Rechtsprechungsdatenbank

II ZR 148/76 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 19.12.1977
Aktenzeichen: II ZR 148/76
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Gehören bei einem Schubverband das schiebende Fahrzeug und der Schubleichter demselben Eigner, so haftet dieser für ein nautisches Verschulden des Schiffsführers des schiebenden Fahrzeugs auch mit dem Leichter. 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 19. Dezember 1977

II ZR 148/76

(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)


Zum Tatbestand:

Das bei der Klägerin versicherte MS H sank auf der Talfahrt infolge eines bei unsichtigem Wetter erfolgten Zusammenstoßes mit einem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten entgegenkommenden Schubverband, bestehend aus MS D und Schubleichter M.

Die Klägerin fordert Ersatz des erstatteten Schadens zu 2/3, und zwar ca. 77 650,- DM, wobei die Beklagte zu 1 dinglich mit beiden Fahrzeugen haften soll. Der Schubverband sei trotz seiner Weisung zur Steuerbordbegegnung selbst nach Steuerbord in den Kurs des Talfahrers geraten.

Die Beklagten bestreiten dies. Im übrigen habe MS H nicht zu Tal fahren dürfen, da die Sicht höchstens 250 m betragen und das Schiff kein Radargerät gehabt habe.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte, also zu '/3 des Gesamtschadens, für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Die nur von den Beklagten eingelegte Revision blieb erfolglos.

Das Revisionsgericht hat die Begründung des Berufungsgerichts hinsichtlich des navigatorischen Verschuldens der Beklagten und des Mitverschuldens der Führung des MS H als richtig bestätigt. Insoweit kann auf die bereits in ZfB 1976, S. 363, erfolgte auszugsweise Veröffentlichung des Urteils des Rheinschiffahrtsobergerichts Köln vom 18. 5. 1976 - 3 U 156/75 verwiesen werden. Von besonderer Bedeutung sind jedoch die Ausführungen des BGH zur Frage der dinglichen Haftung beider Fahrzeuge des Schubverbandes.

Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach Meinung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte zu 1 für das nautische Verschulden der Führung des Schubverbandes nicht nur mit MS D, sondern auch mit SL M. Hiergegen wendet sich die Revision ebenfalls ohne Erfolg.

