe gewahrschaut worden war. Da seine Aufdrehversuche, zuerst über Backbord, dann über Steuerbord, mißlangen, geriet das Schiff in Querlage gegen das Heck von MS H, das dabei beschädigt wurde. MS R war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder freigekommen.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Ersatz des erstatteten Schadens von ca. 100 000,- DM, weil MS R zu tief abgeladen gewesen sei und durch sein Festkommen dem MS H den Weg versperrt habe, so daß letzteres beim Ausweichen nach Steuerbord außerhalb der im Unfallbereich engen Fahrrinne ebenfalls auf Grund geraten sei.
Der Beklagte bestreitet die zu tiefe Abladung von MS R, das bei der Begegnung mit TMS Z auf eine unbekannte Untiefe geraten sei. Außerdem habe der Bergfahrer das Wasser weggezogen. An der Steuerbordseite von MS R sei auch genügend Raum für eine sichere Vorbeifahrt von MS H vorhanden gewesen, gegen dessen Heck MS U nur deshalb gestoßen sei, weil dieses Schiff falsch aufgedreht und ein defektes Ankergeschirr gehabt habe.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt, wobei der Beklagte für 1/3 des gerechtfertigten Teils des Anspruchs allein, für 2/3 als Gesamtschuldner mit der Streithelferin und dem mit ihr haftenden Besatzungsmitglied des MS U hafte.

Die Beklagte erstrebt mit der Revision die vollständige Abweisung der Klage, die Klägerin mit der Anschlußrevision die volle Anerkennung ihres geltend gemachten Anspruchs. Das Revisionsgericht hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Rheinschiffahrtsobergericht zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:
„...
I. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, daß MS R zu tief abgeladen gewesen sei und sich deshalb festgefahren habe.

1. Zum Unfallzeitpunkt hielt die Wasser- und Schiffahrsverwaltung für die Strecke unterhalb Straßburg eine Mindesttiefe von 1,70 m für das Fahrwasser bezogen auf den gleichwertigen Wasserstand des Rheins vor. Das war in Schiffahrtskreisen allgemein bekannt (vgl. z. B. Editions de la Navigation du Rhin, Rheinatlas 1973 S. 16; das Aufstauen des Rheins oberhalb der Staustufe Gambsheim - Strom-km 309,1 - begann erst im März 1974, vgl. ZfBuW 1974, 165 und 415). Da nach der vom Rheinschifffahrtsgericht eingeholten Auskunft des Wasser- und Schiffahrtsamts Offenburg vom 5. April 1977 am Unfalltag der Wasserstand am Pegel Straßburg um 45 cm über dem gleichwertigen Wasserstand lag, ergibt sich eine tatsächliche Mindesttiefe des Fahrwassers von 2,15 m. Demgegenüber war - nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts - MS R auf 2,20 m, somit in jedem Falle zu tief abgeladen. Dem würde nicht entgegenstehen, falls das Schiff unter Benutzung des jeweils tiefsten Teils des Fahrwassers die Reise unterhalb Straßburg ohne die Gefahr einer Grundberührung hätte vornehmen können. Denn die Führung eines Schiffes muß auch damit rechnen, daß sie - beispielsweise bei Begegnungen, bei Überhol-, Dreh- oder Ausweichmanövern - den Teil des Fahrwassers befahren muß, dessen Tiefe nicht oder nur wenig unter die amtliche Sollsohle reicht. Deshalb darf ein Schiff stets nur so tief abgeladen werden, daß ein hinreichender Sicherheitsabstand zwischen seinem Boden und der tatsächlichen Mindesttiefe des Fahrwassers vorhanden ist.

2. Kommt ein Schiff, das zu tief abgeladen ist, im Fahrwasser fest, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß dieser Fehler den Unfall verursacht hat (vgl. Senatsurt. v. 15. Oktober 1979 - 11 ZR 80/77, VersR 1980, 65, 66). Diesen Beweis hat der Beklagte nicht erschüttert. Zwar hat er behauptet, MS R habe sich auf einer im Fahrwasser befindlichen unbekannten Untiefe festgefahren. Jedoch hat er für die Richtigkeit dieser - bestrittenen - Behauptung keinen Beweis antreten können.

