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II ZR 164/76 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 19.12.1977
Aktenzeichen: II ZR 164/76
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Wer als Dritter bei Vertragsverhandlungen besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, entscheidenden Einfluß auf die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages zu haben, kann wegen Verletzung von Schutzpflichten auch dann schadensersatzpflichtig sein, wenn er es nach Vertragsabschluß unterläßt, dem Verhandlungspartner wesentliche Informationen über die voraussichtliche Undurchführbarkeit des Geschäfts zu geben, und dieser deshalb Dispositionen trifft, die ihm schädlich sind oder solche unterläßt, die ihn vor Schaden bewahrt hätten.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 19. Dezember 1977

II ZR 164/76

(Landgericht München; Oberlandesgericht München)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin betreibt Schiffahrtsgeschäfte jeglicher Art. Sie verlangt von der Beklagten teilweisen Ersatz eines Schadens, den sie durch Charterung des Tankers R und dessen Weitervercharterung an die T-AG in Höhe von über 250000 US-Dollar erlitten habe. Der Tanker mit einer Ladekapazität von etwa 90 000 t sollte Rohöl übernehmen, hatte aber keine Ladung erhalten. An den Verhandlungen über die Charterverträge und die zu beschaffenden Bankgarantien und -absicherungen war die Beklagte, vertreten durch ihren Geschäftsführer und Prokuristen maßgeblich beteiligt gewesen.
Die Klägerin macht u. a. geltend, daß die Beklagte ihre Aufklärungspflichten bei Anbahnung und Abschluß der Verhandlungen verletzt und trotz vorliegender Informationen die Klägerin nicht unterrichtet habe, daß eine Beladung des schon am 10. 6. 1971 vertragsgemäß zur Beladung bereiten Schiffes frühestens Ende Juni 1971 in Betracht gekommen und dadurch ein tägliches Liegegeld von über 10000 US¬Dollar angefallen sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung zwecks anderweiter Entscheidung.

Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Klägerin kann - darin ist dem angefochtenen Urteil im Ergebnis zu folgen - keine Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens beim Vertragsschluß daraus herleiten, daß sie die Charterverträge über R, wie sie behauptet, nur wegen der Einschaltung der Beklagten in die Vertragsverhandlungen und im Vertrauen auf deren Beziehungen zum Bankhaus M. abgeschlossen hat. Das Berufungsgericht hat zwar aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt, daß der damalige Geschäftsführer der Beklagten F. auf der Seite der T.-AG. an den einleitenden Verhandlungen am 26./27. Mai 1971 teilgenommen, hieran maßgeblichen Anteil gehabt und bei seinen Verhandlungspartnern den Eindruck erweckt hat, der Beklagten komme im Verhältnis zur T.-AG. und bei der künftigen Geschäftsabwicklung eine gewichtige Stellung zu.
Unter diesen Umständen kann davon ausgegangen werden, daß die Beklagte durch die Art ihrer Beteiligung als eine Art finanzieller Sachwalter in Erscheinung getreten ist und insoweit gegenüber der Klägerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, den sie grundsätzlich gegen sich gelten lassen muß; der Bundesgerichtshof hat gerade dann, wenn die finanzielle Leistungsfähigkeit eines in Aussicht genommenen Vertragspartners zweifelhaft ist, demjenigen Dritten, der einen eigenen Einfluß auf die Abwicklung und Finanzierung eines Geschäfts hat oder zu haben den Eindruck erweckt und dadurch den Geschäftsabschluß maßgeblich beeinflußt, Aufklärungs-, Rücksichts- und Schutzpflichten gegenüber dem anderen Teil auferlegt und ihn schadensersatzpflichtig gemacht, wenn solche Pflichten verletzt werden (BGHZ 56, 81, 85). Diese Rechtsprechung, auf die sich die Revisic,n beruft, führt aber im vorliegenden Falle nicht weiter. Der Schadensersatzanspruch, den die Klägerin geltend macht, ist daraus entstanden, daß „Ross Sound" aus Gründen, die keiner der Beteiligten zu vertreten hatte, keine Ladung erhalten konnte.