Nach § 1.01 Buchst. d) Abs. 1 RheinSchPolVO - ebenso § 1.01 Buchst. d) Abs. 1 BinnSchStrO - bestehen Schubverbände aus starr miteinander verbundenen Fahrzeugen, von denen sich mindestens eines vor dem Fahrzeug befindet, das den Verband fortbewegt und als „schiebendes Fahrzeug" bezeichnet wird. Die Verbände stellen ein neu entwickeltes, modernes Verkehrsmittel dar, das in der Binnenschiffahrt im Verlauf der beiden letzten Jahrzehnte die Schleppzüge fast vollständig verdrängt hat. Während aber die Haftung der Fahrzeuge eines Schleppzuges in § 4 Abs. 3 BinnSchG geregelt ist, fehlt es an einer Vorschrift für die Haftung der Eigner der einzelnen in einem Schubverband zusammengeschlossenen Fahrzeuge. Das hat zu einer unterschiedlichen Beantwortung der Frage geführt, ob der Eigner eines Schubleichters (vgl. § 1.01 Buchst. d] Abs. 2 RheinSchPolV bzw. BinnSchStrO) für den Schaden einzustehen hat, den der Führer des schiebenden Fahrzeugs einem Dritten durch einen nautischen Fehler zufügt. Die Frage wird von einzelnen Rheinschiffahrtsgerichten bejaht, ebenso von der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt (ZfBuW 1974, 275 = VersR 1974, 990) und einem Teil des Schrifttums (vgl. Wassermeyer, Die rechtlichen Probleme der Schubschiffahrt in Europäisches Transportrecht, Antwerpen 1972, sowie Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1970 S. 76). Verneint wird sie hingegen in erster Linie von Dütemeyer (zuletzt in ZfBuW 1976, 401) und von Pabst (vgl. ZfBuW 1975, 205). Nach deren Ansicht kommt eine Haftung des Schubleichtereigners für nautische Fehler des schiebenden Fahrzeugs vor allem deshalb nicht in Betracht, weil die vorübergehend zu einem Schubverband zusammengestellten Fahrzeuge weder e i n Schiff noch eine Haftungseinheit darstellten, ferner die Besatzung des schiebenden Fahrzeugs nicht auch als solche des Schubleichters, der selbst keine Besatzung habe, angesehen werden könne. Damit läßt sich jedoch die Haftung des Eigners eines Schubleichters für ein Verschulden der Führung des schiebenden Fahrzeugs nicht ablehnen.
Zwar schafft die starre Verbindung von Fahrzeugen zu einem Schubverband weder ein einheitliches Schiff im Sinne des § 1 BinnSchG noch eine besondere Haftungseinheit, da jedes Fahrzeug im Verband rechtlich und tatsächlich ein eigenes Schiff bleibt. Auch besitzen Schubleichter keinen Schiffsführer und - in aller Regel - keine Schiffsmannschaft (vgl. § 21 BinnSchG), worin gerade einer der wirtschaftlichen Vorteile des Schubverbandes gegenüber dem Schleppzug liegt. Jedoch umfaßt der Begriff „Schiffsbesatzung", für deren Verschulden der Schiffseigner nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG mit Schiff und Fracht haftet, nicht nur den Schiffsführer und die Schiffsmannschaft, sondern nach § 3 Abs. 2 BinnSchG auch „alle übrigen auf dem Schiff angestellten Personen". Zu den letzteren zählen die Beschäftigten des Schiffseigners, die zwar nicht in die Schiffsmannschaft eingegliedert, aber von ihm irgendwie für den Schiffsdienst, sei es auch nur vorübergehend, eingesetzt sind (vgl. BGHZ 3, 34, 39; 26, 152, 155). Das ergibt sich aus Sinn und Zweck des § 3 BinnSchG. Die Vorschrift will Dritte vor den Gefahren schützen, die der Schiffsbetrieb in besonderem Grade mit sich bringt, und sie macht deshalb den Schiffseigner ohne die Entlastungsmöglichkeit des § 831 BGB für die Schäden verantwortlich, die seine Leute, soweit er sie für den Schiffsbetrieb verwendet, einem Dritten in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen schuldhaft zufügen. Zum Betrieb eines Schubleichters gehört aber neben dem Laden und Löschen des Fahrzeugs die Fahrt desselben zu dem jeweiligen Lade- oder Löschort sowie die Beaufsichtigung und Betreuung des Leichters während der Reise oder an seinem Liegeplatz. Läßt daher der Leichtereigner einzelne dieser Tätigkeiten von einem oder mehreren seiner Leute vornehmen, so stellt er sie insoweit zu Schiffsdiensten für