Rechtsprechungsdatenbank

II ZR 137/72 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.09.1973
Aktenzeichen: II ZR 137/72
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zum Anscheinsbeweis, wenn ein Radarfahrer, dessen Führung kein Radarschiffer-Zeugnis besitzt, die Fahrt bei nicht genügender optischer Sicht fortsetzt und es dabei zu einer Kollision kommt.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 20. September 1973

II ZR 137/72

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

In dichtem Nebel fuhren MS E und der auf seiner Backbordseite gemehrte Kahn S - beide der Klägerin gehörend auf der Waal zu Tal. Bei der Begegnung mit dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten TMS Eu, auf dessen Backbordseite der Tankleichter M gekoppelt war, stießen Kahn S und TL M mit den Backbordseiten zusammen, wobei die Backbordseite von S im hinteren Drittel aufgerissen wurde. Auf E und Eu waren die Radargeräte eingeschaltet.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz von ca. 50.000,- DM, weil der Bergzug, nachdem dieser vorher die linke Stromseite und der Talzug die rechte Stromseite eingehalten hätten, bei einem Abstand von nur noch 200 m plötzlich den Kurs zum rechten Ufer eingeschlagen und so die Kollision verursacht.
Die Beklagten behaupten umgekehrt, daß nur der Talzug seinen Kurs, nämlich zum linken Ufer geändert habe. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie in vollem Umfang für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten ist dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.


Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Revision greift die Ausführungen des Berufungsgerichts erfolgreich mit einer Verfahrensrüge an. Zwar ist es nicht richtig, daß die Angaben, die der Beklagte zu 2 vor der niederländischen Reichspolizei gemacht hat und die jedenfalls nach dem Protokollinhalt in entscheidenden Punkten von seiner Aussage im Verklarungsverfahren abweichen, nicht Gegenstand der Berufungsverhandlung gewesen sind. Denn eine Ablichtung des Protokolls über den Inhalt der polizeilichen Vernehmung befindet sich in den Verklarungsakten und diese waren ausweislich des Tatbestands des angefochtenen Urteils Gegenstand der Berufungsverhandlung. Jedoch hätte das Berufungsgericht bei der prozeßentscheidenden Bedeutung, die es den Angaben des Beklagten zu 2 vor der niederländischen Reichspolizei gegeben hat, nicht über den Beweisantritt der Beklagten im Schriftsatz vom 9. Juni 1972 zu der Behauptung hinweggehen dürfen, der Beklagten zu 2 habe die holländische Sprache überhaupt nicht und der vernehmende holländische Polizeibeamte die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, so daß man sich gegenseitig nicht verstanden habe. Denn es gibt mit Rücksicht darauf, daß die Protokollierung einer Aussage durch den Vernehmenden eine individuelle Handlung darstellt, keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahin, daß es hierbei nicht zu Unrichtigkeiten kommen kann. Das gilt um so mehr für solche Fälle, in denen der Aussagende die Sprache des Vernehmenden überhaupt nicht und dieser die Sprache des Aussagenden nicht genügend beherrscht haben soll.Wegen des aufgezeigten Verfahrensfehlers bedarf die Sache einer erneuten Prüfung durch das Berufungsgericht. Hierzu erscheint folgender weiterer Hinweis angebracht:Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. das zum Abdruck in BGHZ vorgesehene Urteil v. 20. 9. 1973 - il ZR 31/72 s. in diesem Heft S. 15) muß ein Fahrzeug, das für die Fahrt mit Radar nicht vorschriftsmäßig ausgerüstet ist oder dessen Führung kein Radarschiffer-Zeugnis besitzt, - wie ein Nichtradarfahrer - die Geschwindigkeit herabsetzen oder die Fahrt einstellen, wenn dies nach der optischen Sicht geboten ist. Demnach hätte der Bergzug, dessen Führung nicht im Besitz eines Radarschiffer Zeugnisses war, nach § 80 Nr. 3 S. 1 RheinSchPolVO 1954 die Fahrt abbrechen müssen, wenn die Sicht so gering war, daß er bei Fortsetzung der Fahrt Gefahr lief, vor einem auftauchenden Hindernis nicht rechtzeitig anhalten zu können. Das scheint nach den Ausführungen des Berufungsgerichts der Fall gewesen zu sein. Bei einem Verstoß gegen das die Vermeidung von Kollisionen bezweckende Verbot des § 80 Nr. 3 S. 1 RheinSchPolVO 1954 würde aber ein Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, daß der Bergzug infolge der fehlerhaften Fortsetzung der Fahrt mit dem Talzug kollidiert ist (BGH, Urt. v. 21. 11. 68 - 11 ZR 188/ 66 *) LM Nr. 37 zu RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24. 12. 1954 - VersR 1969, 181, 182). Diesen Anscheinsbeweis müßten die Beklagten ausräumen, wozu sie bei der erneuten Verhandlung der Sache durch das Berufungsgericht Gelegenheit haben.