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Leitästze:
1) Zur Frage der Abgrenzung der Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte gegenüber den Schiffahrtsgerichten.
2) Die Rheinschiffahrts(ober)gerichte sind nur für Rheinschiffahrtssachen, für diese jedoch nicht ausschließlich zuständig.
3) Ist eine Sache, die nicht Rheinschiffahrtssache ist, bei einem Rheinschiffahrtsgericht anhängig, so ist die Sache auf Antrag an das von den Parteien vereinbarte oder an das zuständige Gericht zu verweisen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 5. Mai 1966
II ZR 174/64
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln).
Zum Tatbestand:
Die Klägerin war Eigentümerin des bei Emmerich am 7. Oktober 1960 verunglückten Fährschiffes T. Sie hat gegen die Beklagten zu 1 - 3, darunter gegen die Bundesrepublik Deutschland, Klage wegen Amtspflichtverletzung erhoben und die Zahlung von 4 500 000 DM Schadensersatz verlangt. Sie behauptet, daß ein Verwaltungsangestellter als Mitglied der Schiffsuntersuchungskommission beim Wasser- und Schiffahrtsamt Köln dadurch seine Amtspflicht verletzt habe, daß er die Abfahrt des die T überführenden Schleppzuges mündlich genehmigt habe, ohne daß die Kommission die Tauglichkeit der Einheiten des Schleppzuges für die Überführung nach Holland geprüft habe.
Die Beklagte zu 1 hat in erster Linie die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Rheinschiffahrtsgerichts gerügt mit der Begründung, daß es sich um eine Binnenschiffahrtssache handele, die nicht eine Rheinschiffahrtssache sei.
Über diese Einrede der Unzuständigkeit wurde abgesondert entschieden. Das Rheinschiffahrtsgericht und das Rheinschiffahrtsobergericht haben die Einrede der Unzuständigkeit verworfen. Die Revision der Beklagten hatte insoweit Erfolg, als die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Schiffahrtsgericht verwiesen wurde.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Nach § 2 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen vom 27. September 1952 (BGBI III 310 - 5; BSchVerfG) sind (von Strafsachen abgesehen) Binnenschiffahrtssachen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die mit der Benutzung von Binnengewässern durch Schiffahrt oder Flößerei zusammenhängen und bestimmte, in der genannten Vorschrift näher bezeichnete Ansprüche zum Gegenstand haben. Zu den Binnenschiffahrtssachen gehören auch die Rheinschiffahrtssachen, wie sich aus § 14 Abs. 1 des Gesetzes ergibt und durch die neue Bezeichnung „Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrfssachen", die das Gesetz durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des BSchVerfG vom 15. Mai 1965 (BGBI 1, 389) erhalten hat, verdeutlicht worden ist. Aber nicht alle Binnenschiffahrtssachen, die mit der Benutzung des Rheins durch Schiffahrt oder Flößerei zusammenhängen und die in § 2 BSchVerfG bezeichneten Ansprüche zum Gegenstand haben, sind Rheinschiffahrtssachen im Sinne des Gesetzes, sondern nur solche, in denen Klagen der in Art. 34 Nr. 11 der revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 (BGBI III 310 - 6) bezeichneten Art anhängig sind. Hiernach fallen nur bestimmte Gruppen der den Rhein betreffenden Binnenschiffahrtssachen unter den engeren Begriff der Rheinschiffahrtssachen.
Die Schiffahrtsgerichte und Schiffahrtsobergerichte sind keine besonderen Gerichte, sondern ordentliche Gerichte, die gegenüber den sonstigen ordentlichen Gerichten die Besonderheit aufweisen, daß die sachliche Zuständigkeit im ersten und zweiten Rechtszug (nicht im dritten Rechtszug, § 545 Abs. 1 ZPO, vgl. § 130 BSchG) und der Rechtsmittelzug abweichend von den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes geregelt ist. Dieser schon nach früherem Recht geltende Rechtszustand (vgl. RGZ 167, 305, 307: hat durch das BSchVerfG keine Änderung erfahren. Ebenso wenig sind die Rheinschiffahrtsgerichte und Rheinschifffahrtsobergerichte besondere Gerichte, auch sie üben die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit aus (§ 12 GVG; BGH2 18, 267, 269; Stein-Jonas ZPO 19. Auflage, Vorbemerkung II E 5 vor § 1; a. A. - ohne Begründung - Baumbach-Lauterbach ZPO 28. Auflage, Anm. 2 zu § 14 GVG). Lediglich die als wahlweise Berufungsinstanz zugelassene Zentralkommission in Straßburg steht außerhalb des Rahmens der ordentlichen Gerichtsbarkeit; ihre Zulassung gründet sich auf § 14 Nr. 1 GVG (BGHZ 18, 270). Insoweit wird für das Rechtsmittelverfahren kumulativ ein zweiter Rechtsweg eröffnet.