den Leichter an. Das gilt auch für den Schiffsführer eines dem Leichtereigner ebenfalls gehörenden schiebenden Fahrzeugs, den er mit der Durchführung einer Reise des Leichters betraut. Damit wird dieser - neben seiner Tätigkeit als Schiffer des schiebenden Fahrzeugs - auch für die ordnungsgemäße Ausführung der Reise des Leichters voll verantwortlich, ebenso wie für die sachgemäße Vornahme der hierfür auf dem Leichter zu bewirkenden Verrichtungen. Insoweit gilt er als „Besatzung" in dem dargelegten weiteren Sinne dieses Begriffs in § 3 BinnSchG. Auf seine Fehler ist daher diese Vorschrift auch im Verhältnis zum Leichtereigner unmittelbar anwendbar, so daß im Streitfall die Beklagte zu 1 auch als Eignerin des SL M für den von dem Beklagten zu 2 an MS „Henriette" verschuldeten Schaden verantwortlich ist und hierfür gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG mit diesem Leichter haftet. Danach braucht nicht mehr auf die vom Berufungsgericht erörterte weitere Frage eingegangen zu werden, ob ein Leichtereigner mit seinem Fahrzeug auch für das Verschulden des Schiffsführers des schiebenden Fahrzeugs, das einem anderen Schiffseigner gehört, einzustehen hätte - wofür eine entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 1, §,4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG in Betracht käme.
Den vorstehenden Ausführungen steht nicht, wie die Revision meint, die Regelung des § 4 Abs. 3 BinnSchG entgegen, wonach sich bei mehreren in einem Schleppzuge vereinigten Schiffen die Haftung nur auf dasjenige Schiff erstreckt, welches den Schaden verursacht hat. Die Vorschrift sollte eine Änderung der Rechtsprechung des Reichsgerichts bewirken, das - unter Übernahme seerechtlicher Grundsätze - die Besatzung des Schleppbootes zu der Besatzung der geschleppten Fahrzeuge gerechnet und die Eigner der letzteren auch für ein Verschulden des Schleppbootführers verantwortlich gemacht hatte. Sie geht von dem Gedanken aus, daß „sowohl der Schleppdampfer allein, wie jedes einzelne im Schleppzug hängende Schiff Dritten einen Schaden zufügen können" und „der Führer des Schleppdampfers nicht imstande sei, den Schleppzug so zu führen, daß Schäden vermieden werden müssen, wenn er dabei nicht von allen Führern der angehängten Schiffe durch richtiges Manövrieren unterstützt werde, wie ebenso umgekehrt die Führer der geschleppten Schiffe diese nicht im richtigen Fahrwasser erhalten könnten, wenn der Schleppdampfer nicht richtig geführt werde" (S. 5 der Reichstags-Drucksache Nr. 253 9. Legislatur-Periode III. Session 1894/95). Derartige Überlegungen treffen auf die Reise eines Schubverbandes aber gerade nicht zu. Hier besitzt das geschobene Fahrzeug - im Gegensatz zu den Anhängen eines Schleppbootes - keine eigene Manövrierfähigkeit und keine eigene hierfür verantwortliche Besatzung. Vielmehr ist es, mit dem schiebenden Fahrzeug zu einer Einheit von Antriebs- und Ladeteil verbunden. Eine solche Einheit hat mit einem Schleppzug nichts mehr zu tun. Würde man hier die Haftung des Schubleichtereigners für ein nautisches Fehlverhalten des Schiffsführers des schiebenden Fahrzeugs verneinen, so könnte der erstere einen besonders gefährlichen Teil des Schiffsbetriebs, nämlich die Reise des Leichters, praktisch ohne eigene Haftung ausführen lassen. Das widerspräche jedoch dem bereits dargelegten Sinn und Zweck der Vorschrift des § 3 Abs. 1 BinnSchG, die zwar - anders als die Regelungen über die Haftung des Halters oder Betreibers eines Land- oder Luftverkehrsmittels (vgl. § 1 HaftpflG; § 1 SachHpflG; § 7 StVG; § 33 LVG) - keine Gefährdungshaftung des Schiffseigners vorsieht, jedoch seine Verantwortlichkeit für das Verschulden aller von ihm zum Schiffsbetrieb angestellten Personen festlegt. Technische Neuerungen im Bereich eines Verkehrsmittels können keinen haftungsfreien Raum für einzelne Betreiber schaffen, sondern bedürfen einer sinnvollen Einbeziehung in die gesetzliche Haftungslage.

