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II ZR 168/67 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 06.02.1969
Aktenzeichen: II ZR 168/67
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Wer schuldhaft das Abwerfen eines Ankers in nicht hinreichend tiefem Fahrwasser veranlaßt, muß mit Schäden an anderen Schiffen rechnen und für solche einstehen.

2) Die Kausalität einer schadenstiftenden Handlung für einen darauf zurückzuführenden Schaden entfällt nicht deshalb, weil der Schädiger die Handlung nicht voll überblickt.

3) Ein in nicht hinreichend tiefem Wasser verlorener Anker bedeutet stets eine Gefahr für die Schiffahrt, auch wenn er in einer Vertiefung des Strombettes liegt, da seine Lage durch Schiffe oder die Strömung jederzeit geändert werden kann.

4) Die Haftung für ein schadenstiftendes Ereignis wird nicht durch eine Ankerverlustmeldung beseitigt, auch wenn die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung ihrerseits zur Gefahrenabwehr verpflichtet ist.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 6. Februar 1969

II ZR 168167

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der Schiffsjunge des der Beklagten gehörenden bei km 611,8 (Andernach) vor Anker liegenden MS H führte mit diesem des Nachts ein nautisch fehlerhaftes Verholmanöver aus. Dadurch wurden mehrere Schiffe beschädigt; der abtreibende Kahn R verlor seinen Anker nebst Ankerkette. Der Schiffsführer von R meldete den Ankerverlust sofort der Wasserschutzpolizei. Das zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt nahm am nächsten Tag die Suche auf und ließ einige Tage später - erfolglos - den Rhein von km 611,5 bis 612,4 abrahmen. Etwa 8 Tage später stieß das bei der Klägerin versicherte MS O bei km 611,7 auf einen im Fahrwasser liegenden Anker und wurde beschädigt. Bei einer erneuten Suchaktion wurde 3 Tage darauf bei km 612,1 nahe der Stelle, an der O nach seiner Beschädigung geankert hatte, der Anker von Kahn R geborgen.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz des durch die Berührung mit dem Anker entstandenen Schadens, weil es sich um den von R verlorenen Anker gehandelt habe.
Die Beklagte meint, daß die Beklagte selbst im Falle der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen, die sie bestreitet, nicht haftbar sei, weil ein rechtlich erheblicher Kausalzusammenhang zwischen dem Verlust des Ankers und dem durch das Auffahren des MS O entstandenen Schaden nicht vorhanden sei. Die Wasserund Schiffahrtsverwaltung habe die erforderlichen Maßnahmen zur Bergung des Ankers treffen müssen. Damit sei die Schadensersatzpflicht der Beklagten erloschen und die Verantwortung auf die Behörde übergegangen. Die Erfolglosigkeit der Bergungsversuche lasse die Schadensersatzpflicht nicht wieder aufleben.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Berufung und Revision der Beklagten blieben erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit der Behauptung, die Beschädigung des MS O sei nicht durch eine Kollision mit einem Anker, sondern durch eine andere Art von Bodenberührung entstanden, wendet sich die Revision gegen die Feststellungen des Tatrichters, ohne jedoch insoweit eine Rechtsverletzung aufzuzeigen. Die Tatsache der Kollision mit einem Anker war, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, in erster Instanz unstreitig geworden. Die Zurückweisung des späteren Bestreitens durch, das Berufungsgericht als verspätet ist nicht zu beanstanden. Aber auch die Feststellung des Berufungsgerichts, bei dem Anker, mit dem MS O kollidiert sei, habe es sich um den des SK R gehandelt, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Sie ist möglich, frei von Widerspruch und enthält keinen Verstoß gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze. Der Ansicht der Revision, ein Versetzen des Ankers um zunächst 100 m stromaufwärts und dann um 400 m stromabwärts habe- nicht unbemerkt erfolgen können und schwere Schäden bei dem verschleppenden Fahrzeug hervorrufen müssen, kann nicht gefolgt werden. Auf dem frequentierten Liege-, Lade- und Löschplatz von Andernach kann ein verholendes oder abfahrendes Schiff einen an einer 80 m langen Kette befestigten Anker auf eine Strecke von 100 m unbemerkt mitnehmen, ohne daß das Schiff beschädigt wird. Ebenso ist es möglich, daß das MS O, das durch den Anker beschädigt wurde, Kette und Anker 400 m talwärts mitgezogen hat.
Berücksichtigt man, daß SK R bei km 611,8 seinen Anker verloren hat, daß Meldungen über den Verlust weiterer Anker nicht vorlagen, daß MS O bei km 611,7 Berührung mit einem Anker gehabt hat, daß bei km 612,1 das Verfangen einer Ankerkette in der Pfote des Ankers des MS O ersichtlich wurde und daß bei einer daraufhin eingeleiteten Suche in unmittelbarer Nähe dieser Stelle der Anker des SK R nebst Kette, nicht aber ein anderer Anker oder eine andere Ankerkette, gefunden wurden, so kann gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, MS O sei auf den Anker des SK R aufgelaufen, rechtlich nichts eingewendet werden.
Zu Unrecht wendet sich die Revision auch gegen die Annahme eines rechtlich relevanten adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem zum Verlust des Ankers führenden nautischen Verschulden des Schiffsjungen und der Beschädigung des MS O.

