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Leitsatz:
Zu der Pflicht des Besitzers eines Wasserbauwerkes auf wesentliche Veränderungen des Wassers oder seiner Schwebstoffe zu achten und zu prüfen, ob durch eine solche Veränderung die Sicherheit des Bauwerks beeinträchtigt wird.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 12. Oktober 1978
II ZR 185/76
(Landgericht Verden; Oberlandesgericht Celle)
Zum Tatbestand:
Infolge einer am 16. November 1971 erfolgten Explosion in der Kammer eines Wehrsektors einer Weserstaustufe löste sich der Sektor und trieb talwärts. Das auslaufende Wasser riß einen vom Kläger als Pächter betriebenen, in der unteren Stauhaltung verankerten Aalschokker einige Kilometer mit. An dem Fahrzeug und seinem Fanggerät entstanden erhebliche Schäden.
Der Kläger verlangt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Ersatz der Schäden in Höhe von ca. 25000 DM, weil Bedienste der Beklagten den Unfall verschuldet hätten. Diese hätten am 15./16. November 1971 Reinigungs- und Wartungsarbeiten in der sonst mit Wasser gefüllten Sektorkammer ausgeführt. Aus dem auf dem Boden der Kammer angesammelten Schlamm sei methanhaltiges Faulgas freigeworden, das mit der in der Kammer befindlichen Luft ein explosives Gemisch gebildet habe. Dessen Explosion habe das Lösen des Wehrsektors bewirkt.
Die Beklagte bestreitet ein Verschulden ihrer Leute.
Beide Vorinstanzen haben den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die - zugelassene - Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Schäden, welche der Kläger von der Beklagten ersetzt verlangt, stellen auch insoweit Folgeschäden der ihm zugefügten Besitzverletzung dar, als es um den Ersatz der Wiederherstellungskosten für den Aalschokker nebst Fanggerät geht (vgl. BGH, Urt. v. 13. 7. 1976 - VI ZR 78/75, LM BGB § 249 Bb Nr. 23 = VersR 1976, 943, 944). Die Angriffe, welche die Revision zu diesem Punkte erhoben hat, scheitern im wesentlichen bereits daran, daß die Beklagte die vertragliche Pflicht des Klägers, „für die Instandhaltung und Instandsetzung" des von ihm gepachteten Fahrzeugs aufzukommen, in den Vorinstanzen nicht bestritten hat und das im Revisionsrechtszug, nicht mehr nachholen kann (vgl. § 561 ZPO).
...
Nach Ansicht des Berufungsgerichts haftet die Beklagte für die - auch der Höhe nach streitigen - Schäden des Klägers nach § 836 Abs. 1 BGB. Dem ist zuzustimmen:
a) Zunächst scheitert die Anwendung dieser Vorschrift nicht schon daran, daß der Aalschokker und das Fanggerät erst durch die Kraft des Wassers beschädigt worden sind, das - nach dem Lösen des Sektors aus der Wehranlage - aus der oberen Stauhaltung ausgelaufen ist. Denn auch ein solcher Sachverhalt fällt unter den Tatbestand des § 836 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 30. 5. 1961 - VI ZR 310/56, VersR 1961, 803, 805; RGZ 97, 112, 114; RG HRR 1930, 1104; RG WarnRspr. 1913 Nr. 417).
b) Ferner bestehen keine Zweifel daran, daß sich der rechte Sektor der Wehranlage L. infolge mangelhafter Unterhaltung der Anlage durch die Beklagte gelöst hat.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts befand sich am 15./16. November 1971 in der Kammer dieses Sektors eine Schlammablagerung von 15 bis 20 cm Höhe, die wegen der darin enthaltenen organischen Substanzen methanhaltiges Faulgas entwickelte. Hiervon reichte, wie das Berufungsgericht weiter festgestellt hat, bereits ein Bruchteil, um nach dem Entleeren der - im Betriebszustand mit Wasser gefüllten - Kammer mit der einströmenden Luft ein explosives Gemisch zu bilden. Dieser Gefahr, welche die Standfestigkeit der Wehranlage (und damit auch die Sicherheit der Fahrzeuge in der oberen und in der unteren Stauhaltung) bedrohte, hätte die Beklagte im Rahmen der ihr für die Staustufe obliegenden Unterhaltungspflicht begegnen müssen. Das hätte durch ständiges Spülen der Kammer mit einem Frischluftstrom bis zum völligen Entfernen der Schlammablagerung erfolgen können, wie es von der Beklagten seit der Explosion am 16. November 1971 offenbar auch gehandhabt wird.