Anmerkung von Dütemeyer, ZfB 1978 S. 90 ff.:

Gehören bei einem Schubverband das schiebende Fahrzeug und der Schubleichter demselben Eigner, so haftet dieser für ein nautisches Verschulden des Schiffsführers des schiebenden Fahrzeugs auch mit dem Leichter.


Urteil des Bundesgerichtshofes vom 19. Dezember 1977

- II ZR 148/76 -

(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)


1. Zu der seit Jahren umstrittenen Frage der dinglichen Haftung eines Schubverbandes für Drittschäden hat der Bundesgerichtshof nunmehr die schon lange erwartete Entscheidung gefällt. Allerdings ist sie weder im Ergebnis noch in der Begründung befriedigend. Denn im Ergebnis hat sie für die Praxis keine allzu große Bedeutung, da sich das Urteil - auch gemäß dem vom BGH selbst veröffentlichten Leitsatz - zunächst auf den Fall beschränkt, daß alle Fahrzeuge des Schubverbandes - Schubboot und Schubleichter - demselben Eigner gehören. Im Hinblick darauf, daß Schubboote durchweg einen sehr hohen Wert haben und die meisten Schubverbände finanzstarken Reedereien gehören, ist der Ausgleich des Drittschadens in solchen Fällen ohnehin stets gesichert, so daß es auf die Mithaftung des Leichtereigners nicht ankommt.
Seine endgültige Festlegung in der Hauptfrage, an der die Praxis in allererster Linie interessiert ist, ob nämlich auch andere, nicht dem Schubbooteigner gehörende Leichter eines Schubverbandes für Drittschäden haften, die durch Verschulden des Schubbootführers entstanden sind, hat der BGH vermieden. Unter Hinweis auf eine unmittelbare Anwendung der von ihm zur Begründung des Urteils überraschend herangezogenen § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchG hält er es ausdrücklich nicht für erforderlich, im einzelnen auf die Frage einzugehen, ob ein Leichtereigner mit seinem Fahrzeug auch für das Verschulden des Schiffsführers des schiebenden Fahrzeug, das einem anderen Schiffseigner gehört, einzustehen hätte, wofür - wie er hinzufügt - eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften in Betracht käme. In seinem Urteil setzt sich der BGH auch nicht mit den Argumenten der bisherigen Rechtsprechung anderer Gerichte und mit den Gegenargumenten der in dem Urteil zitierten Gegner einer Haftung der Leichtereigner für die vom Schubbootführer des gleichen Schubverbandes schuldhaft verursachten Drittschäden auseinander, sondern prüft allein die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchG. Es erscheint daher erlaubt und geboten, auf die Begründung des BGH einzugehen, um die diesseits für gerechtfertigt gehaltene Ablehnung des Standpunktes des BGH zu erläutern, zumal z. B. in der Poolfahrt der Erztransporte durchaus der Fall eintreten kann, daß jede Einheit eines Schubverbandes einem anderen Eigentümer gehört.

2. In dem Urteil werden zunächst einige Feststellungen getroffen, denen ohne weiteres zuzustimmen ist. So ist es u. a. unstreitig, daß der Begriff der Schiffsbesatzung nicht nur den Schiffsführer und die Schiffsmannschaft umfaßt, sondern daß im Sinne von § 3 Abs. 2 BSchG zu allen übrigen auf dem Schiff angestellten Personen auch alle Beschäftigten des Schiffseigners zählen, „die zwar nicht in die Schiffsmannschaft eingegliedert, aber von ihm irgendwie für den Schiffsdienst, sei es auch nur vorübergehend, eingesetzt sind".

Wenn es weiterhin heißt, diese Vorschrift mache zum Schutze Dritter vor den Gefahren des Schiffsbetriebes „den Schiffseigner ohne die Entlastungsmöglichkeit des § 831 BGB für die Schäden verantwortlich, die seine Leute, soweit er sie für den Schiffsbetrieb verwendet, einem Dritten in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen schuldhaft zufügen", so läßt sich auch gegen diese Feststellung nichts einwenden, - unter der Voraussetzung, daß es sich tatsächlich um Schäden handelt, die Leute des betreffenden Schiffseigners, soweit er sie für den Schiffsbetrieb verwendet, einem Dritten zufügen.
Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Wo sollte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht irgendeine Beziehung des Leichtereigners zu seinen Leuten liegen, die er für den Schiffsbetrieb verwendet, wenn ein ihm völlig unbekannter, nicht unterstellter, von ihm auch nicht beaufsichtigter und nicht beeinflußbarer Schubbootführer falsch navigiert und es durch dessen Verschulden zwischen einem im gleichen Verband fahrenden anderen Leichter und einem dritten Fahrzeug zur Kollision kommt?!
Welche Tätigkeiten „im Rahmen eines Schiffsbetriebes" können z. B. einem Partikulier zugerechnet werden, der lediglich Eigner eines einzigen Schubleichters ist? Doch nur solche Tätigkeiten, die ihm rechtlich und tatsächlich überhaupt möglich sind. Das kann nur bejaht werden bezüglich der Sorgfaltspflichten, die ihm vor und nach der vom Schubboot vorzunehmenden Beförderung des Leich ters von A nach B obliegen, also z. B. hinsichtlich der Ausrüstung, Fahrfähigkeit, in Ansehung notwendiger Angaben und Hinweise auf Schwachstellen des Fahrzeugs, seinem Tiefgang, ferner bezüglich erforderlicher Anweisungen zur Bewachung usw. Gerade wei1 der Schiffahrtsbetrieb eines solchen Partikuliers nicht den Schlepp- oder Schubbetrieb umfaßt, bedient er sich zur Beförderung des Leichters eines fremden Schubbootes. Wenn überhaupt, könnte dann allenfalls eine Haftung aus § 278 BGB im Verhältnis des Schubleichtereigners gegenüber seinen Auftraggebern bezüglich des Verlustes oder der Beschädigung der übergebenen Güter die Rede sein. Unter Umständen könnte auch hinsichtlich des Drittschadens, den das Schubboot schuldhafterweise verursacht, die Haftung nach § 831 BGB in Betracht gezogen werden, wobei wohl in fast allen Fällen eine „culpa in eligendo" ausscheidet und der Entlastungsnachweis für die richtige Auswahl des Schubbootes gelingen wird. Aber die Vorschriften der §§ 278 und 831 BGB haben im Gegensatz zu den Spezialvorschriften der §§ 3 und 4 BSchG nicht die dingliche Haftung zur Folge.
Wenn überhaupt, kann demnach von der „Verwendung von Leuten für den Schiffsbetrieb" auf einem Schubleichter im Sinne der §§3 und 4 BSchG höchstens im Falle der Identität des Eigners von Schubboot und Schubleichtern im gleichen Schubverband die Rede sein.

