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II ZR - 146/84 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 18.04.1985
Aktenzeichen: II ZR - 146/84
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Ist ein Schiff bei dem Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug beschädigt worden, so kann der Schiffseigner mit dem Anspruch auf Ersatz der Beschädigung des Schiffskaskos nicht gegen die Schadensersatzforderung des Eigentümers des anderen Fahrzeugs aufrechnen, wenn und soweit diesem ein Schiffsgläubigerrecht an dem Anspruch des Schiffseigners gegen ihn zusteht.

2) Zur dinglichen und beschränkt persönlichen Haftung des Schiffseigner-Schiffers, dessen Fahrzeug nach einer von ihm verschuldeten Kollision wegen Reparaturunwürdigkeit abgewrackt worden ist.

Urteil des Bundesgerichtshofs

vom 29. April 1985

(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Zwischen dem bei der Klägerin versicherten, zu Tal fahrenden, beladenen MS „HE" und dem zu Berg kommenden MS „H" des Beklagten (Schiffseigner-Schiffer) kam es zum Zusammenstoß, durch den das Schiff des Beklagten so schwer beschädigt wurde, dass es wegen Reparaturunwürdigkeit verschrottet werden musste.

Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte den Zusammenstoß verschuldet habe. Sie beziffert den Schaden aus abgetretenem Recht des Eigners von MS „HE", der Ladungsbeteiligten dieses Schiffes und dessen Inventarversicherers auf insgesamt 231 696,40 DM. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

in DM:
a) Kaskoschaden              109 882,40
b) Nutzungsverlust              46 598,-
c) Inventarschaden             20 700,-
d) Havarie-große Kosten    47 361,-
e) Kosten für Experten          7164,-

insgesamt: 231 696,40

Mit der Klage verlangt die Klägerin 53780,12 DM (Wert des MS „H" nach dem Unfall (48 200, DM) zuzüglich Fracht für die Unfallreise (5580,12 DM).

Der Beklagte hat in der Berufungsverhandlung anerkannt, die Kollision zu drei Viertel verschuldet zu haben. Zu einem Viertel habe der Eigner des MS „HE" den an MS „H" entstandenen Schaden von 196187,98 DM zu ersetzen, also 49046,99 DM. Mit dieser Forderung rechnet er gegen den Klageanspruch auf.

Die Klägerin hat ihrerseits gegen die Forderung des Beklagten mit dem Teil ihrer Schadensersatzforderung aufgerechnet (177916,28 DM), der den Klageanspruch (53 780,12 DM) übersteigt.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat den Beklagten zur Zahlung von 4 733,13 DM verurteilt, die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klägerin verlangt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

Der Bundesgerichtshof hat unter Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, den Beklagten zur Zahlung von 30471,75 DM verurteilt und die Sache bezüglich eines Teilbetrages von 18575,24 DM zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:

1. Vorweg ist zu bemerken:

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Kollision durch nautische Fehler verursacht. Deshalb ist seine Haftung für den Schaden der Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung auf das - aus Schiff und Fracht bestehende - Schiffsvermögen beschränkt (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG), an welchem diesen ein Schiffsgläubigerrecht erwachsen ist (§ 102 Nr. 5 Abs. 2 BinnSchG). Es ist daher zumindest missverständlich, soweit das Berufungsgericht im Zusammenhang mit § 4 Abs. 2 Satz 2 Binn-SchG von einer „auf den Wert" von Schiff und Fracht begrenzten Haftung des Beklagten spricht. Dieser hat nach der genannten Bestimmung nur die Zwangsvollstreckung in das Schiffsvermögen zu dulden (beschränkt dingliche Haftung), hingegen nicht in Höhe des Werts dieses Vermögens zu haften (beschränkt persönliche Haftung). Infolgedessen kann § 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG nicht Grundlage für den Zahlungsanspruch der Klägerin sein. Hierfür kommen vielmehr die §§ 112-114 BinnSchG in Betracht.

b) Der Beklagte hat nicht in Abrede stellen können, die Fracht von 5580,12 DM für die Havarie reise eingezogen zu haben. Damit haftet er für diesen Betrag persönlich (§ 112 Abs. 2 BinnSchG).

