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Leitsatz:
Es liegt keine anfängliche Seeuntüchtigkeit des Schiffes vor, wenn zu erwarten ist, daß ein bei Reiseantritt bestehender Mangel bei gehöriger Bedienung des Schiffes vor Gefahreintritt beseitigt werden wird. Sie ist hingegen gegeben, wenn die rechtzeitige Behebung des Mangels aus objektiven oder subjektiven Gründen unwahrscheinlich ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 17. Januar 1974
II ZR 172/72
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Das MS H kenterte in der westlichen Ostsee, weil die Lukendeckel nur lose auf den Lukensüllen lagen und nicht mit Persenningen abgedeckt waren, so daß Seewasser in den Laderaum eindringen konnte.
Die Klägerin verlangt von dem Verfrachter und Reeder des Schiffes Ersatz des von ihr erstatteten, durch den Ladungsverlust entstandenen Schadens in Höhe von ca. 150000,- DM. Sie meint, daß das Schiff wegen der unzulänglichen Verschließung der Luken vor Reiseantritt von Anfang an seeuntüchtig (fahruntüchtig) gewesen sei.
Der Beklagte trägt vor, daß im Rahmen des üblichen Bordbetriebes zu erwarten gewesen sei, daß gemäß seiner auch ausdrücklich gegebenen Weisung schon auf der Fahrt über die Elbe und durch den Nord-Ostsee-Kanal von der Besatzung die Luken hätten ordnungsgemäß verschlossen werden können. Für die Unterlassung hafte er mangels eigenen Verschulden nicht. Es liege nur nachträgliche See- (bzw. Reise-)untüchtigkeit vor.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Entscheidung über den Klageanspruch hängt davon ab, ob MS H schon bei Antritt der Reise in Hamburg seeuntüchtig war.
Ein Schiff ist seeuntüchtig, wenn der Schiffskörper nicht imstande ist, mit der konkreten Ladung die Gefahren der See zu bestehen, ausgenommen ganz außergewöhnliche, oder wenn es nicht gehörig eingerichtet, ausgerüstet, bemannt und mit genügenden Vorräten versehen ist (vgl. Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 238). Jedoch ist es seit langem - entsprechend der anglo-amerikanischen Rechtsprechung - anerkannt, daß ein bei Reisebeginn bestehender Mangel dann keine anfängliche Seeuntüchtigkeit begründet, wenn zu erwarten ist, daß er bei gehöriger Bedienung des Schiffes vor Konkretisierung der Gefahr beseitigt werden wird (Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Anm. 13 zu § 513 HGB; Müller, Seeuntüchtigkeit und Managment of the Ship nach den Haager Regeln S. 39 ff; Götz, Das Seefrachtrecht der Haager Regeln nach anglo-amerikanischer Praxis S. 80 ff). Dieser Ansicht hat sich der Senat angeschlossen (BGHZ 60, 39,44). Sie findet ihre Rechtfertigung vor allem darin, daß es die Verantwortlichkeit des Verfrachters überspannen würde, wenn er auch wegen solcher Mängel der strengen Haftung aus anfänglicher Seeuntüchtigkeit unterworfen wäre, mit deren Behebung im Zuge des üblichen Bordbetriebes vor Gefahreneintritt zu rechnen ist (ebenso Schaps/Abraham aaO Anm. 5 zu zu § 559 HGB). Anders ist es hingegen, wenn es aus objektiven oder subjektiven Gründen unwahrscheinlich ist, daß ein bei Reiseantritt vorhandener Mangel noch rechtzeitig abgestellt werden wird. Hier muß der gefahrdrohende Zustand zur Feststellung einer anfänglichen Seeuntüchtigkeit herangezogen werden (Müller aaO S. 50; Götz aaO S. 82; Schaps/Abraham aaO. Anm. 13 zu § 513 HGB). Denn insoweit kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß von dem Schiff und seinen Einrichtungen während der Reise ein ordnungsgemäßer Gebrauch gemacht werden wird, beispielsweise offene Luken oder Pforten rechtzeitig verschlossen werden. Deshalb wirkt sich hier ein Mangel von vornherein auf die Seetüchtigkeit des Schiffes aus, wofür der Verfrachter im Falle eines Schadenseintritts nach § 559 HGB zu haften hat.
So lag es hier. Nach dem angefochtenen Urteil wollte der Kapitän des MS H von Anfang an die Reise von Hamburg nach Frederica mit nur lose auf den Lukensüllen aufgelegten Lukendeckeln machen, weil er den Wetterbericht für günstig hielt. Dementsprechend hatte er angeordnet, die Lukendeckel nicht mit Persenningen abzudecken und besonders zu sichern. Das führte zur anfänglichen Seeuntüchtigkeit des Schiffes. Denn MS H konnte nunmehr von vornherein nicht allen Gefahren einer Reise im Winter über einen Teil der Ostsee, die unter Umständen auch überraschend auftreten konnten, erfolgreich begegnen. Dem steht nicht entgegen, daß sich die zu einer ordnungsgemäßen Sicherung der Luken erforderlichen Vorrichtungen an Bord des Schiffes befunden haben und die Zeit zwischen dem Antritt der Reise und dem Erreichen der offenen See ausgereicht hätte, die Sicherung vorzunehmen. Denn ein Schiff ist nicht schon dann stets seetüchtig, wenn es die zum Bestehen der Seegefahr notwendigen Ausrüstungsgegenstände an Bord hat. Vielmehr muß von diesen auch in der gehörigen Weise Gebrauch gemacht werden. Fehlt hierzu aber von Anfang an der Wille der Schiffsführung, dann ist das Schiff bereits bei Reiseantritt seeuntüchtig. Dafür muß der Verfrachter - hier also der Beklagte - nach §§ 559 HGB, 278 BGB einstehen. Dabei entlastet den Beklagten nicht, wie die Revision meint, der Gedanke, es könne wegen der verschärften Haftung des Verfrachters für anfängliche Seeuntüchtigkeit „nur darauf ankommen, ob er angesichts der von ihm getroffenen Anordnungen und angesichts des üblichen Bordbetriebes bei objektiver Würdigung davon ausgehen konnte, die Luken würden bis zum Auslaufen aus der Schleuse Kiel-Holtenau verschalkt werden". Denn vorliegend geht es nicht um eigenes Verschulden des Beklagten, sondern um seine Haftung wegen eines Verhaltens des Kapitäns, das zu einer anfänglichen Seeuntüchtigkeit des MS H und - entgegen der Ansicht der Revision - auch adäquat zum Kentern des Schiffes und dem Verlust der Ladung geführt hat."