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II ZR 1/64 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 22.11.1965
Aktenzeichen: II ZR 1/64
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 59 BSchSO
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Die Aufstellung von Sperrzeichen gemäß § 59 BSchSO begründet keine Rechtspflicht der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zur Sperrung. Die von weisungsberechtigten Bediensteten gegebenen Zeichen haben Vorrang vor Verkehrsschildern. Es bedeutet keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, wenn von einer Übung, einzelne Schiffe trotz Beibehaltung der Sperrzeichen durch eine Engstelle durchzuwinken, aus beliebigen Gründen abgegangen und keine sonstige Maßnahme zur Warnung der mit der Übung vertrauten Schiffsführer ergriffen wird.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 22. November 1965

II ZR 1/64

(Schiffahrtsgericht Hamm; Schiffahrtsobergericht Hamm).


Zum Tatbestand:

Das zu Berg auf dem Datteln-Hamm-Kanal fahrende MS B stieß bei km 35,8 beim Passieren einer Engstelle unter einer Eisenbahnbrücke auf ein Hindernis und sank kurz darauf. Die Klägerin verlangt als Versicherin von der Beklagten Ersatz des regulierten Schadens aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

Zur Zeit des Unfalls wurden Arbeiten zur Verbreiterung der Durchfahrt unter der Eisenbahnbrücke durchgeführt. Auf beiden Seiten der Brücke waren rote Tafeln als Sperrzeichen (wie Bild 30 der Anlage zur BiSchiPolVO vom 12. 4. 1939) angebracht. Des öfteren wurden, wenn es der Stand der Arbeiten erlaubte, vor den roten Tafeln anhaltende Schiffe zwecks möglichster Vermeidung von Störungen des Schiffahrtsbetriebes trotz der Beibehaltung der Sperrzeichen durch die Engstelle durchgewinkt, was in Schiffahrtskreisen und auch dem Schiffsführer von B aufgrund mehrfacher Durchfahrung dieser Strecke bekannt war. An dem Unfalltag sollte die Baustelle nach der Absicht der Baustellenleitung wegen erstmaligen Einsatzes eines Schwimmgreifers bis zu den Mittagsstunden völlig gesperrt bleiben. Als MS B an die nur 5 m breite Engstelle herankam, stoppte sein Schiffsführer zuvor ab und gab Achtungssignal, setzte aber die Fahrt verlangsamt mit etwa 3 bis 3,5 km/st fort. Hierbei erfolgte dann die Auffahrung.

Das Schiffahrtsgericht hat die Klage zu zwei Dritteln, das Schiffahrtsobergericht hat sie zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Klägerin ist die Klage in vollem Umfang abgewiesen worden.


Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass aus der Übung, den Verkehr trotz der nicht beigedrehten roten Tafeln durch Winkzeichen freizugeben, der Beklagten bis zum Zeitpunkt des Einsatzes des Schwimmgreifers kein Vorwurf zu machen sei. Dem ist zuzustimmen. Das von einem weisungsbefugten Bediensteten der Beklagten (vgl. § 118 BSchSO i. Vdg. m. Art. 2 Abs. 1 der VO zur Einführung der BSchSO vom 19. Dezember 1954, BGBI II 1135) gegebene Zeichen hat den Vorrang vor Verkehrsschildern. Dagegen meinen beide Vorderrichter, nach dem Einsatz des Schwimmgreifers sei die Situation verändert worden, da nunmehr die Durchfahrt völlig gesperrt werden, das Sperrzeichen also unbedingt gelten sollte; darauf hätten die Leute der Beklagten die Kanalbenutzer in geeigneter Weise, z. B. durch einen besonderen Wahrschauer, hinweisen sollen. Dieser Ansicht kann der erkennende Senat nicht beitreten. Sie steht im Widerspruch zu der Feststellung, daß der Schiffsführer von B schon von weitem eindeutig erkannte, dass er mit seinem über 8 m breiten Fahrzeug den Schwimmgreifer und den neben diesem liegenden Prahm bei einer Fahrwasserbreite von nur 5 m nicht passieren konnte. Daran ändert auch nichts, daß hinter dem Sperrzeichen das aufgestellte Schild „Signal" stand. Aus & 59 BSchSO ("Sperrung der Schiffahrt") kann keine Rechtspflicht zur Sperrung hergeleitet werden; eine solche kann sich nur aus der Verkehrssicherungspflicht ergeben. Unter den gegebenen Umständen bedeutet es eine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht, von der Beklagten noch weitere Malnahmen, z. B. die Aufstellung eines besonderen Wahrschauers, zu verlangen. Weitere Malnahmen wären nur notwendig geworden, wenn die Unmöglichkeit der Durchfahrt nicht auf genügende Entfernung ohne weiteres erkennbar gewesen und daher für die Schiffahrt eine Gefahrenlage entstanden wäre. Das war aber nicht der Fall. Im weiteren Verlauf hat sich der Schiffsführer von B an die bestehende Übung nicht gehalten. Er hat nach Abgabe des Schallzeichens an dem Sperrzeichen nicht gehalten, bis ihm die Weiterfahrt durch Winkzeichen freigegeben wurde, sondern hat die Fahrt fortgesetzt, ohne darf ihm Winkzeichen gegeben worden wären. Mit einem solchen Verhalten mußte nach der bisherigen Übung nicht gerechnet werden; es waren daher auch insoweit aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht keine besonderen Maßnahmen erforderlich.
Wenn der Schiffsführer von B die Winkzeichen, die ihn zum Zurückbleiben aufforderten, tatsächlich mißverstanden haben sollte - das Berufungsgericht will ihm dies offensichtlich nicht abnehmen -, so geht das allein zu Lasten der Klägerin; denn diese ist beweispflichtig dafür, daß die Beklagte die zur Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflicht erforderlichen Maßnahmen unterlassen hat; den Beweis hat die Klägerin nicht nur nicht geführt, sondern im Gegenteil ist festgestellt, daß die Leute der Beklagten das sich in bedrohlicher Weise nähernde Fahrzeug aufgefordert haben, zurückzubleiben."