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II ZR 138/79 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 14.07.1980
Aktenzeichen: II ZR 138/79
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Art. 3 IUeZ umfaßt auch das Verschulden des Reeders; insoweit ist § 831 BGB nicht anwendbar.
2) Schadensersatzforderungen aus dem Zusammenstoß von Schiffen oder einer Fernschädigung unterliegen auch insoweit der zweijährigen Verjährungsfrist des § 902 Nr. 2 HGB, als sie auf § 831 BGB gestützt werden.
3) Diese Grundsätze gelten auch bei einem Zusammenstoß zwischen einem deutschen Binnenschiff und einem ausländischen Seeschiff.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 14. Juli 1980

II ZR 138/79

(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Das von der Beklagten bereederte und unter griechischer oder panamaischer Flagge fahrende SS A fuhr am 15. 12. 1973 bei einem Anlegemanöver im Hamburger Hafen gegen das in der Bundesrepublik Deutschland beheimatete Binnenmotorschiff M, das darauf sank.

Die Klägerin verlangt als Transportversicherin der - verlorenen - Ladung von der Beklagten Ersatz des erstatteten Schadens in Höhe von ca. 82 000, DM.

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung, da die Klage erst am 10. März 1976 eingereicht sei.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...
1.
a) Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß der Streitfall nach den Bestimmungen des Internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910 zu beurteilen ist, falls SS A die griechische Flagge geführt hat. Das ergibt sich aus Art. 1, 12 Abs. 1 IUeZ und dem Umstand, daß Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaaten des Obereinkommens sind (Schaps/Abraham, Seerecht 4. Aufl. Seehandelsrecht 2. Teil Anh. 1 § 739 Vorbem. Rnr. 1; vgl. auch Senatsurt. v. 29. März 1973 - II ZR 8/71, LM BinnSchG § 92 Nr. 19 = VersR 1973, 613). In diesem Fall richtet sich die Ersatzpflicht der Beklagten nach Art. 3 IUeZ, und zwar auch insoweit, als es um ein - etwaiges - eigenes Verschulden derselben geht. Denn Art. 3 IUeZ spricht vom Verschulden eines der Schiffe "(Si l'abordage est causö par la faute de l'un des navires") und nicht - wie § 735 HGB - nur vom Verschulden der Besatzung. Die Vorschrift umfaßt demnach jedes auf seiten eines der Schiffe ursächliche Verschulden, mithin auch das des Reeders (ebenso Boyens, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Bd. 54 S. 4). Dafür, daß das Wort „Schiff" lediglich diejenigen Personen bezeichnen soll, welche (als Dritte) die Haftung des Schiffseigentümers herbeizuführen geeignet sind (so Sienknecht, Das Brüsseler Übereinkommen von 1910 über den Zusammenstoß von Schiffen, sein Verhältnis zum geltenden Recht und seine internationale Bedeutung, S. 37/38; vgl. auch Schaps/Abraham aa0 Art. 4 Rnr. 1), läßt sich der Fassung des Art. 3 IUeZ nichts entnehmen.
...
Mit dem Berufungsgericht ist daher davon auszugehen, daß die - spezielle - Regelung des Art. 3 IUeZ die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Beklagten aus § 831 BGB ausschließt.

b) Ersatzansprüche aus Art. 3 IUeZ verjähren in zwei Jahren, gerechnet vom Tag des Zusammenstoßes an (Art. 7 Abs. 1 IUeZ). Bei einer Anwendung des Art. 3 IUeZ trat demnach im Streitfall am 15. Dezember 1975 Verjährung ein.

