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II ZR 136/61 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 09.05.1963
Aktenzeichen: II ZR 136/61
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Eine dauernde Verhinderung der Fortsetzung der Reise (§§ 68, 69) liegt nicht vor, wenn sich ein Motorgüterschiff, das infolge einer auf Zufall beruhenden Beschädigung der Schraube und des Ruders seine Reise zum Bestimmungsort nicht selbständig mit eigener Kraft fortsetzen kann, von einem anderen, größeren Motorschiff längsseits zum Bestimmungsort schleppen lassen kann und dem Frachtführer zuzumuten ist, im Interesse der Ladung fremde Schleppkraft in Anspruch zu nehmen. Das gilt auch dann, wenn das Motorgüterschiff derart beschädigt ist, daß die Ausbesserung die vollständige Löschung der Ladung notwendig machen würde. In einem solchen Fall kann der Frachtführer die ihm durch die Inanspruchnahme fremder Schlepphilfe entstandenen Aufwendungen nach § 66 Abs. 1 ersetzt verlangen.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 9. Mai 1963

(LG Duisburg, OLG Düsseldorf)

II ZR 136/61

Zum Tatbestand

Der Beklagte hatte als Eigner des MS „A" für die Klägerin den Transport von 220 t Weizen von Hamm nach Worms übernommen. Bei Koblenz erlitt das Schiff einen Schaden an der Schiffsschraube und am Ruder. Eine Fortsetzung mit eigener Kraft war unmöglich, desgleichen eine Reparatur im beladenen Zustand. Eine Entladung wurde von den Ladungsversicherern abgelehnt. Das MS „B" nahm darauf MS „A" längsseits und schleppte es nach Worms.
In dem Rechtsstreit geht es zwischen den Parteien um den Ersatz der durch die Havarie und das Verschleppen von Koblenz nach Worms verursachten Mehrkosten. Das Landgericht hat den Anspruch der Beklagten auf Ersatz der Schleppkosten und der Auslagen für das Herbeiholen des MS „B" anerkannt, aber die durch die Stillegung der Schiffsmaschine für die Reise von Koblenz nach Worms ersparten Ausgaben an Betriebsstoffen in Abzug gebracht. Im übrigen wurden alle sonstigen Ansprüche, insbesondere auch auf Ersatz des Betriebsverlustes wegen Stilliegens, abgelehnt.
Das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Die Revision beider Parteien war erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen

„Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, die auf dem Unfall beruhende Beschädigung des Schiffes habe die Fortsetzung der Reise nicht dauernd verhindert. Gegen eine solche dauernde Verhinderung spricht schon der tatsächliche Geschehensablauf: Das Schiff hat die Reise, wenn auch mit fremder Schleppkraft, fortgesetzt und die Ladung an ihren Bestimmungsort gebracht. Als dauernde Verhinderung ist es nach § 68 Nr. 1 insbesondere anzusehen, wenn das Schiff, mit welchem die Beförderung zu erfolgen hat, derart beschädigt wird, daß die Reise nicht ohne eine umfassende Ausbesserung des Schiffes angetreten werden kann; dabei gilt als Ausbesserung dieser Art namentlich eine solche, die die vollständige Löschung der Ladung notwendig macht.

Zwar kann nicht zweifelhaft sein, daß nach der gesetzlichen Fiktion im vorliegenden Fall eine umfassende Ausbesserung vorgenommen werden mußte; denn ohne vollständige Löschung der Ladung konnten die Schraube und das Ruder nicht repariert werden. Die Beschädigung des Schiffes war aber nicht derart, daß die Reise nicht ohne eine solche Ausbesserung fortgesetzt werden konnte. Es bedurfte nur der Inanspruchnahme fremder Schleppkraft, um das Schiff, mit dem die Beförderung zu erfolgen hatte, an das Ziel seiner Reise zu bringen. In Fällen dieser Art muß die Entscheidung, ob der Frachtvertrag außer Kraft tritt, darauf abgestellt werden, ob der Antritt oder die Fortsetzung der Reise den Beteiligten zugemutet werden kann. Das könnte z. B. zu verneinen sein, wenn ein Schiff, das eine Ladung von Duisburg nach Basel zu befördern hat, bei seinem Reiseantritt in Duisburg einen Schraubenschaden erleidet. Im vorliegenden Fall konnte sich aber, wie das Berufungsgericht feststellt, einer Schiffahrtsübung entsprechend, das schrauben-havarierte und steuerbeschränkte Motorgüterschiff schleppen lassen. Da dem Beklagten trotz der Beschädigung seines Schiffes die Fortsetzung seiner Reise zum Bestimmungsort zuzumuten war, ist der Frachtvertrag in Kraft geblieben; eine Anwendung des § 70 BSchG scheidet aus. Die Weiterreise beruht also auf einer vertraglichen Verpflichtung des Beklagten.

