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II ZR 170/68 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 16.03.1970
Aktenzeichen: II ZR 170/68
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 91 Abs 1 ADS, § 648 Abs 2 HGB, § 653 HGB, § 592 HGB
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

In Bedingungen über eine See-Güterversicherung ist unter dem Verlust der Güter durch Auslieferung an einen „nicht empfangsberechtigten Dritten" auch die Auslieferung im Bestimmungshafen an den im Orderkonnossement bezeichneten Empfänger zu verstehen, wenn dieser nicht zur Empfangnahme der Güter berechtigt war, weil er nicht legitimierter Inhaber wenigstens einer Ausfertigung des Orderkonnossements war.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 16. März 1970

II ZR 170/68

(Landgericht Köln; Oberlandesgericht Köln)

Zum Tatbestand:

Im Zuge eines Transports von Stahlblechen von Lüttich via Antwerpen nach der Türkei hatte die verfrachtende Reederei über die Güter Orderkonnossemente ausgestellt, die als Empfänger der Güter die Firma H. bezeichneten und der die Güter von der Verfrachterin ohne Konnossemente gegen das Versprechen ausgehändigt wurden, sie nachzureichen. Firma H. hat die Konnossemente nicht beigebracht und den Kaufpreis, gegen dessen Zahlung sie die Konnossemente von der Klägerin erhalten sollte, nicht bezahlt.
Die Lieferantin der Bleche, Firma R., hatte mit der Beklagten als der führenden Versicherung neben 2 Mitversicherten eine Transportversicherung abgeschlossen. In den Einzelpolicen hieß es, daß die Güter gegen jegliche Beschädigung „incl. Nicht- u./o. Falschauslieferung" versichert seien. Ferner war auf die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen (ADS) und auf die Bedingungen der Generalpolice Bezug genommen, nach denen die HAVAG-Transport-Sonderbedingungen gelten sollten, in denen es unter Nr. 4a heißt:

„Die Versicherung deckt alle mit der versicherten Unternehmung verbundenen Gefahren, denen die versicherten Güter ausgesetzt sind, insbesondere Beschädigung, gänzlichen und teilweisen Verlust. Als verloren gelten die Güter insbesondere, wenn sie abhanden gekommen oder an einen nicht empfangsberechtigten Dritten ausgeliefert und dem Versicherungsnehmer/Versicherten aus diesem Grunde ohne Aussicht auf Wiedererlangung entzogen sind."

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von ca. 235000,- DM.
Die Beklagte meint, daß es sich im Sinne der Versicherungsbedingungen nicht um eine „Falschlieferung" und auch nicht um eine Herausgabe an einen nicht empfangsberechtigten Dritten handele.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr durch ein Teilurteil in Höhe von ca. 78000,- DM stattgegeben. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Güter an die im Orderkonnossement als Empfängerin bezeichnete Firma H. ausgeliefert worden sind, obwohl sie die Konnossemente nicht zurückgeben konnte. Die Firma H., die die Konnossemente nur gegen Zahlung des Kaufpreises erhalten sollte, habe über die Güter verfügt, ohne den Kaufpreis zu zahlen. Das Berufungsgericht erachtet den Versicherungsfall der abgeschlossenen See-Güterversicherung für gegeben, weil Totalverlust im Sinne der §§ 91 Abs. 1, 71 ADS eingetreten sei.
Da typische Klauseln in Frage stehen, ist die Auslegung in vollem Umfang nachzuprüfen. Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen.

