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Leitsatz:
Wird das Festfrachtsystem für Verkehrsleistungen in der Schiffahrt durch unechten Fuhrmannshandel umgangen, so kann zu Gunsten des von der Bundesrepublik Deutschland aus zu niedriger Frachtzahlung in Anspruch genommenen „Käufers“ (Frachtführers) jedenfalls dann nicht eine Abschlußprovision im Verhältnis zu dem Fuhrmannshändler (Unterfrachtführer) berücksichtigt werden, wenn der „Käufer" bei tarifgemäßer Abwicklung des Transportgeschäfts nicht als Frachtführer eingeschaltet worden wäre.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 16. Dezember 1985
II ZR 135/85
(Landgericht Duisburg; Oberlandesgericht Düsseldorf)
Zum Tatbestand:
Der Partikulier W., der 1978 als weiteres Gewerbe einen Baustoffhandel angemeldet hatte, kaufte im Jahre 1981 neun Partien Kies mit insgesamt 8323,539 t von der Firma B., verkaufte sie an die Beklagte „frei im Schiff vor Ufer Hafen 0." und beförderte die neun Partien von R. nach O. Der Verkaufspreis lag insgesamt um 32707,60 DM unter dem Einkaufspreis zuzüglich der geltenden FTB-Fracht. Die Beklagte veräußerte die Partien mit einem Aufschlag von 0,50 DM an die Firma R., die den Kies mit einem zusätzlichen Aufschlag an die Firma V. weiter verkaufte. V. ist die von Anfang an feststehende Empfängerin der Ware gewesen. Zwischen B. und V. bestanden ursprünglich direkte Geschäftsbeziehungen, in deren Rahmen Partikulier W. den Kies zum geltenden FTB-Tarif beförderte.
Die zuständige WSD (Klägerin) hält das beschriebene Verfahren für mißbräuchlichen Fuhrmannshandel. Weil ab 1978 innerdeutsche Kiestransporte vom Niederrhein nach O. zum FTB-Tarif angesichts der Konkurrenz holländischer Kieslieferanten, die sich der billigeren, nicht dem FTB unterliegenden grenzüberschreitenden Transporte holländischer Partikuliere bedienen konnten, nicht mehr zu erhalten gewesen wären, sei W. als Fuhrmannshändler aufgetreten, um die Transporte von Firma B. zur Firma V. im tariffreien Werkverkehr durchzuführen. Er habe der Beklagten keine Verkaufsrechnungen übersandt, ihr aber zur selbständigen Ausfüllung Rechnungsformulare übersandt und für die Zahlung des Kaufpreises an Firma B. im voraus Blankoschecks überlassen. Die Beklagte müsse daher den erzielten Gewinn von 4161,76 DM (0,50 DM pro Tonne x 8323,539 to) an die Klägerin gemäß §§ 42 a, 31 Abs. 3 BinSchVG zahlen.
Die Beklagte behauptet, lediglich die bei einem „Streckengeschäft" üblichen Kaufverträge mit W. geschlossen und ihm kaufmännische Hilfe gewährt zu haben. Wenn man sie (die Beklagte) als Frachtführer ansehe, stehe ihr eine Provision von 5 % von der Fracht (13,34 DM/t) 0,66 DM/t zu. Die Provision übersteige den von der Klägerin verlangten Betrag und decke nur ihre Unkosten. Lediglich Firma V. habe einen Vorteil gehabt. Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von 32707,60 DM abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage antragsgemäß auf Zahlung von 4161,76 DM stattgegeben. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat es sich bei den Rechtsbeziehungen zwischen W. und der Beklagten nicht um Kaufverträge im Rechtssinne gehandelt, sondern um Umgehungsgeschäfte im Sinne des § 42 a BinnSchVG.
2. Daß W. bei seiner Vernehmung von Kaufverträgen gesprochen hat, besagt nichts über Inhalt und Zweck dieser Verträge. Richtig ist, daß W. ausgesagt hat, die Muttergesellschaft der Beklagten habe auch bei anderen Geschäften und Reisen die „kaufmännischen Angelegenheiten" und „alle Rechnungen, die so angefallen sind", für ihn abgewickelt. Dieser Umstand schließt jedoch nicht die Feststellung des Berufungsgerichts aus, daß die „Kaufverträge" nur abgeschlossen worden sind, um den FTB-Tarif zu umgehen. Auch konnte es aus dem Sachvortrag der Klägerin, soweit er unbestritten geblieben oder durch die Bekundungen W.'s bestätigt worden ist, den Schluß ziehen, daß die Beklagte zumindest mit bedingtem Vorsatz an der Tarifumgehung mitgewirkt hat.
