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Leitsatz:
Der Bergfahrer darf dem Talfahrer einen vom üblichen Kurs abweichenden Weg weisen, wenn dieser für den Talfahrer geeignet ist und durch die Kursweisung keine Gefahrenlage entsteht. Dann besteht für den Talfahrer auch kein Anlaß, sich vor der Befolgung dieser Weisung mit dem Bergfahrer über die Art der Begegnung zu verständigen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 14. Februar 1977
II ZR 14/75
(Schiffahrtsgericht Mannheim; Schifffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS L stieß auf der Bergfahrt oberhalb der Neckarschleuse Hirschhorn mit dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten, zu Tal kommönden MS H in der rechten Flußhälfte am oberen Ende einer starken Linkskrümmung des Flusses zusammen.
Die Klägerin verlangt Ersatz des erstatteten Schadens an MS L von etwa 26700,- DM, weil MS H der Weisung durch blaue Seitenflagge, an der Steuerbordseite des MS L vorbeizufahren, nicht gefolgt sei, vielmehr den bisher in der linken Flußhälfte verlaufenden Talkurs etwa 200 m vor der Begegnung hart nach Steuerbord geändert und dadurch die Kollision verursacht habe.
Die Beklagten behaupten, daß MS L durch Nichtsetzen der blauen Seitenflagge Weisung zur Backbordbegegnung gegeben und MS H deswegen den Kurs zum rechten Ufer hin geändert habe. Dann habe MS L den Kurs ebenfalls zum rechten Ufer hin genommen, wodurch es zur Kollision gekommen sei.
Die Klage ist in den Vorinstanzen abgewiesen worden. Auch die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
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Nach Ansicht des Berufungsgerichts trifft den Beklagten zu 2 kein Verschulden an dem Schiffszusammenstoß. Das ergebe eindeutig der Unfallhergang. Danach seien die Kurse des MS L und des MS H zunächst in der linken Flußhälfte verlaufen.
Als sie noch 300 bis 200 m voneinander entfernt gewesen seien, habe der Talfahrer den Kurs in die rechte Flußhälfte geändert, weil der Bergfahrer keine blaue Seitenflagge (oder -tafel) gezeigt und damit die Weisung gegeben habe, an seiner Backbordseite vorbeizufahren (§ 38 Nr. 2 BinnSchStrO 1966). Unmittelbar darauf sei jedoch MS L auf Höhe von Neckar-km 48,900 bis 49,000 selbst hart in Richtung des rechten Ufers gelaufen; erst hierbei habe es die blaue Seitentafel beigesetzt. Dadurch sei es in der rechten Flußhälfte bei Neckar-km 49,050 bis 49,100 zu der Kollision gekommen, die mit Rücksicht auf den geringen Abstand der beiden Fahrzeuge bei der Kursänderung des MS L und den bereits zuvor von MS H eingeschlagenen Steuerbordkurs für den Talfahrer unabwendbar gewesen sei.
Die Revision meint, den Beklagten zu 2 treffe entgegen der Ansichten des Berufungsgerichts auch dann ein Verschulden an dem Schiffszusammenstoß, wenn man von dem festgestellten Unfallverlauf ausgehe. Ihm sei vorzuwerfen, daß er sich vor der Kursänderung seines Fahrzeugs nach Steuerbord nicht mit dem Bergfahrer über den Begegnungskurs verständigt und den Kurswechsel nicht durch Schallzeichen begleitet habe. Zwar sei im allgemeinen der Talfahrer nach Weisung des Begegnungskurses durch den Bergfahrer nicht verpflichtet, sich mit diesem über die Art der Begegnung zu verständigen, ehe er die Weisung befolge, und einen infolge der Weisung notwendigen Kurswechsel durch Schallzeichen anzuzeigen. Hier hätten das jedoch die besonderen Umstände des Falles geboten. Da die Schleuse Hirschhorn am unteren Ende der starken Linkskrümmung des Neckars auf der linken Flul3seite liege, verlaufe der übliche Kurs der Talfahrt oberhalb der Schleuse in der linken Flußhälfte, wogegen die Bergfahrt nach dem Verlassen der Schleuse zum rechten Ufer hinübergehe, also durch den Hang fahre, und der Talfahrt die blaue Seitenflagge zeige, damit sie an der Steuerbordseite passiere. Deshalb sei die Weisung des MS L an MS H, an der Backbordseite vorbeizufahren, unüblich und fehlerhaft gewesen und habe dem Talfahrer keinen geeigneten Weg freigelassen, nämlich den Weg zum linken Ufer zu der am unteren Ende der Linkskrümmung befindlichen Schleuse. Mit Rücksicht darauf hätte der Beklagte zu 2, der mit den üblichen Kursen von Berg- und Talfahrt im Unfallbereich vertraut gewesen sei, MS L auf die fehlerhafte Kursweisung aufmerksam machen und eine Verständigung über die Art der Begegnung durch Schallzeichen herbeiführen müssen.