3. Handelt es sich aber um einen fremden, nicht dem Schubbooteigner gehörenden Leichter, so fehlt es nicht nur an einem entsprechenden Willen und erst recht an einem ausdrücklichen Vertrag des Leichtereigners mit einer entsprechenden Mannschaft, sondern vor allem an der Besatzung des Leichters selbst. An dieser Feststellung kommt auch der BGH nicht vorbei, der selbst den Gesetzgeber zitiert, wonach Schubleichter über keine Besatzung verfügen.
Der Leichter ist ein Schiff, das nicht selbständig steuerbar ist und eben deswegen keine Besatzung hat. Es muß geschleppt oder geschoben werden, und zwar aufgrund eines Vertrages zwischen seinem Eigner (Ausrüster) und dem Schubbooteigner. Dieser Vertrag ist genauso zu bewerten wie ein Schleppvertrag, nämlich in der Regel als Werkvertrag, der auf die Beförderung (Abschleppung, Verschiebung) dieses Schiffes von A nach B gerichtet ist (s. hierzu Vortisch § 26 Anm. 9 b).

Übrigens hat das Reichsgericht bereits früher zur Verschleppung nautisch unselbständiger, unbemannter Schiffskörper, die in die Obhut des Schleppbootes genommen waren, Stellung genommen (RG in JW 1927 2411 Nr. 2; RGZ 82, 427; RGZ 67, 10; VersR 56, 367; Vers.R. 57, 286). Deshalb wurde dem geschleppten Schiff aber nicht die dingliche Haftung für einen Drittschaden aufgebürdet, der auf das Verschulden des Schleppbootes zurückzuführen war.


4. Wie will man schließlich verfahren, wenn durch schuldhaft unterbliebene Reparaturen eines dem Schubbooteigner oder -führer unbekannten Schadens am Leichter der Schubverband in eine Havarie mit einem dritten Schiff verwickelt wird und dieses Schiff schuldlos sinkt? Soll nun auch das Schubboot nebst allen anderen fremden Schubleichtern haften? Eigentlich müßte dies nach dem Urteil des BGH im Ergebnis ebenso bejaht werden. Aber hier ist wiederum keine Beziehung zwischen Leuten des schuldigen Leichters einerseits und denen des Schubbootes und der sonstigen Leichter andererseits vorhanden. Wo wäre auch insoweit eine „entsprechende Anwendung" noch möglich, denn der Schubbootführer und die anderen Leichter verwenden keinesfalls Leute des die Ursache setzenden Leichters.