c) Hingegen hat er unwidersprochen vorgetragen, dass er MS „H" nach der Kollision zu keiner neuen Reise (vgl. zu diesem Begriff BGHZ 3, 34, 42 ff. sowie Vortisch/Zschucke, Binnenschifffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 114 Anm. 3a und b) ausgesandt hat, sondern das Schiff verschrottet worden ist. Da nach § 114 Abs. 1 BinnSchG eine auf den Wert des Schiffes beschränkte persönliche Haftung des Schiffseigners nur entsteht, wenn er das Schiff zu einer neuen Reise aussendet, vermag diese Vorschrift den Zahlungsanspruch nicht zu stützen.

d) Aus den von den Vorinstanzen beigezogenen Verklarungsakten (Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort - 5 11 15/80) ergibt sich, dass der Beklagte MS „H" nicht selbst verschrottet hat, weshalb er das mit der Zerstörung des Schiffes erfolgte Erlöschen des Schiffsgläubigerrechts der Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung nicht bewirkt hat (zur Schadensersatzpflicht in einem solchen Falle vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II § 774 Anm. 19). Vielmehr hat er das Schiff an die Firma C. in Dortmund veräußert, die es sodann verschrottet hat. Ob der Beklagte in Höhe des eingezogenen Kaufgelds den Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung persönlich haftet (§ 113 BinnSchG), ist von den Vorinstanzen nicht geprüft worden. Ferner ist unerörtert geblieben, was aus den Gegenständen (Hydraulik-Doppelsteueranlage, Flussradaranlage, Wendeanzeiger) geworden ist, die auf MS „H" auf Grund eines Leasingvertrags (vgl. Verklarungsakten BI. 32 f.) eingebaut gewesen sind, allerdings im Eigentum des Leasinggebers gestanden haben. Ihr Wert hat nach den Angaben des Sachverständigen K. (Verklarungsakten BI. 54) 32174,- DM betragen und damit den weitaus größten Posten des Restwerts des MS „H" ausgemacht. Diese Leasing-Gegenstände hat zwar das Schiffsgläubigerrecht der Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung umfasst (§ 103 Abs. 1 BinnSchG; vgl. auch Mittelstein, Das Recht der Binnenschifffahrt S. 414; Vortisch/ Zschucke a.a.O. § 4 Anm. 3c). Sollte sie jedoch der Leasinggeber auf Grund seines Eigentums oder vertraglicher An¬sprüche aus dem Leasingverhhältnis an sich genommen haben, so wäre das Schiffsgläubigerrecht daran in ent¬sprechender Anwendung des § 1121 Abs. 1 BGB, § 31 Abs. 2 SchiffsRG erloschen (Vortisch/Zschucke a.a.O. § 103 Anm. 1 b; Schaps/Abraham a.a.O. § 755 Anm. 12). Sollte sie hingegen der Beklagte veräußert und auch das Kaufgeld eingezogen haben, so würde er in dessen Höhe den Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung entsprechend § 113 BinnSchG persönlich haften. Indes kann von einer weiteren Klärung der tatsächlichen Gegebenheiten zu den vorstehend angesprochenen Punkten abgesehen werden, weil in der Revisionsinstanz nur noch Streit über die Aufrechnung des Beklagten besteht. Damit steht fest, dass der nur wegen der Aufrechnung abgewiesene Teil des Klageanspruchs (49 046,99 DM) an sich begründet und nicht mehr zu prüfen ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Oktober 1971 - VII ZR 47/70, WM 1972, 53, 54).

2. Nach Ansicht der Revision scheitert die Aufrechnung des Beklagten schon daran, dass ihm bei einer „richtigen Schadensausgleichung" keine Aufrechnungsforderung zustehe. Das Berufungsgericht habe rechtlich fehlerhaft den Schaden auf Seiten der beiden Schiffe (MS „HE": 231 696,40 DM; MS „H": 196187,98 DM) entsprechend der jeweiligen Verschuldensquote der Schiffsführer auf die Parteien verteilt. Stattdessen hätte es gemäß § 92c BinnSchG eine Ausgleichung des Gesamtschadens (427884,38 DM) nach der festgestellten Verschuldensquote von 1/4: 3/4 vor¬nehmen müssen. Daraus errechne sich nach Berücksichtigung der beiderseitigen Schäden ein Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten von 124 725,31 DM, für den dieser jedoch wegen seiner beschränkten Haftung (§ 4 Abs. 2 Satz 2, § 92f Abs. 2 BinnSchG) nur in Höhe der mit der Klage verlangten 53 780,12 DM hafte.

