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II ZR 164/73 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.04.1975
Aktenzeichen: II ZR 164/73
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

Ist ein Schiff infolge falschen Beladens instabil, so ist es als fahruntüchtig anzusehen. Kentert es deshalb vor oder nach Antritt der Reise, so können sich der Frachtführer oder der Schiffseigner gegenüber Schadensersatzansprüchen der Ladungsinteressenten nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sie sich in allgemeinen Geschäftsbedingungen von der Haf­tung für die anfängliche Fahrtüchtigkeit freigezeichnet haben.

Urteil des Bundesgerichtshofs

21. April 1975 

II ZR 164/73

Zum Tatbestand:

Die Beklagte zu 1 setzte im Hamburger Hafen die der Be­klagten zu 2 gehörende Schute ein, um eine Partie Kraft­papier aus einem Seeschiff zu übernehmen. Der bei der Beklagten zu 1 angestellte Ewerführer und ein weiterer Be­diensteter beluden die Schute zunächst mit 3 Lagen Papier­rollen und setzten, als die Schute leichte Schlagseite zeigte, zum Ausgleich 3 oder 4 weitere Lagen Rollen in eine 4. Lage. Noch vor dem Ablegen von den Seeschiff kenterte die Schute und sank.

Die Klägerin als Ladungsversicherin verlangt Ersatz des dem Ladungseigentümer erstatteten Schadens von ca. 60000,- DM, weil die Schute schon bei Ladebeginn in­stabil gewesen sei. Unter ihren Bauchdielen hätten sich 7 t Wasser befunden.

Die Beklagten führen das Kentern der Schute darauf zurück, daß der Ewerführer sie zu hoch beladen habe. Für das schuldhafte Verhalten des Ewerführers beim Beladen der Schute hätten sie wegen ihrer Freizeichnung in Nr. 19 der zugrundegelegten Allgemeinen Bedingungen der Hafen­frachtschiffahrt des Hafens Hamburg (ABH) nicht einzu­stehen. Zumindest sei die Haftung auf 10000,- DM be­schränkt (Nr. 24 ABH).

Beide Vorinstanzen haben der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Ein Schiff ist fahruntüchtig, wenn es die gewöhnlichen Gefahren der geplanten Reise nicht zu bestehen vermag (vgl. Mittelstein, Deutsches Binnenschiffahrtsrecht 2. Aufl. Bd. 1 BSchG § 8 Anm.2 sowie Vortisch/Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 8 Anm. 2). Daran fehlt es, wenn ein Schiff in­stabil ist, somit leicht kentern kann. Da nicht nur Mängel in der Beschaffenheit des Schiffskörpers, sondern, auch eine fehlerhafte Verteilung der Ladung die Stabilität eines Schiffes zu beein­trächtigen vermögen, kann es auch allein aus dem zweiten Grunde instabil und damit fahruntüchtig sein. Daß nach dem Binnenschiff­fahrtsgesetz etwas anderes gelten soll, läßt sich dessen Vor­schriften nicht entnehmen. Insbesondere ergibt sich dafür nichts aus § 8 BinnSchG. Wenn es in dessen Absatz 1 heißt, der Schif­fer habe vor Antritt der Reise darauf zu sehen, daß das Schiff in fahrtüchtigem Zustande, gehörig eingerichtet und ausgerüstet ist, und wenn Absatz 2 dieser Vorschrift bestimmt, er habe für die gehörige Stauung der Ladung sowie weiter dafür zu sorgen, daß das Schiff nicht schwerer beladen wird, als die Tragfähigkeit desselben es gestattet, so werden damit lediglich einzelne Pflich­ten des Schiffes im Rahmen der ihm nach § 7 BinnSchG oblie­genden allgemeinen Sorgfaltspflicht beispielhaft aufge­führt. Hingegen besagt dies nicht, daß der Begriff Fahrtüchtigkeit im Gegensatz zur gehörigen Einrichtung oder Ausrüstung eines Schiffes oder seiner ordnungsgemäßen Beladung steht, somit Mängel in diesen Punkten keine Fahrtüchtigkeit im Sinne des Binnenschiffahrtsgesetzes begründen können. Der gegenteiligen Ansicht der Revision, der auch Vortisch/Zschucke a.a.O. und Mittelstein (Das Recht der Binnenschiffahrt S. 81) zuzuneigen scheinen, steht außerdem entgegen, daß § 8 Abs. 1 BinnSchG auf Art. 480 ADHGB (jetzt: § 513 HGB) und § 8 Abs. 2 BinnSchG auf Art. 481 ADHGB (jetzt: § 514 HGB) zurückgehen (vgl. die Begründung zu § 8 des Entwurfes eines Gesetzes betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt, Reichstags­Drucksachen 9. Legislatur-Periode IV. Session 1894/95 Nr. 81) und es im Rahmen dieser seerechtlichen Vorschriften schon seit langem anerkannt ist, daß sich ein (See-)Schiff auch dann in kei­nem see- (genauer: reise-)tüchtigen Zustand befindet, wenn es lediglich wegen eines Staufehlers instabil ist (RGZ 25, 104, 106; 70, 94, 96; 120, 42, 44/45; BGH, Urt. v. 26. 6. 71 - II ZR 66/69, VersR 1971, 833, 834).