...
II. Lädt ein Schiffer sein Fahrzeug für die vorgesehene Reise zu tief ab, so ist darin ein schuldhafter Verstoß gegen § 1.04 RheinSchPolVO zu sehen. Nach dieser Vorschrift haben die Schiffsführer über die Bestimmungen der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung hinaus alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen, welche die allgemeine Sorgfaltspflicht und die berufliche Übung gebieten, um Beschädigungen anderer Fahrzeuge oder Behinderungen der Schiffahrt zu vermeiden.
...
Demgegenüber kommt ein Verstoß des Beklagten gegen § 1.07 RheinSchPolVO nicht in Betracht. Diese Vorschrift betrifft, was die Anschlußrevision verkennt, allein die Verpflichtung der Schiffsführer, die durch Einsenkungsmarken am Schiffskörper gekennzeichnete größte Abladetiefe nicht zu überschreiten. Sie hat damit, ob ein Schiff wegen des tatsächlich vorhandenen Wasserstands einen zu großen Tiefgang hat, nichts zu tun.

III. Entgegen der Ansicht der Revision war der Verstoß des Beklagten gegen § 1.04 RheinSchPolVO adäquat ursächlich für das Festkommen des MS H und den nachfolgenden Zusammenprall zwischen diesem Fahrzeug und MS U. Dem stehen weder die von dem Berufungsgericht angenommenen Fehler der Führungen des MS H und des MS U noch der Umstand entgegen, daß - was das Berufungsgericht offen gelassen hat - der Steuerbordbuganker des MS U nicht einsatzfähig gewesen sein soll.

1. Es ist richtig, daß MS H bei dem vom Berufungsgericht festgestellten Tiefgang von 2,10 m im Hinblick auf die tatsächliche Mindesttiefe des Fahrwassers von 2,15 m ebenfalls zu tief abgeladen war. Jedoch zeigt schon die nicht geringe Zahl von Unfällen zu tief abgeladener Fahrzeuge, daß eine solche Beladung oder ein Festkommen derartiger Fahrzeuge innerhalb des Fahrwassers nicht ganz unwahrscheinlich ist.

2. Es liegt nicht, wie die Revision weiter meint, vollkommen außerhalb des Vorhersehbaren, daß es dem Schiffer von MS U nicht gelungen ist, sein Fahrzeug vor dem Erreichen der Unfallstelle ständig zu machen. Die beiden Aufdrehmanöver sind, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, mißlungen, weil der Schiffer das erste Manöver übereilt und an einer zu engen Stelle angesetzt hat. Derartige Fehler sind bei den schwierigen Fahrwasserverhältnissen am Oberrhein und der - unbestritten - starken Strömung zur Unfallzeit keineswegs außergewöhnlich. Ferner wird der adäquate Zusammenhang nicht dadurch beseitigt, daß der Steuerbordbuganker des MS U unklar gewesen sein soll und dieses Fahrzeug - nach den Angaben seines Schiffers - über keine Sprechfunkanlage für die Verständigung von Schiff zu Schiff verfügt hat. Eine solche Anlage brauchte das Schiff, wie noch auszuführen sein wird, nicht zu besitzen. Auch sind Mängel am Ankergeschirr jedenfalls nicht so selten, daß sie dem Bereich des Nichtvorhersehbaren zuzurechnen wären.

IV. Ohne Erfolg greift die Anschlußrevision mit einer Verfahrensrüge die Feststellung des Berufungsgerichts an, die Führung des MS H habe durch das zu tiefe Abladen ihres Fahrzeugs den streitigen Schaden mitverursacht (wird ausgeführt).
...

V. Mit Grund wenden sich Revision und Anschlußrevision hingegen gegen die Abwägung der Schwere des auf Seiten der drei Schiffsführungen obwaltenden Verschuldens (§ 92 Abs. 2, § 92c BinnSchG) durch das Berufungsgericht.