5. Der BGH lehnt sodann die Anwendung des § 4 Abs. 3 BSchG ab und befaßt sich bezüglich der Auslegung dieser Vorschrift mit den Gesetzesmaterialien, insbesondere der Reichstagsdrucksache Nr. 253 der 9. Legislaturperiode III. Session 1894/95, woraus sich Gründe für die Einführung der genannten Bestimmung ergeben. Sie erfolgte mit Rücksicht auf die d a m a l i g e Rechtsprechung des Reichsgerichts, daß im Binnenschiffahrtsverkehr ebenso wie im Seeverkehr die Besatzung des Schleppers als Besatzung der geschleppten Schiffe gelte. Mit der Einfügung des § 4 Abs. 3 BSchG in den vorliegenden Gesetzesentwurf sollte in erster Linie erkennbar gemacht werden, daß hinsichtlich der Haftung dritten Personen gegenüber ein Schleppzug nicht als unteilbares Ganzes anzusehen sei und kein Schiff für einen Schaden haftbar gemacht werden solle, der durch das Verschulden eines anderen im Schleppzug fahrenden Schiffes verursacht worden ist (s. hierzu VortischZschucke 3. Auflage § 4 Anm. 10a). Die frühere Auffassung von der Einheit des Schleppzuges hat das Reichsgericht (und danach die sonstige Rechtsprechung) nach Inkrafttreten des Binnenschifffahrtsgesetzes erst mit einiger Verzögerung, dann aber mit einer eingehenden und auch für den vorliegenden Fall bedeutsamen und richtungweisenden Begründung in einem Urteil vom 23. 3. 1907 (RGZ 65, 382) aufgegeben. Es erscheint im Hinblick auf die Entscheidung des BGH erforderlich, aus diesem Urteil einige Stellen näher zu beleuchten:

a) Das Reichsgericht geht zunächst von verschiedenen interessanten Feststellungen aus, und zwar

   - daß dem Führer des Schleppers „die allgemeine Leitung des Schleppzuges oblag", was auch beim Schubverband der Fall ist,

- daß der Kahnschiffer verpflichtet war, „den Erfolg des Unternehmens durch richtiges Nachsteuern und . . . zweckdienliche Maßnahmen nach Kräften zu fördern", was beim Schubverband mangels eigener Manövrierfähigkeit entfällt,

-  daß „der unmittelbaren Besatzung des Kahnes ein Verschulden an dem Unfall nicht zur Last zu legen" war, was beim Schubverband entfällt, da der Schubleichter unbestreitbar - laut ausdrücklicher Gesetzesvorschrift - über keine „unmittelbare Besatzung" verfügt und dem Schubleichtereigner nicht einmal mittelbar eine Besatzung unterstellt ist, daher auch das Verschuldensprinzip der Spezialvorschrift des § 3 BSchG (Haftung für fremdes Verschulden - aber nur bezogen auf „seine Leute" - die der Leichtereigner nicht hat) insoweit nicht durchgreifen kann.

b) In seinen weiteren Ausführungen weist das RG darauf hin, daß bei dieser Sachlage (s. oben zu a) und im Falle der Anwendung der bisherigen Auffassung und Rechtsprechung auch der Eigner des Kahnes haftbar sein würde, u. a. unter dem früheren Gesichtspunkt, daß beim Schleppzug die Besatzung des einen Schiffs auch als die des anderen anzusehen sei, „wenn und insoweit sie eine Dienstverrichtung ausführt, die dem anderen Schiffe dient oder für dieses Geltung hat" - praktisch die gleiche Begründung, mit der der BGH seine neue Entscheidung rechtfertigt. Gerade von dieser Argumentation hat sich das Reichsgericht in der erwähnten Entscheidung aber ausdrücklich distanziert (a.a.O. S. 385), weil „die einfache Übertragung der seerechtlichen Norm weder den Bedürfnissen des Binnenschifffahrtsverkehrs gerecht wird, noch mit der Bestimmung in § 4 Abs. 3 BSchG in Einklang zu bringen ist" (!).


c) Die Erläuterung dieser Erkenntnis ist sehr aufschlußreich: Im Gegensatz zur Seeschiffahrt, bei der der „Schlepper nur als untergeordnetes Organ des Seeschiffes als eigentlichen Trägers des von letzterem als geleiteten gefahrbringenden Unternehmens als Haftungsobjekt" anzuerkennen sei, liege in der Binnenschiffahrt die Führung dem Schleppzuge ob, wobei „der Wert des Schleppbootes im großen und ganzen den Wert der einzelnen geschleppten Kähne übersteige". Dieses Wertverhältnis hat sich angesichts der sehr hohen Schubbootpreise zugunsten des Schubbootes noch wesentlich verschoben!


d) Ferner sieht das RG keinen „rechtspolitischen Grund", daß bei einem Schaden, „der ausschließlich durch ein Verschulden der Besatzung des Schleppers angerichtet wird, die sämtlichen im Anhange befindlichen Schiffe aus dem Grunde haftbar gemacht werden sollten, daß die betreffende Dienstvorrichtung auch ihnen diene". Gezielter und genauer hätte das RG die heute vom BGH gewählte Begründung einer anderen Auffassung überhaupt nicht ablehnen können.