Kommt es zu einem Ladungsschaden, weil das Schiff bei Antritt der Reise fahruntüchtig war, so können sich der Frachtführer oder der Schiffseigner gegenüber Schadensersatzansprüchen der La­dungsinteressenten nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sie durch allgemeine Geschäftsbedingungen von der Haftung für die anfäng­liche Fahrtüchtigkeit des Schiffes freigezeichnet sind (BGHZ 49, 356, 359; BGH, Urt. v. 23. 6. 66 - II ZR 81/63, VersR 1966, 871, 873). Auch kann insoweit eine formularmäßige Beschränkung der Haftung, wie sie Nr. 24 ABH vorsieht, nicht für wirksam gehalten werden (vgl. BGH, Urt. v. 25. 6. 73 - II ZR 72/71, LM Nr. 49 zu Allg. Geschäftsbedingungen = VersR 1973, 1060, 1061/1062). Nun hat allerdings der Sachverhalt in den genannten Entscheidun­gen insofern anders gelegen, als die anfängliche Fahr- (oder La­dungs-)Untüchtigkeit des Schiffes jeweils auf Mängeln seiner Einrichtung (undichte Lukenabdeckungen; undichte Kleppen in den Querschotten), hingegen nicht auf einem falschen Beladen desselben beruhte. Das kann jedoch für den letzten Fall zu kei­ner anderen Beurteilung der Freizeichnungsfrage führen.

Die vorstehend erörterte Frage ist auch nicht für solche Fälle anders zu entscheiden, in denen ein Schiff beim Vorlegen zum Beladen keine Mängel aufweist, sodann aber bei Reiseantritt nicht mehr tauglich ist, die gewöhnlichen Gefahren der Reise zu bestehen. Die gegenteilige Ansicht der Revision verkennt, daß durch eine derartige Fallgestaltung nicht die Frage berührt wird, ob sich der Frachtführer oder der Schiffseigner in allgemeinen Geschäftsbedingungen von ihrer wesentlichsten Pflicht, ein bei Reiseantrittfahrtüchtiges Schiff zu stellen, freizeichnen können.

Abschließend bleibt noch zu bemerken, daß es für die Wirksam­keit oder Unwirksamkeit eines formularmäßigen Haftungsaus­schlusses oder einer Haftungsbegrenzung, wie sie Nr. 24 ABH vorsieht, keine Rolle spielen kann, ob ein Schiff infolge seiner Instabilität erst nach Antritt der Reise oder noch an seinem Ladeplatz kentert."