Damit ist aber, entgegen der Meinung der Revision der Klägerin, nicht die Frage entschieden, wer die Schleppkosten zu tragen hat. Bei bestehendem Frachtvertrag ist die Frage in Auslegung der Vorschrift des § 66 Abs. 1 zu entscheiden. Hiernach fallen in Ermangelung einer besonderen Vereinbarung die Unkosten der Schiffahrt, insbesondere die im regelmäßigen Verlauf der Reise aufgewendeten Kosten für Schlepplohn
dem Frachtführer zur Last. Im Gegensatz zur seerechtlichen Regelung (§ 621 Abs. 2 HGB) hat dagegen der Frachtführer für die ungewöhnlichen Kosten nicht aufzukommen, die entstehen, wenn er durch außerordentliche Umstände gezwungen ist, fremde Schleppkraft in Anspruch zu nehmen. Dies gilt nicht nur in den Fällen der großen Havarie (vgl. § 66 Abs. 2, der die Vorschrift des § 82 Nr. 4 unberührt lät3t; vgl. ferner Begründung zu § 63 des Entwurfes des BSchG, aaO S. 339), sondern auch in sonstigen Fällen, in denen die Reise nicht regelmäßig verläuft und aus diesem Grunde, also wegen außergewöhnlicher, vom Schiffer nicht verschuldeter Ereignisse im Interesse der Ladung und nicht des Schiffes fremde Schleppkraft in Anspruch genommen werden muß (ebenso Vortisch-Zschucke BSchG, 2. Aufl. § 66 Anm. 3b). Dem steht nicht entgegen, daß unter den hier gegebenen Umständen der Frachtführer auf Grund des in Kraft gebliebenen Frachtvertrages verpflichtet war, das Beförderungsgut an seinen Bestimmungsort zu bringen. Denn das Frachtentgelt ist nach dem Vertrag auf der Grundlage berechnet, daß das Gütermotorschiff „A" die Weizenladung nach dem Bestimmungsort Worms bringt, also nicht nur den Laderaum für das Beförderungsgut zur Verfügung stellen, sondern auch mit eigener Kraft das Gut befördern kann. Durch die Beschädigung des Schiffes und die Notwendigkeit, fremde Schleppkraft in Anspruch zu nehmen, ist diese Berechnungsgrundlage teilweise entfallen. Der Gefahren- und Schicksalsgemeinschaft, in der sich Schiff und Ladung befinden, trägt das Gesetz in § 66 Rechnung, indem es die Kosten abgrenzt, die im Verlauf der Reise aufgewendet werden müssen.
Mit Recht hat das Berufungsgericht die Vorschrift des § 78 Abs. 3 über die besondere Haverie nicht angewendet. Es handelt sich im vorliegenden Fall um die Verteilung der Schiffahrtsunkosten auf Grund der zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Beziehungen, die in § 66 geregelt ist, mögen auch diese Unkosten infolge einer besonderen Havarie entstanden sein. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß die Schäden und Kosten nach § 78 Abs. 3 sich auf den Unfall und die ihm nachteiligen Auswirkungen auf Schiff und Ladung selbst beziehen und die Kostenverteilung an die dingliche Beziehung der Betroffenen zu dem Schiff und der Ladung anknüpft. Um die Erstattung solcher Kosten handelt es sich hier nicht. Den Schlepplohn hat der Beklagte nicht zur Beseitigung eines eingetretenen Schadens an dem Schiff oder der Ladung, also nicht in seiner Stellung als Eigentümer eines beschädigten und beladenen Schiffs aufgewendet, sondern in Erfüllung der ihm nach dem Frachtvertrag obliegenden Pflichten. Ober die Kostenverteilung ist daher auf Grund des Frachtvertrages, nicht auf Grund der Vorschriften über besondere Havarie zu entscheiden.'