Der Ausdruck „Falschauslieferung" wird allgemein für die Aus¬lieferung des Frachtgutes an einen Nichtberechtigten verwendet (vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Registerband 5.46: Falschauslieferung s. Auslieferung des Frachtgutes an Nichtberechtigt). Auch die Aushändigung an den nicht im Besitz des indossierten Orderkonnosements befindlichen und daher zur Empfangnahme des Gutes nicht berechtigten Empfänger (§§ 643 Nr. 5, 648, 653 HGB) ist eine „falsche" Auslieferung. Für die rechtliche Behandlung im Transportrecht macht es auch keinen Unterschied, ob die Güter der im Ladeschein oder Konnossement als Empfänger bezeichneten Person oder sonst wem ohne Rückgabe der Urkunde ausgehändigt worden sind. In beiden Fällen ist die Auslieferung fehlsam und bedeutet den „Verlust der Güter" (vgl. für den Fall der Auslieferung an den Empfänger ohne Ladeschein RGZ 75, 109, 113; für den Fall der Aushändigung ohne Konossement an den Empfänger BGH VersR 1959; 331; BGHZ 36, 329, 332). Der Totalverlust der Güter ist ein Versicherungsfall der See-Güterversicherung (§ 91 Abs. 1 ADS). Nach allgemeiner Ansicht sind die Güter auch dann total verloren, wenn der Kapitän sie an einen nicht Empfangsberechtigten ausgeliefert hat und die Güter infolgedessen dem Versicherten ohne Aussicht auf Wiedererlangung entzogen sind (Ritter/Abraham, ADS § 91 Anm. 3; mißverständlich § 28 Anm. 11 S. 460 zu KG JRPV 1926, 25; vgl. Hagen, Seeversicherungsrecht S. 39 Anm. 6). Mit dem Hinweis, die Falschauslieferung der Güter sei versichert, wird also auf den Fall des Verlustes durch Aushändigung an einen Nichtberechtigten verwiesen, der allgemein Versicherungsfall der Transportversicherung ist. Seit jeher ist anerkannt, daß „Verlust" im Sinne von Transportversicherungsbedingungen auch dann vorliegt, wenn der Spediteur oder Frachtführer das Gut unter Außerachtlassung der ihm erteilten Weisungen oder sonst unbefugterweise an diejenigen Personen ausgehändigt hat, die erst nach Erfüllung gewisser Voraussetzungen haben Empfänger sein sollen (RGZ 94, 97, 100). Wie die in der internationalen Rechtsprechung entschiedenen Fälle zeigen (vgl. Liesecke, Hansa 1964, 1988), ist die fehlerhafte Auslieferung an den wegen Nichtzahlung des Kaufpreises noch nicht in den Besitz des Konnossements gelangten Empfänger der Hauptfall der Auslieferung an einen Nichtberechtigten. Mit Recht hebt das Berufungsgericht hervor, daß in den Versicherungsbedingungen zum Ausdruck gebracht werden mußte, wenn dieser praktisch wichtigste Fall des Verlustes infolge falscher Aushändigung nicht versichert sein sollte. Zum ordnungsmäßigen Abschluß der Beförderung gehört die Aushändigung an den zum Empfang Legitimierten. Sollten die damit verbundenen Gefahren nicht in allen Fällen vom Versicherer getragen werden, so bedurfte es einer ausdrücklichen Erklärung.

Die HAVAG-Transport-Sonderbedingungen Nr. 4a ergeben keinen derartigen Ausschluß, wenn sie die Auslieferung an einen „nicht empfangsberechtigten Dritten" als Verlust der Güter bezeichnen. Unter Aushändigung an einen unberechtigten „Dritten" wird auch die Auslieferung an einen nicht legitimierten Empfänger verstanden (vgl. z. B. RGZ 75, 108, 111 nebst Oberschrift zu 2). Diese Ausdrucksweise ist auch zutreffend, denn der im Orderkonossement bezeichnete Empfänger ist als solcher nicht zur Empfangnahme der Güter im Bestimmungshafen legitimiert, wenn er nicht Inhaber wenigstens einer Ausfertigung des an ihn oder in blanko indossierten Orderkonnossements ist (§ 648 HGB). Er hat keinen Auslieferungsanspruch und an ihn sind die Güter nicht abzuliefern (§ 592 HGB), solange er nicht eine quittierte Ausfertigung des Konnossements zurückgegeben kann (§ 653 HGB). Für die Beförderung und Aushändigung der Güter ist er ein Außenstehender und wird im juristischen Sprachgebrauch als „Dritter" bezeichnet."