Von der Frage, ob eine Binnenschiffahrtssache vor das Schiffahrtsgericht oder das Rheinschiffahrtsgericht gehört, hängt, wie bereits hervorgehoben, der Instanzenzug ab, namentlich die Möglichkeit einer Anrufung der Zentralkommission in Straßburg gegen Entscheidungen der Rheinschiffahrtsgerichte. Aus diesem Grunde darf die Entscheidung einer Binnenschiffahrtssache, die nicht Rheinschiffahrtssache ist, nicht mit einer Rheinschiffahrtssache verbunden werden (§ 16 BSchVerfG). Außerdem bestehen in Rheinschiffahrtssachen die verfahrensrechtlichen Besonderheiten, daß weder Prozeßkautionen von Ausländern ihrer Nationalität wegen noch Gerichtskosten erhoben werden dürfen (§ 14 BSchVerfG, Art. 36 Abs. 1, Art. 31 der rev. Rheinschiffahrtsakte). Diese abweichenden Verfahrensregelungen konnten nur durch Gesetz getroffen werden, das dann notwendigerweise selbst die Geschäftsverteilung zwischen Schiffahrtsgericht und Rhein-(Mosel- schiffahrtsgericht vornehmen mußte und vorgenommen hat. Eine Abgrenzung der vor diese Gerichte gehörenden Geschäfte durch das Präsidium, das sonst die Geschäfte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten durch den Verteilungsplan auch gegenständlich zu verteilen hat, scheidet hier aus. Es ist nicht seine Aufgabe, in Zweifelsfällen darüber zu entscheiden, ob eine Sache vor das Schiffahrtsgericht oder das Rheinschiffahrtsgericht gehört. Darüber entscheidet allein der Richter, an den die Sache gelangt. Die richterliche Entscheidung über diese Zuständigkeitsfrage unterliegt der Nachprüfung im Instanzenzug, da das Gesetz eine solche Nachprüfung nicht ausschließt, der deutsche Gesetzgeber nach der zwischenstaatlichen Vereinbarung sie auch insoweit gar nicht ausschließen konnte, als im zweiten Rechtszug die Zentralkommission angerufen wird.
Für Sachen, die nicht Rheinschiffahrtssachen sind, können die Parteien die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichfe nicht vereinbaren; sie können nicht in den Aufbau der für Rheinschiffahrtssachen geschaffenen Gerichtsorganisation eingreifen, indem sie andere Sachen vor diese Gerichte bringen. Insoweit sind die Vorschriften der §§ 295 Abs. 1, 528 ZPO nicht anwendbar, es gilt die Bestimmung des § 295 Abs. 2 ZPO. Dagegen haben die Rheinschiffahrts(ober)-gerichte keine positive ausschließliche Zuständigkeit. In einem Rechtsstreit über Rheinschiffahrtssachen kann auch die Zuständigkeit eines anderen Gerichts vereinbart werden, allerdings mit der Folge, daß die Sache dann nicht als Rheinschiffahrtssache gilt (§ 14 Abs. 2 S. 2 BSchVerfG; so auch schon früher RGZ 87, 251). Streiten die Parteien vor einem Rheinschiffahrtsgericht darüber, ob eine Sache eine Rheinschiffahrtssache oder eine sonstige Binnenschiffahrtssache ist, so sind die Vorschriften der §§ 275, 276 ZPO über die Einrede der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts entsprechend anzuwenden. Ist das Rheinschiffahrtsgericht unzuständig, so ist die Sache auf Antrag an das von den Parteien vereinbarte oder an das zuständige Gericht zu verweisen. Wird trotz Hinweises des Rheinschiffahrtsgerichts (§ 139 ZPO) ein solcher Antrag nicht gestellt, so ist die Klage abzuweisen.