1. Auch die Revision geht zunächst zutreffend davon aus, daß derjenige, der schuldhaft das Abwerfen eines Ankers in nicht hinreichend tiefem Fahrwasser veranlaßt, mit Schäden an anderen Schiffen rechnen muß und für solche einzustehen hat. Sie meint aber, das gelte dann nicht, wenn der Betreffende (wie hier) keine Kenntnis von dem Verlust des Ankers gehabt habe. Diese Ansicht geht fehl.
Die Kausalität einer schadenstiftenden Handlung für einen darauf zurückzuführenden Schaden entfällt nicht deshalb, weil der Schädiger die Handlung nicht voll überblickt. Die Kenntnis von dem Verlust des Ankers war nur von Bedeutung für die Möglichkeit der Gefahrenabwehr. Kausalität und Beseitigung der Gefahr sind aber verschiedene Dinge. Ist die Gefahrenabwehr erfolgreich, so tritt der Schaden gar nicht erst ein. Der Beklagten wird nicht das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen, sondern die Herbeiführung einer Gefahrenlage durch die schuldhafte Verursachung des Verlustes des Ankers angelastet.

2. Nicht nur an der Kausalität, sondern auch an ihrer Adäquanz besteht kein Zweifel. Ein in nicht hinreichend tiefem Wasser verlorener Anker bedeutet stets eine Gefahr für die Schifffahrt.
Die Gefahr besteht auch dann, wenn er in einer Vertiefung des Strombettes liegt und aus diesem Grund vom Peilrahmen nicht erfaßt werden kann; denn der Anker kann seinen Standort auf Grund der Strömungsverhältnisse oder infolge Mitnehmens durch Schiffe verändern. Daß er zeitweilig keine Gefahr bedeutet, ist unerheblich, da sich das jederzeit ändern kann. Ein solcher Geschehensablauf ist nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge nicht unwahrscheinlich.

3. Entgegen der Ansicht der Revision kann sich die Beklagte hier auch nicht darauf berufen, sie brauche für den Schaden deshalb nicht einzutreten, weil Meldung von dem schadenstiftenden Ereignis erstattet worden sei und die für die Sicherung der Wasserstraße zuständige Behörde die notwendigen und zumutbaren Sicherungsmaßnahmen getroffen oder nicht getroffen habe. Das Verhalten dieser Behörde ist ohne Einfluß auf die adäquate Kausalität des von der Beklagten zu vertretenden schadenstiftenden Ereignisses, wenn es zu einem Schaden kommt. Der ursächliche Zusammenhang wird durch das Vorhandensein eines anderen, zur Gefahrenabwehr Verpflichteten nicht beseitigt, ebensowenig wie das sich auf die Handlung und nicht auf den schädigenden Erfolg beziehende Verschulden.
Da der Ankerverlust unstreitig auf ein nautisch fehlerhaftes Manöver des Schiffsjungen Sch., für den die Beklagte gemäß § 3 BSchG einzustehen hat, zurückzuführen ist, begegnet die auf die §§ 3, 4, 114 BSchG und § 823 BGB gestützte Verurteilung der Beklagten keinen Bedenken."