...
Die Beklagte kann aber unter einem anderen, vom Berufungsgericht nicht geprüften Gesichtspunkt zum Schadensersatz aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen verpflichtet sein. Denn die Klägerin hat auch behauptet, die Beklagte habe spätestens am 5. Juni 1971 durch Fernschreiben der Firma P. - S. A. erfahren, daß die Ubernahme der Ladung in R. nicht vor Ende Juni/Anfang Juli 1971 möglich sein werde; sie habe aber sie, die Klägerin, nicht informiert, sondern widerspruchslos zugelassen, daß R an die T.-AG. verchartert und zum 10. Juni 1971 nach R. beordert worden sei. Verfügte die Beklagte bereits am 5. Juni 1971 über Informationen, die ernste Zweifel an der zeitgerechten Beladung begründen mußten, und durfte sie auch nicht von einem etwa gleichen Kenntnisstand der Klägerin ausgehen, würde sie schon im vorvertraglichen Stadium schuldhaft das nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei der Klägerin erweckte Vertrauen enttäuscht haben, „mit ihren kaufmännischen Fähigkeiten und Einrichtungen (auch) für eine ordnungsgemäße technische Abwicklung der Verträge" sorgen zu wollen, denn eine „ordnungsgemäße Abwicklung" war unter diesen Umständen von vornherein nicht möglich oder jedenfalls zweifelhaft geworden. Eine Haftung der Beklagten kann eben daher in Betracht kommen, wenn die Klägerin bei sachgerechter Information den Reisechartervertrag mit der T.-AG. über MT R nicht abgeschlossen hätte. Den Schaden, der gerade hierdurch entstanden ist, wird allerdings die Klägerin gegebenenfalls noch im einzelnen darlegen müssen.
...
Soweit sich die Klägerin schließlich darauf gestützt hat, daß ihr die Beklagte auch noch in der Zeit nach dem 5. Juni 1971 wesentliche Nachrichten über die Verzögerung der Beladung verschwiegen habe, hat das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche schon deshalb abgelehnt, weil des sich um Vorgänge aus der Zeit nach Abschluß des Reisechartervertrages mit der T.-AG. gehandelt habe und insoweit für eine Vertrauensschutzhaftung Dritter aus Rechtsgründen kein Raum sei. Dieser Ansicht ist in ihrer Allgemeinheit und jedenfalls unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht zu folgen:
Die Klägerin hatte insbesondere behauptet, am 10. Juni 1971 habe die Beklagte von einer Schwestergesellschaft der T.-AG. der B.-AG, ein - von der P. - S. A. vorsorglich wiederholtes - Fernschreiben erhalten, mit dem ihr nochmals mitgeteilt worden sei, daß in R. vor dem 1. bis 10. Juli 1971 kein Rohöl zur Verfügung stehen werde. Das sei der Klägerin nicht übermittelt worden. Vielmehr hätten Vertreter der Klägerin nach Verhandlungen mit der Beklagten am 11. Juni 1971 München mit der Zusicherung verlassen, daß alle Besorgnisse bis Montag, den 14. Juni 1971, in Ordnung gebracht werden würden. F. habe noch am 15. Juni 1971 erklärt, R solle weiter warten, weil die Nichtbeladung nur auf technische Schwierigkeiten in den Ölfeldern zurückzuführen sei. Selbst über ein Fernschreiben vom 18. Juni 1971 um 15.35 Uhr, mit dem die P. - S. A. einen Gasausbruch als Verzögerungsgrund mitgeteilt habe, habe die Beklagte die Klägerin nicht unterrichtet. Dabei hätten Vertreter der Klägerin schon bei den vom 9. bis 11. Juni 1971 in München geführten Verhandlungen darauf aufmerksam