2.
a) Dem Berufungsgericht ist weiter zuzustimmen, daß die Vorschriften des Internationalen Obereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910 nicht herangezogen werden können, falls SS A unter panamaischer Flagge gefahren sein sollte. Denn Panama gehört nicht zu den Vertragsstaaten des Übereinkommens (Schaps/Abraham aa0 Vorbem. Rnr. 1). Deshalb ist in diesem Falle deutsches Recht uneingeschränkt anzuwenden (vgl. auch Senatsurt. v. 14. Juni 1962 - II ZR 21/61, VersR 1962, 752, 753). Jedoch ist ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 735 HGB ebenfalls am 15. Dezember 1975 verjährt, da die seerechtlichen Vorschriften des Handelsgesetzbuches die gleiche Verjährungsregelung wie Art. 7 Abs. 1 IUeZ enthalten (vgl. § 902 Nr. 2, § 902 Abs. 2).
Nun meint allerdings die Revision, Ansprüche aus § 735 HGB fielen dann nicht unter die Regelung des § 902 Nr. 2 HGB, wenn es sich - wie hier - um den Zusammenstoß zwischen einem deutschen Binnenschiff und einem ausländischen Seeschiff handle; insoweit sei § 852 BGB anzuwenden. Dem steht jedoch der klare und eindeutige Wortlaut der speziellen Verjährungsregelung des § 902 Nr. 2 HGB entgegen, wonach - Schadensersatzforderungen aus dem Zusammenstoß von Schiffen oder aus einem unter § 738 c (Fall der Fernschädigung) fallenden Ereignis" in zwei Jahren verjähren. § 739 HGB gibt für die Auffassung der Klägerin nichts her. Die Bestimmung, die nicht zwischen inländischen und ausländischen Schiffen unterscheidet, besagt lediglich, daß „die Vorschriften dieses Titels (gemeint sind damit die §§ 734 bis 738c) auch dann gelten, wenn bei dem Unfall ein der Binnenschiffahrt dienendes Schiff beteiligt ist". Sie geht auf Art. 1 lUeZ zurück und will wie dieser eine Gleichbehandlung der Seeschiffe in allen Fällen des Zusammenstoßes mit einem anderen Fahrzeug oder der Fernschädigung erreichen. Damit würde aber eine unterschiedliche Behandlung der Verjährungsfrage in Widerspruch stehen. Sie kann daher nicht aus § 739 HGB hergeleitet werden. Im übrigen wäre es auch kaum verständlich, daß Ansprüche aus dem Zusammenstoß zwischen einem deutschen Binnenschiff und einem ausländischen Seeschiff nach § 852 BGB, somit erst nach drei Jahren verjähren sollen, wogegen in allen anderen Fällen eines Schiffszusammenstoßes stets eine zweijährige Verjährungsregelung gilt (vgl. Art. 7 Abs. 1 IUeZ; § 902 Nr. 2, § 903 Abs. 2 HGB; Art. 7 Nr. 1 des Internationalen Obereinkommens zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. März 1960 - BGBI. 1972 11 1008; § 118 Abs. 1 BinnSchG).

b) Da § 735 HGB nur die Ersatzpflicht des Reeders aus einem von der Besatzung verschuldeten Schiffszusammenstoß betrifft, schließt diese Vorschrift Ansprüche aus § 831 BGB wegen eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens, also eines eigenen Verschuldens des Reeders, nicht aus (vgl. auch Senatsurt. v. 12. Dezember 1957 - 11 ZR 88/57, BGHZ 26, 152).

...
Allerdings unterliegen Ansprüche aus § 831 BGB grundsätzlich der Verjährungsregelung des § 852 BGB. Das gilt jedoch nicht, soweit es um einen Schiffszusammenstoß oder um eine Fernschädigung geht. Hier greift die Bestimmung des § 902 Nr. 2 HGB ein, die eine spezielle Regelung für „Schadensersatzforderungen aus dem Zusammenstoß von Schiffen oder aus einem unter § 738 c HGB fallenden Ereignis" (Fern-Schädigung) trifft. Sie will einen Gleichlauf mit der Verjährungsfrist des Art. 7 Abs. 1 IUeZ erreichen (vgl. die Begründung zu dem Entwurf des Seerechtsänderungsgesetzes vom 21. Juni 1972, BT-Drucks. VI/2225 S. 40) und unterwirft damit im Falle eines Schiffszusammenstoßes oder einer Fernschädigung auch eine - etwaige - Schadensersatzpflicht des Reeders aus § 831 BGB der zweijährigen Verjährungsfrist.
...“