e) Wenn man eine Haftung sämtlicher Anhangschiffe für das alleinige Verschulden des Schleppbootführers damit rechtfertigen wolle, „daß sämtliche Glieder des Schleppzuges sich das für Dritte gefahrbringende Unternehmen der Schleppschiffahrt zu Nutze machten und deshalb für jeden durch Verschulden eines daran Beteiligten für Dritte entstehenden Schaden solidarisch einzutreten hätten", so sei „eine so weitgehende Gefährdehaftung" stets - auch im Sinne der insoweit für die Entwicklung des deutschen Rechts vorbildlichen englischen Jurisprudenz - abgelehnt worden. Eine andere Auslegung des § 4 Abs. 3 BSchG werde dieser Gesetzesbestimmung nicht gerecht und enthalte ihr die beabsichtigte Wirkung vor.


f) Unter Hinweis auf die in der amtlichen Regierungsvorlage im Jahre 1894 zitierte bisherige Rechtsprechung des RG, wonach zwar sämtliche Anhänge eines Schleppzuges für ein Verschulden des Schleppers hafteten, aber wenn der Unfall nur einem geschleppten Schiff zum Verschulden gereichte, nur dieses haftbar gemacht wurde, ging schon das RG in seinem Urteil (a.a.O. S. 387) auf die auch vom BGH zum Teil wörtlich wiedergegebene Erklärung ein, die in der Redaktionskommission des Reichstages, entgegen der ursprünglichen Auffassung der Regierung, abgegeben wurde und zur Einfügung der Vorschrift des § 4 Abs. 3 geführt hat. Ohne an dieser Stelle auf die weitere Bewertung dieser Erklärungen durch das RG in seinem Urteil eingehen zu müssen, geht aber eindeutig daraus hervor, daß das RG eine strikte Anwendung des in § 4 Abs. 3 BSG enthaltenen Haftungsgrundsatzes für notwendig hielt. Denn es heißt in dem Urteil weiterhin: „Gerade für den Normalfall, wo die Führung des Dampfers für den Kurs des Schleppschiffes bestimmend ist, und jener in Ausführung des Schleppdienstes handelt, wurde es als unbillig empfunden, die Schleppschiffe für das schuldhafte Verhalten des Schleppers haftbar zu machen. Gerade für diesen Normalfall sollte der seerechtlichen Auffassung für den Schleppdienst auf Binnengewässern entgegengetreten werden. Diese Absicht des Gesetzgebers hat auch im Gesetze durch den Ausspruch, daß die Haftung sich auf dasjenige Schiff (nebst Fracht) beschränken solle, welches den Schaden verursacht hat, einen genügend klaren Ausdruck gefunden. Eine unbefangene Auslegung, die nicht von der Tendenz beeinflußt ist, die seerechtlichen Grundsätze möglichst auf das Binnenschiffahrtsrecht zu übertragen, muß zu diesem Ergebnis gelangen."
   An diesen eindeutigen Feststellungen des RG wird man nicht vorbeigehen können. Einen besseren „Normalfall" als den, daß gerade im Schubverband allein die Führung des Schubbootes für den Kurs des geschobenen Schiffes bestimmend ist, gibt es mangels jeder anderen Alternative überhaupt nicht.

g)  Schließlich ist das RG-Urteil noch bezüglich eines weiteren wichtigen Hinweises (unter Berufung auf Mittelstein, Binnenschifffahrtsrecht, 2. Auflage Bd. 1 S. 55) von Bedeutung: Das Gesetz spricht in § 4 Abs. 3 nicht von der „Schiffsbesatzung", sondern von dem „Schiff, welches den Schaden verursacht hat". Das RG stellt unter Angabe sonstiger Rechtsliteratur (Mittelstein a.a.O.; Boyens in Zeitschrift für das ges. Handelsrecht Bd. 50 S. 81 ff.; Förtsch, Binnenschiffahrtsgesetz 2. Aufl. S. 41; Landgraf, Binnenschiffahrtsgesetz, zu § 4 aE.; Leo, Seehandelsrecht S. 142 Abs. 2) hierzu fest: „In der Tat ist es unverkennbar, daß das Gesetz einen Gegensatz macht zwischen den Besatzungen der einzelnen Glieder eines Schleppzuges und jedes Glied nur für seine Besatzung, unter Ausschluß der Besatzung des anderen Gliedes, mag diese auch in anderer Beziehung als seine Besatzung zu gelten haben, haftbar machen will. Daher ist durch dieses Gesetz ausgeschlossen, den Eigner des geschleppten Schiffes für irgendeine schuldhafte Handlung der eigentlichen Besatzung des Schleppers ... verantwortlich zu machen."