gemacht, daß erhebliche Überliegegelder entstehen würden. Treffen diese Behauptungen zu und hat die Beklagte, wie bereits erörtert, die Klägerin auch damit zum Abschluß der Charterverträge bewogen, daß sie den Einsatz ihrer eigenen kaufmännischen Einrichtungen in Aussicht stellte und in besonderem Maße Vertrauen in eine ordnungsgemäße technische Geschäftsabwicklung erweckte, dann ist ihr daraus gerade auch für die Zeit nach Abschluß des Vertrages eine Schutzpflicht erwachsen, auf die ihr insoweit anvertrauten Interessen der Klägerin Rücksicht zu nehmen; wer das Vertrauen in Anspruch nimmt, entscheidenden Einfluß auf die Durchführung eines zwischen zwei Personen bestehenden Vertrages zu besitzen, kann mithin, ohne daß es einer vertraglichen Bindung bedarf, auch dann auf Schadensersatz haften, wenn er es nach Vertragsabschluß unterläßt, einem der Vertragspartner wesent¬liche Informationen über die voraussichtliche Undurchführbarkeit des Geschäfts zu geben, und dieser deshalb Dispositionen trifft, die ihm schädlich sind, oder solche nicht trifft, die ihn vor Schaden bewahren würden.
Der Umstand, daß es sich um die Pflichtverletzung eines selbst nicht am Vertrage beteiligten Dritten nach Vertragsabschluß handelt, steht einer solchen Haftung nicht entgegen. Zwar haftet ein Erfüllungsgehilfe, Vertreter oder sonstiger Dritter, der an der Abwicklung eines zwischen zwei anderen Personen bestehenden Vertragsverhältnisses beteiligt ist, wegen der Schädigung eines Vertragspartners nicht aus positiver Vertragsverletzung, weil diese Haftung auf der Verletzung vertraglicher Pflichten beruht, die er selbst nicht hat, und für die, soweit es sich um den Gehilfen handelt, nach § 278 BGB dessen Geschäftsherr selbst einzustehen hat.
...
Hinsichtlich der hiervon zu unterscheidenden „nachvertraglichen" Vertrauenshaftung aber folgt der Senat, ohne zu diesem Fragenkreis umfassend Stellung zu nehmen, jedenfalls für den Fall einer Schutzpflichtverletzung der hier vorliegenden Art der im neueren Schrifttum vertretenen Ansicht, die eine solche Haftung bejaht (vgl. Canaris, VersR 1965, 114; Müller, NJW 1969, 2169, beide m. w. N.). Denn es ist nicht einzusehen, daß das einem Dritten infolge seines Verhaltens entgegengebrachte Vertrauen im vorvertraglichen Stadium ein Haftungsgrund, nach Vertragsabschluß aber keiner mehr sein soll, auch wenn der Dritte das Vertrauen für sich gerade auch für die Vertragsdurchführung in Anspruch genommen hat. Eine unvertretbare Ausweitung der Vertrauenshaftung ist nach Ansicht des Senats hiermit nicht verbunden. Ebenso wie die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluß ist eine Heranziehung vertraglicher Haftungsmaßstäbe bei Schutzpflichten Dritter nach Vertragsschluß durch den inneren Zusammenhang mit einem bestimmten Vertragsverhältnis gerechtfertigt. Die Beteiligten befinden sich mithin nicht in einer „beliebigen Sonderbeziehung" (Larenz, MDR 1954, 515), die den Regeln und Grenzen des Deliktrechts vorbehalten wäre, sondern in einer Beziehung innerhalb des rechtsgeschäftlichen Verkehrs (Canaris aaO S. 116f. unter 111 2).
Diese Auffassung steht zu dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 21. März 1967 - VI ZR 164/65 (LM BGB § 276 [Ha] Nr. 4) nicht im Widerspruch.
...“