3. Nach § 42 a BinnSchVG „werden die Verpflichtungen, die nach diesem Gesetz und den auf Grund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen den Schiffahrttreibenden und allen anderen an dem Zustandekommen und an der Durchführung eines Vertrags über eine Verkehrsleistung im Sinne des § 21 Abs. 1 Beteilig¬ten obliegen, durch rechtsgeschäftliche Gestaltungen oder Scheintatbestände, die zur Umgehung der Bestimmungen des Gesetzes und der auf Grund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen geeignet sind, nicht berührt". Derartige Gestaltungen und Scheintatbestände haben danach und beachtet zu bleiben; stattdessen bestimmen sich die Rechtsfolgen des Verhaltens der Beteiligten nach der dem wirtschaftlichen Ziel angemessenen Gestaltung (vgl. BGH, Urt. v. 3. März 1960 - II ZR 196/57, LM GüKG Nr. 9; Urt. v. 29. Oktober 1982 - 1 ZR 153/801), LM GüKG Nr. 68). Insoweit ist hier wesentlich, daß die eigentliche Tätigkeit des Partikuliers W. darin bestanden hat, die neun Partien Kies von dem Verkäufer und Versender Fa. B. zu dem Empfänger und Käufer Fa. V. zu transportieren, wobei in das Transportgeschäft noch weitere Unternehmen, nämlich Fa. R. und die Beklagte, eingeschaltet waren. Das letztere ergibt sich eindeutig aus den unwidersprochenen Schilderungen der Geschäftsbeziehungen aller Beteiligten.
Danach sind die rechtlichen Beziehungen zwischen W. und der Beklagten als solche frachtrechtlicher Natur zu behandeln, so daß die Beklagte dem Partikulier W. die Tariffracht geschuldet, mithin 32707,60 DM zu wenig an ihn gezahlt hat.
4. Daraus folgt allerdings noch kein Anspruch der - aus übergegangenem Recht W. 's klagenden (§ 31 Abs. 3 BinnSchG) - Klägerin in dieser Höhe gegen die Beklagte. Sie verlangt von dieser auch nur noch jenen Betrag, der dem Aufschlag der Beklagten (insgesamt 4161,76 DM) auf den jeweiligen Rechnungsbetrag des W. beim „Weiterverkauf" der Partien an Fa. R. entspricht. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt der Anspruch der Bundesrepublik Deutschland nach § 31 Abs. 3 BinnSchVG voraus, daß derjenige, von dem bei einer Unterschreitung des tariflichen Entgelts die Zahlung des Unterschiedsbetrags verlangt wird, durch den Tarifverstoß tatsächlich einen Vorteil in Höhe dieses Betrags erlangt hat; ist der Vorteil geringer als der Unterschiedsbetrag, so steht der Bundesrepublik Deutschland nur ein entsprechend niedrigerer Ausgleichsbetrag zu; fehlt es an einem Vorteil des in Anspruch Genommenen, so kommt gegen ihn ein Ausgleichsanspruch nicht in Betracht (vgl. BGHZ 64, 159 ff.). Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß § 31 Abs. 3 BinnSchVG nicht die Bestrafung derjenigen im Auge hat, die den Tarifzwang verletzt haben. Vielmehr will die Vorschrift bei einem beiderseits grob schuldhaften Tarifverstoß den tarifwidrigen Zustand in der Weise ausgleichen, daß der Begünstigte seinen Vorteil an die Bundesrepublik Deutschland herausgeben muß, ohne daß er dem Benachteiligten zugute kommt (BGH a. a. 0.). Insoweit unterscheidet sich die Regelung des § 31 Abs. 3 BinnSchVG von der seines Absatzes 2, der an das tatsächlich geschuldete Engelt unabhängig von einem Vorteil des Begünstigten anknüpft. Hier hat der Vorteil der Beklagten aus dem Tarifverstoß unter Berücksichtigung des zwischen den Beteiligten durchgeführten „Gesamtgeschäfts" 4161,76 DM betragen. Davon geht auch die Klägerin aus. Diesen Betrag kann sie von der Beklagten verlan¬gen. Dem kann nicht, wie die Revision meint, entgegengehalten werden, daß letztlich die Fa. V. die Begünstigte aus der „angeblichen Tarifunterschreitung" gewesen sei. Diese mag den finanziell größten Vorteil aus der Unterschreitung der FTB-Fracht gehabt haben. Das ändert jedoch nichts daran, daß bei der Beklagten von dem Unterschiedsbetrag aus dem Tarifverstoß 4161,76 DM „verblieben" sind. Diese hat sie zum Ausgleich des tarifwidrigen Zustands an die Klägerin zu zahlen. Deren Anspruch steht auch nicht, wie die Revision weiter ausgeführt hat, entgegen, daß die Beklagte als Frachtführer für die Weitergabe des Beförderungsauftrags an W. eine tariflich zulässige Abschlußprovision von 5 des FTB-Tarifs hätte fordern können und deren Betrag insgesamt höher gewesen wäre als ihr Vorteil aus dem gesetzwidrigen„ Kaufgeschäft". Eine solche Provision kann jedenfalls dann nicht berücksichtigt werden, wenn - wie hier - nach dem Sach- und Streitstand kein hinreichender Anhaltspunkt dafür besteht, daß die Beklagte bei einer „dem wirtschaftlichen Ziel angemessenen Gestaltung" (vgl. oben Nr. 3) überhaupt als weiterer Frachtführer in die Beförderung der 9 Partien Kies von der Lieferantin Fa. B. zur Abnehmerin Fa. V. eingeschaltet worden wäre."