Mit dieser Rüge kann die Revision keinen Erfolg haben. Die Schadensverteilung durch das Berufungsgericht steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats. Danach ist in Fällen der vorliegenden Art jeweils „von dem Schaden auszugehen, den das einzelne Schiff erlitten hat, nicht etwa ist der Gesamtschaden für alle Schiffe festzustellen und nur der an die einzelnen Schiffseigner zu zahlende Unterschiedsbetrag zu berechnen" (Senatsurteil vom 29. Juni 1959 - II ZR 3/581), LM RheinschifffahrtspolizeiVO vom 4. Dezember 1954 Nr. 3 = VersR 1959, 608, 612; vgl. auch BGHZ 15, 133, 134/ 135). Das genannte Senatsurteil betrifft allerdings die am 6. September 1972 außer Kraft getretene Regelung des § 92 BinnSchG a. F. in Verbindung mit § 736 HGB. Sachlich hat sich aber an dieser Regelung mit der Einführung des § 92c BinnSchG nichts geändert (vgl. auch BT-Drucks. VI/2432 S. 5).

3. Entgegen der Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichts lässt sich der Aufrechnung des Beklagten auch nicht entgegenhalten, sie sei unwirksam, „weil sie sich mit dem gesetzgeberischen Grundgedanken des § 4 BinnSchG und den Geboten von Treu und Glauben nicht vereinbaren lässt". Dass die Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung Ersatz für ihren Schaden nur aus dem Schiffsvermögen des Beklagten beziehungsweise in Höhe des Werts desselben verlangen können und deshalb bei der Größe ihres Schadens weitgehend leer ausgehen, ist die Folge der vom Gesetzgeber durch das Binnenschifffahrtsgesetz eingeführten Haftungsbeschränkung des Schiffseigners. Das hat nichts damit zu tun, dass dem Beklagten seinerseits wegen des Mitverschuldens der Führung des MS „HE" an dem Schiffszusammenstoß gegen dessen Eigner ein - ebenfalls auf das Schiffsvermögen beschränkter - Schadensersatzanspruch zusteht. Diesen kann er im Wege der Klage, der Widerklage oder der Aufrechnung geltend machen. Zutreffend hat deshalb das Rheinschifffahrtsobergericht angenommen, dass der Beklagte mit seinem Schadensersatzanspruch grundsätzlich aufrechnen kann.

4. Gegen die Aufrechnung des Beklagten bestehen jedoch folgende Bedenken:

a) Nach § 115 Abs. 2 BinnSchG erstreckt sich das Schiffsgläubigerrecht auf die „Entschädigung, die wegen des Verlustes oder der Beschädigung des Schiffes dem Schiffseigner von demjenigen gezahlt werden muß, welcher den Schaden durch eine rechtswidrige Handlung verursacht hat". Die Vorschrift soll verhindern, dass ein solcher Verlust oder eine derartige Beschädigung im Ergebnis zu einer Bereicherung des Schiffseigners auf Kosten der Schiffsgläubiger führt (vgl. Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschifffahrt - Carl Heymanns Verlag 1895 S. 125/126). Zieht der Schiffseigner diese Entschädigung ein, so haftet er den Schiffsgläubigern in Höhe des eingezogenen Betrags persönlich (§ 115 Abs. 3 BinnSchG).