6. Im Ergebnis hat sich der BGH zur Zulassung einer Gefährdungshaftung entschlossen, die er offensichtlich wegen der für notwendig gehaltenen Einbeziehung eines angeblich haftungsfreien Raumes in die gesetzliche Haftungslage rechtfertigen will. Allerdings wäre dieser folgenreiche Eingriff wohl Sache des Gesetzgebers gewesen.

Es muß bedauert werden, daß der BGH die auch in dem entschiedenen Fall einfach zu handhabenden Grundsätze des Verschuldens nicht für ausreichend hält, mit denen auch im Zeitalter des technischen Fortschritts in der Binnenschiffahrt alle wichtigen Positionen und Anwendungsmöglichkeiten der Schubschiffahrt in rechtlich befriedigender Weise abgedeckt werden könnten, und zwar in der Weise, daß bei Drittschäden, die auf Verschulden des Schubboots beruhen, letzteres haftet, und zwar auch dann, wenn das Schubboot den Leichter in falscher Weise oder am falschen Orte ablegt. Wird der abgelegte Leichter von dem Aufsichtspflichtigen - wenn das Fahrzeug sich nicht mehr im Schubverband befindet, in der Regel also vom Leichtereigner selbst - nicht gehörig beaufsichtigt, löst er sich aus dem Schubverband wegen beschädigter oder unsachgemäßer Ausrüstung, kommt es zu Grundberührungen, die wegen vom Leichtereigner zu vertretender falscher Beladung verursacht sind und eine Anfahrung eines dritten Schiffes durch den Schubverband zur Folge haben, so haftet der Eigner des Leichters. Von einem haftungsfreien Raum kann also nicht die Rede sein. Haftet das Boot allein, so ist die dingliche Befriedigung im Hinblick auf den hohen Wert des Schubboots weit mehr gesichert als es im früheren Schleppverband beim Schlepper je der Fall war. Von einer größeren Gefährlichkeit kann jedenfalls nicht die Rede sein. Zog ein kleiner, alter Schlepper einen großen mit wertvollen Gütern beladenen Kahn schuldhaft gegen ein drittes Schiff oder gegen einen Brückenpfeiler, so trat auch keine dingliche Haftung des Kahneigners ein. Die dingliche Haftung eines kleinen, alten Schleppers reichte oftmals kaum zur Befriedigung der Gläubiger des Drittschadens aus (s. auch Vortisch § 4 Anm. 10 a; RGZ 65, 389).

7. Nach alledem läßt sich nach diesseitiger Auffassung das Urteil des BGH mit einer unmittelbaren oder analogen Anwendung des § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchG kaum rechtfertigen. Der BGH hätte vielmehr die Vorschrift des § 4 Abs. 3 BSchG zur Anwendung bringen müssen.

Es ist zwar richtig, daß die Vorschrift des § 4 Abs. 3 nur Schiffe in einem Schleppzug erwähnt, während sich die grundlegenden Vorschriften der §§ 3 und 4 Abs. 1 und 2 BSchG mit dem in ihnen verankerten reinen Verschuldensprinzip auf alle Schiffe und Fahrzeugarten der Binnenschiffahrt beziehen und demgemäß von der Rechtsprechung auch auf die Haftung von Schubschiffen aller Art angewendet werden. Da § 4 Abs. 3, wie dargelegt, bewußt darauf gerichtet ist, das Verschuldensprinzip auf die in Verbänden fahrenden einzelnen Fahrzeuge zu beschränken, keinesfalls aber einer Gefährdungshaftung Tür und Tor zu öffnen, muß insoweit wegen der gleichartigen Verhältnisse eine entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 3 auf Schubzüge und ihre einzelnen - rechtlich selbständigen - Glieder in Betracht gezogen werden, andernfalls genau das Gegenteil des in dieser Vorschrift verankerten Gedankens verwirklicht werden würde.

Dr. Dütemeyer