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Leitsatz:
Es beruht auf einem Verschulden der Besatzung eines Schiffes, wenn auf ihm ein in gehöriger Entfernung abgegebenes Schallsignal nicht gehört wird, es sei denn, daß besondere Umstände vorliegen, die die Nichtwahrnehmung entschuldigen. Zu solchen Umständen gehört nicht der Maschinenlärm des Schiffes, andernfalls die Schallsignale der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung weitgehend ihre Bedeutung verlieren würden.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 1. April 1965
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
An einem Aprilmorgen um 4 Uhr fuhr MS L, bei der Klägerin zu 1 gegen Unfallschäden, bei der Klägerin zu 2 gegen Ladungsschäden versichert, aus der Ruhrmündung zu Tal. Nach Erreichen des Stromes wurde es auf seiner Steuerbordseite mittschiffs von dem aus dem Hafenkanal zu Berg kommenden MS R, gehörend der Beklagten zu 1, geführt vom Beklagten zu 2, angefahren und erlitt erhebliche Schiffs- und Ladungsschäden. MS R wurde nicht beschädigt. Beide Schiffe haben die vorgeschriebenen Ausfahrtssignale vor Ausfahrt aus der Ruhr bzw. aus dem Hafenkanal abgegeben.
Die Klägerinnen verlangen Ersatz der an MS L und an der Ladung entstandenen Schäden.
Die Klage wurde vom Rheinschiffahrtsgericht abgewiesen, vom Rheinschiffahrtsobergericht dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision beider Parteien wurden dem Grunde nach die Klageansprüche gegenüber der Beklagten zu 1 zu zwei Drittel, gegenüber dem Beklagten zu 2 zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Ursächliches Verschulden der Besatzung von MS R:
1. Auf R ist das Ausfahrtschallsignal (§ 50 Nr. 3 RhSchPVO) von L, das - wie die Feststellungen im angefochtenen Urteil ergeben - in einer Entfernung von ca. 300 m rechtzeitig abgegeben worden ist, nicht gehört worden. Es muß an dem Grundsatz festgehalten werden, daß es auf einem Verschulden der Besatzung eines Schiffes beruht, wenn auf ihm ein in gehöriger Entfernung abgegebenes Schallsignal nicht gehört wird, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, die die Nichtwahrnehmung entschuldigen. Zu solchen Umständen gehört nicht - was das Berufungsgericht verkannt hat - der Maschinenlärm des Schiffes. Wollte man diesen als Entschuldigungsgrund gelten lassen, so würden die Schallsignale der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung weitgehend ihre Bedeutung verlieren und die Unaufmerksamkeit der Schiffsbesatzung bliebe frei von Verantwortung. Wenn der auf R als Ausguck aufgestellte Matrose das Ausfahrtsignal von L nicht hörte, so muss dies auf seine Unaufmerksamkeit und Sorglosigkeit zurückgeführt werden, die sich vielleicht aus den Umständen - Sonntagmorgen um 4 Uhr - erklären, aber nicht entschuldigen läßt. Irgendwelche besonderen Umstände, die das Überhören des Signals rechtfertigen könnten, sind von den Beklagten nicht behauptet. Bei Wahrnehmung des Signals wäre der Zusammenstola vermieden worden.
2. Aber auch abgesehen hiervon trifft die Besatzung von R, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat, der Vorwurf fehlerhaften nautischen Verhaltens bei der Ausfahrt. MS R hätte so ausfahren müssen, daß es in gestreckter Lage in ausreichender Entfernung von dem Molenkopf auf den Strom gekommen wäre"; nur so hätte es rechtzeitig den Überblick auf Oberstrom bekommen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber R fast querliegend in unmittelbarer Nähe des Molenkopfes mindestens 50 m in den Strom hineingeschossen. Das war fehlerhaft.
Ursächliches Verschulden der Besatzung von MS L.
Auf L ist das Ausfahrtsignal von R nicht gehört worden. Die obigen Ausführungen gelten auch hier. Daraus ergibt sich, dass es nicht darauf ankommt, ob die Frau des Schiffsführers in dem Zeitpunkt, in dem R sein Ausfahrtsignal gab, an Deck war oder nicht. Besondere Umstände, die das Oberhören des Ausfahrtsignales rechtfertigen könnten, haben die Klägerinnen nicht behauptet.
Abwägung:
Mit Recht greift die Revision der Klägerinnen die vom Berufungsgericht vorgenommene hälftige Schadenstellung an. Beiden Schiffsbesatzungen fällt gleich schwer zu Last, daß sie das Ausfahrtsignal des anderen Schiffes nicht gehört und sich nicht entsprechend vorsichtig verhalten haben. Dafür hat, soweit auf R das Signal nicht gehört worden ist, die beklagte Schiffseignerin, nicht aber der beklagte Schiffsführer einzustehen, da nicht diesen, sondern das als Ausguck aufgestellte Besatzungsmitglied insoweit ein Verschulden trifft. Den Schiffsführer von R trifft aber der Vorwurf, nautisch besonders fehlerhaft aus dem Hafenkanal hinausgefahren zu sein. Dem Senat erscheint eine Schadensverteilung von 2 (Beklagte zu 1) 1 (Klägerinnen) und eine solche von 1 (Beklagter zu 2) : 1 (Klägerinnen) angemessen. Demnach war gemäß §§ 254, 823, 840 BGB, §§ 92, 114 BSchG, § 736 HGB, §§ 304, 565 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu entscheiden wie geschehen."