b) In dem - unbestrittenen - Gesamtschaden des Beklagten von 196187,98 DM ist ein Teilbetrag von 121887,- DM aus der Beschädigung des Kaskos von MS „H" enthalten. Hiervon macht er im Rahmen der gegen den Klageanspruch zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzforderung von 49046,99 DM (=1/4 seines Gesamtschadens) eine Teilforderung von 30 471,75 DM (= 1/4 des Kaskoschadens) geltend. An dieser Teilforderung besteht, worauf die Revision in der mündlichen Verhandlung zutreffend hingewiesen hat, ein Schiffsgläubigerrecht der Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung gemäß § 115 Abs. 2 BinnSchG (vgl. auch oben lit. a). Zieht der Beklagte diese Teilforderung durch Aufrechnung gegen den Klageanspruch ein, .so haftet er den Interessenten in Höhe des eingezogenen Betrags (§ 115 Abs. 3 BinnSchG). Damit muss er das, was ihm durch die Aufrechnung mit der Teilforderung vermögensmäßig zufließt, an diese sofort wieder zahlen. In einem solchen Falle verstößt die Aufrechnung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), so dass sie unzulässig ist. Infolgedessen kann der Beklagte mit seiner Schadensersatzforderung nur in Höhe eines Teilbetrags von 18 575,24 DM (49 046,99 DM / 30471,75 DM) aufrechnen.

c) Nun gehören zu den Schadensbeträgen, die dem Klageanspruch zugrundeliegen, zwei Posten (47 361,- DM Havarie-grosse Kosten; 20700,- DM Inventarschaden), von denen nach dem bisherigen Verfahrensstand ungewiss ist, ob oder in welcher Höhe sie dem Schiffseigner-Schiffer des MS „HE" oder Dritten (Ladungsbeteiligte beziehungsweise der sonstigen Besatzung des Schiffes) entstanden sind. Soweit letzteres der Fall ist, kommt eine Aufrechnung des Beklagten nicht in Betracht; weder die Ladungsbeteiligten noch die sonstige Besatzung des MS „HE" trifft ein Mitverschulden an der Kollision; auch haben sie das Mitverschulden des Führers dieses Schiffes nicht zu vertreten. Das hat das Berufungsgericht übersehen.

5. Danach kann das angefochtene Urteil, soweit es zum Nachteil der Klägerin erkannt hat, nicht bestehen bleiben. Dieser steht - neben den zuerkannten 4733,13 DM nebst 4% Zinsen seit 20. Januar 1981 ein weiterer Betrag von 30471,75 DM nebst entsprechender Zinsen zu (vgl. oben Nr. 4b). Ferner bedarf die Sache in Höhe des danach noch offenen Teils (18575,24 DM) des Klageanspruchs weiterer Prüfung durch das Berufungsgericht (vgl. oben Nr. 4c). Hierbei wird dieses auch auf folgende Punkte zu achten haben:
Die Klägerin hat bei einem behaupteten Gesamtschaden von 231 696,40 DM den Klageanspruch - wegen der auf Schiff und Fracht begrenzten Haftung des Beklagten - auf 53780,12 DM beschränkt. Wie sich der Gesamtschaden auf diesen Betrag aufteilt, hat sie nicht vorgetragen. Jedoch folgt aus der Gleichrangigkeit der sich aus den einzelnen Schadensposten ergebenden Forderungen (vgl. § 107 BinnSchG) und der beschränkten Haftung des Beklagten, dass diese im Verhältnis des Gesamtschadens, den der Beklagte den Interessenten des MS „HE" und seiner Ladung zu ersetzen hat (also der Summe aller begründeten Schadensposten, wobei von denen des Schiffseigner-Schiffers des MS „HE" wegen seines Mitverschuldens an der Kollision jeweils ein Viertel abzusetzen sind), zu dem durch Schiff und Fracht bestimmten Haftungsbetrag zu kürzen sind.

Beträgt z. B. der zu ersetzende Gesamtschaden 200 000,- DM, so setzt sich der Klageanspruch von 53 780,12 DM aus jeweils 26,89% der einzelnen Schadensposten zusammen. Gegen sie kann der Beklagte allerdings nur aufrechnen, soweit es um Posten des - den Schaden mitverschuldeten - Schiffseigner-Schiffers des MS „HE" geht, hingegen nicht um solche der Ladungsbeteiligten oder der sonstigen Besatzung des Schiffes (vgl. oben Nr. 4c).