...
c) Schließlich ist dem Berufungsgericht auch darin zu folgen, daß das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten schuldhaft war. Im einzelnen hat das Berufungsgericht hierzu ausgeführt:
Die Beklagte habe in früherer Zeit nicht mit der nur bei Faulschlamm zu erwartenden Gasbildung rechnen müssen, weil Flußschlamm damals in weit überwiegendem Maße anorganischen Ursprungs gewesen sei und anorganischer Schlamm keine Gasbildung zur Folge habe. Das habe sich aber nach den Darlegungen des Sachverständigen R. seit längerem geändert, weil sich in den letzten Jahrzehnten, insbesondere seit etwa 1960, die organische Verschmutzung der Flüsse in der Bundesrepublik Deutschland erhöht und gleichzeitig das Ausmaß anorganischer Verunreinigungen vermindert habe. Anlaß hierfür sei einerseits die Einleitung von immer stärker mit organischen Verunreinigungen belasteter Abwässer in die Flüsse gewesen, während sich andererseits durch deren Ausbau zur Energiegewinnung und im Interesse der Schifffahrt sowie durch gezielte Maßnahmen des Erosionsschutzes in den Flußbetten die Anteile von Geschiebe und Schwebstoffen anorganischen Ursprungs im Flußwasser verringert hätten. Auch sei die Bildung von Faulschlamm noch dadurch gefördert worden, daß mit dem Ausbau der Flüsse die Fließgeschwindigkeit des Wassers und damit die natürliche Spülung der Flußsysteme reduziert worden sei. Hätte die Beklagte diese allgemeine Entwicklung beobachtet und auf mögliche Folgen für die vorhandenen Wasserbauwerke untersucht, dann wäre ihr die Gefahr von Faulgasbildung in abgeschlossenen Teilen ihrer Wehranlagen nicht verborgen geblieben.
Die Revision wendet sich gegen diese Ausführungen ohne Erfolg. Es mag zutreffen, daß es zum Unfallzeitpunkt keinen Hinweis im Fachschrifttum auf die Gefahr von Faulgasexplosionen in abgeschlossenen Teilen einer Wehranlage gab und zuvor in der Ausbildung der Wasserbauingenieure nicht auf eine derartige Gefahr hingewiesen worden ist. Es mag ferner sein, daß bis zu diesem Zeitpunkt weder die Bundesanstalt für Gewässerkunde noch die Herstellerin der im Jahre 1960 errichteten Wehranlage deren Gefährdung durch Bildung von Faulgas in Schlammablagerungen erkannt hatte und der Anteil organischer Stoffe im Flußschlamm auch jetzt noch beträchtlich unter demjenigen im Klärschlamm liegt. Auch kann zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, daß sich der mittlere jährliche Schwebstoffgehalt für die Weser in den Jahren von 1971 bis 1974 keinesfalls vergrößert hat und in den Jahren 1961 bis 1970 mehrfach Hochwässer mit einem reinigenden Effekt aufgetreten sind. Das alles konnte jedoch nicht die Pflicht der Beklagten berühren, von sich aus auf wesentliche Veränderungen des Flußwassers oder seiner Schwebstoffe zu achten und zu prüfen, ob diese ihren Wasserbauwerken gefährlich werden konnten, für deren Sicherheit sie allein verantwortlich ist und von deren Standfestigkeit vielfach die Abwendung erheblichen Gefahren und Schäden abhängt."