1. Insoweit hat das Berufungsgericht seine Ausführungen auf den Satz beschränkt, „das Verschulden (sei) auf allen drei Schiffen als gleich schwer einzuschätzen". Daraus läßt sich - auch im Zusammenhang mit dem weiteren Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils - nicht erkennen, aus welchen Gründen das Berufungsgericht zu dieser „Einschätzung" gekommen ist. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso das Verschulden des Schiffsführers von MS U, der ganz andere Fehler als die Schiffer des MS „Romaria" und des MS H begangen hat, jeweils gleich schwer wie das der beiden letzten wiegt, von denen seinerseits der Beklagte sein Fahrzeug noch tiefer als MS H abgeladen und es damit ganz besonders der Gefahr des Festkommens ausgesetzt hatte.
2. Das Berufungsgericht hat ferner den Vorwurf gegen den Schiffer des MS U, die Talreise auf dem stark strömenden Oberrhein mit nicht einsatzfähigem Steuerbordbuganker angetreten zu haben, nicht geprüft und ihn deshalb, sofern er berechtigt ist, bei der Schuldabwägung nicht berücksichtigen können.
...
3. Rechtlich nicht beizutreten ist außerdem der - offenbar bei der Schuldverteilung mit verwerteten - Ansicht des Berufungsgerichts, es sei vorwerfbar, daß ein Schiff von der Größe des MS U im Jahre 1974 noch ohne Sprechfunkanlage für die Verständigung von Schiff zu Schiff gefahren sei:
Nach der ausdrücklichen Regelung der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung müssen Radarfahrer sowie Schub- und Schleppverbände von einer bestimmten Länge an mit einer Sprechfunkanlage für die Verständigung von Fahrzeug zu Fahrzeug ausgerüstet sein (§ 6.33 Nr. 1, §§ 8.06, 8.12 Nr. 1). Für alle anderen den Rhein befahrenden Schiffe ist die Frage einer solchen Ausrüstung nach der allgemeinen Regelung des § 1.08 Nr. 1 RheinSchPolVO zu beurteilen. Danach müssen Fahrzeuge so gebaut und ausgerüstet sein, daß die Sicherheit der an Bord befindlichen Personen und der Schiffahrt gewährleistet ist und die Verpflichtungen aus der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung erfüllt werden können. Diese Bedingungen gelten nach § 1.08 Nr. 3 RheinSchPolVO als erfüllt, wenn das Fahrzeug mit einem Schiffsattest nach der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe versehen ist, Bau und Ausrüstung den Angaben des Attestes entsprechen und das Fahrzeug nach den Vorschriften der Untersuchungsordnung betrieben wird. Daß MS U nach dem Inhalt des Schiffsattestes mit einer Sprechfunkanlage für die Verständigung von Fahrzeug zu Fahrzeug hätte ausgerüstet sein müssen, kann mangels einer solchen Feststellung des Berufungsgerichts nicht angenommen werden. Die Untersuchungsordnung für Rheinschiffe selbst sieht aber nicht die allgemeine Ausrüstung von Schiffen mit einer derartigen Anlage vor; sie befaßt sich mit der Ausrüstungsfrage nur im Zusammenhang mit der „Sondereinrichtung des Steuerhauses für die Führung des Schiffes durch eine Person bei der Radarfahrt" (§§ 9.01 f. RheinSchUO). Das Fehlen einer Sprechfunkanlage für die Verständigung von Fahrzeug zu Fahrzeug auf MS „Ursula" kann daher den Vorwurf mangelhafter Ausrüstung nicht rechtfertigen. Sollte das Berufungsgericht die Notwendigkeit für den Einbau einer solchen Anlage aus der in § 1.04 RheinSchPolVO umschriebenen allgemeinen Sorgfaltspflicht herleiten, so verkennt es, daß die Anforderungen, die an den Bau und die Ausrüstung eines Fahrzeugs zu stellen sind, das den Rhein befährt, sich grundsätzlich aus der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe ergeben (Senatsurt. v. 29. März 1973 - II ZR 8/71, LM § 92 BinnSchG Nr. 19 = VersR 1973, 613 f). Deshalb kann es einem Schiffseigner oder Schiffsführer in aller Regel nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn auf ihrem Fahrzeug eine - wie die Sprechfunkanlage für die Verständigung von Fahrzeug zu Fahrzeug - die Sicherheit der Schiffahrt erhöhende technische Neuerung fehlt, solange diese weder allgemein durch die Untersuchungsordnung für Rheinschiffe oder speziell für ihr Fahrzeug im Schiffsattest vorgeschrieben ist. Die gegenteilige Auffassung würde einen Schiffseigner oder Schiffsführer mit einer Verantwortung belasten, die zum Bereich der Schiffsuntersuchungskommission und derjenigen Personen gehört, deren Aufgabe es ist, die Vorschriften der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe - auch im Interesse einer einheitlichen Handhabung der Dinge - der jeweiligen technischen Fortentwicklung in Sicherheitsfragen anzupassen.
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