...
... kann offen bleiben, ob oder welche Maßnahmen der Beklagte zu 2 hätte ergreifen müssen, wenn die Weisung des MSL, an der Backbordseite vorbeizufahren, fehlerhaft gewesen wäre. Denn das war nicht der Fall. Zwar trifft es nach dem angefochtenen Urteil zu, daß wegen der Lage der Schleuse Hirschhorn auf der linken Flußseite am unteren Ende einer starken Linkskrümmung des Neckars der Kurs der Talfahrt üblicherweise im linken Teil des Fahrwass.rs verläuft, wogegen die Bergfahrt nach dem Verlassen der Schleuse gewöhnlich auf die rechte Fahrwasserseite hinübergeht, dort ihren Weg fortsetzt und mit der Talfahrt Steuerbord an Steuerbord begegnet. Das allein machte aber die Weisung des MS L an MS H, an der Backbordseite zu passieren, nicht bereits fehlerhaft. Denn diese Frage ist nicht danach zu beurteilen, ob der MS H gewiesene Begegnungskurs dem üblichen Weg der Talfahrt entsprach, sondern ob dieser Kurs MS H unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs einen geeigneten Weg freiließ. Das folgt aus der Vorschrift des § 38 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 BinnSchStrO 1966 - jetzt: § 6.04 Nr. 1 BinnSchStrO 1971 -, die der Bergfahrt bei der Festlegung des Begegnungskurses lediglich zur Pflicht macht, der Talfahrt einen geeigneten Weg freizulassen. Demgemäß hat der Senat schon mehrfach ausgesprochen, daß der Bergfahrer dem Talfahrer einen vom üblichen Kurs abweichenden Weg weisen darf, sofern er für diesen geeignet ist, d.h. wenn hierdurch keine Gefahrenlage entsteht (Urt. v. 27. 4. 61 - II ZR 156/59, VersR 1961, 532, 533; Urt. v. 11. 7. 63 - 11 ZR 107/62, VersA 1963, 825, 826). Etwas anderes besagt auch nicht, wie die Revision anscheinend meint, das Senatsurteil v. 19. 11. 73 - II ZR 96/72 - LM BinnSchStrO 1966 Nr. 4 = VersA 1974, 237/238, das im übrigen den Fall betraf, ob der Bergfahrer dem Talfahrer die tiefe Seite des Fahrwassers (Grube) nicht zu überlassen brauchte (vgl. § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchStrO 1966), wenn sich an einer schwierigen Stelle aus Sicherheitsgründen eine entsprechende Übung gebildet hatte. Daß aber MS L dem Talfahrer für die Begegnung keinen gefahrlosen Weg gewiesen hat, läßt sich weder dem angefochtenen Urteil noch dem Vorbringen der Klägerin in den Vorinstanzen entnehmen. Zwar wäre das Befolgen der Kursweisung des Bergfahrers für MS H nicht risikolos gewesen gewesen, wenn es nach dem Passieren an der Backbordseite des MS L nur unter Gefahr auf seinen ursprünglichen, durch die Lage der Schleuse Hirschhorn gebotenen Kurs hätte zurückkehren können. Hierfür ist jedoch kein Anhalt gegeben, zumal der Begegnungsort sich etwa am oberen Ende der starken Linkskrümmung befunden hat und damit noch gut einen Kilometer vom oberen Molenkopf der bei Neckar-km 47,74 liegenden Schleuse (vgl. hierzu die Angaben im Westdeutschen Schiffahrts- und Hafenkalender - WESKA) entfernt war. Hatte aber MS L mit der MS H gewiesenen Backbordbegegnung diesem Fahrzeug einen geeigneten Weg freigelassen, so bestand für den Talfahrer kein Anlaß, sich vor dem Befolgen der Weisung mit dem Bergfahrer, dessen Kurs der eigenen Weisung entsprach und an die er überdies nach § 37 Nr. 3 BinnSchStrO 1966 selbst gebunden war, noch ausdrücklich über die Art der Begegnung durch Schallzeichen zu verständigen oder die Steuerbordkursänderung durch Schallzeichen zu begleiten. Zudem hätte die Abgabe von Schallzeichen seitens des Talfahrers die - nach der klaren Kursweisung des Bergfahrers - eindeutige Lage verwirren können, da die Zeichen bei dem Bergfahrer, dessen Kurs und Sichtzeichen wegen der starken Linkskrümmung des Neckars für den Talfahrer erst auf kurze Entfernung erkennbar waren, den unrichtigen Eindruck hervorrufen konnten, der Talfahrer habe die ihm erteilte Kursweisung nicht erkannt oder befinde sich aus sonstigen Gründen im unklaren darüber, an welcher Seite des Bergfahrers er vorbeizufahren habe.
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