Nach dem Vorbringen der Klägerin wird die Beklagte zu 1 für den Schaden aus Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB, Art. 34 GG verantwortlich gemacht. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt vom 15. Februar 1956 (BGBI III 9500 - 1) obliegt dem Bund auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt „die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (Schiffahrtspolizei) auf den Bundeswasserstraßen". Im Rahmen dieser schiffahrtspolizeilichen Aufgabe werden die durch § 2 der Verordnung über die Untersuchung der Rheinschiffe und -flöße und über die Beförderung brennbarer Flüssigkeiten auf Binnenwasserstraßen vom 30. April 1950 (BGBI III 9502-4) gebildeten Schiffsuntersuchungskommissionen tätig. Der Verwaltungsangestellte B. soll als Mitglied der Schiffsuntersuchungskommission hoheitliche Funktionen pflichtwidrig wahrgenommen oder unterlassen haben (Art. 4 b der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe und -flöße, BGBI III 9502-4), die der Sicherung des Verkehrs auf dem Rhein dienen. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Amtspflicht zur Sicherung des Verkehrs auf Binnengewässern sind Binnenschiffahrtsstraßen (§ 2 Abs. 1 d BSchVerfG), in denen - abweichend von der Vorschrift des § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG - die Amtsgerichte sachlich zuständig sind, denen die Verhandlung und Entscheidung von Binnenschiffahrtssachen zugewiesen wird (§§ 1, 4 BSchVerfG).
Es entspricht allgemeiner Rechtsüberzeugung, daß der Gerichtsbarkeit eines Staates das hoheitliche Handeln eines fremden Staates nicht unterworfen ist (RGZ 157, 389, 392; BGHZ 19, 341, 343 f; BVerfGE 16, 27, 61 = JZ 1964, 171, 175). Will sich ein Staat in seiner hoheitlichen Betätigung der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates oder einer internationalen Institution unterwerfen, so bedarf es hierfür einer ausdrücklichen Vereinbarung. Eine solche enthalten die Bestimmungen der revidierten Rheinschifffahrtsakte nicht. Es ist daher ausgeschlossen, Art. 34 Nr. IIc der revidierten Rheinschiffahrtsakte im Sinne der Auffassung des Rheinschiffahrtsobergerichts auszulegen. Kein Uferstaat hat sein hoheitliches Handeln durch diese Bestimmung der Gerichtsbarkeit der Zentralkommission, geschweige denn der Gerichtsbarkeit eines anderen Uferstaates unterworfen. Gleichgültig ist, ob diese Tätigkeit mit einem Schiffsunfall auf dem Rhein zusammenhängt. Ebenso unerheblich ist, ob die Beurteilung solcher Amtspflichtverletzungen einer besonderen nautischen Sachkunde bedarf, die übrigens den Schiffahrtsgerichten, die an denselben Amtsgerichten gebildet sind wie die Rheinschiffahrtsgerichte, nicht nur im konkreten Fall, sondern allgemein ebenso wenig abgesprochen werden kann wie den Rheinschiffahrtsgerichten. Inwiefern der Umstand, daß in Rheinschiffahrtssachen keine Gerichtskosten erhoben werden, eine Rolle spielen soll, ist nicht ersichtlich. Abschließend mag bemerkt werden, daß nicht damit gerechnet werden kann, daß das Gericht eines Uferstaates, der wegen seiner hoheitlichen Betätigung von der Zentralkommission oder von einem Rheinschiffahrtsgericht eines anderen Uferstaates entgegen der allgemeinen Rechtsüberzeugung etwa verurteilt würde, das Vollstrekkungsurteil (vgl. Art. 40 der revidierten Rheinschiffahrtsakte) gegen den eigenen Staat erteilen würde. Ein deutsches Gericht müßte die Vollstreckungsklage (§§ 722f ZPO) nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO abweisen.