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II ZR 133/66 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 08.07.1968
Aktenzeichen: II ZR 133/66
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Nachsteuern eines Kahnes im Schleppzug auf Kanälen und beim Schleppen aus einer Schleuse.
2) Zur Verpflichtung eines Entgegenkommers, bei Erkennbarkeit einer von einem begegnenden Schleppzug ausgehenden Gefahr die Fahrt abzubrechen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 8. Juli 1968

II ZR 133/66

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das Schleppboot D befand sich auf der Ruhr mit drei auf kurzen Kreuzdrähten hängenden leeren Anhängen, und zwar mit dem dem Beklagten zu 1 gehörenden vom Beklagten zu 2 geführten Kahn C (erste Länge), der Schute S1 (zweite Länge) und der Schute S2 (dritte Länge) auf Bergfahrt. Die beiden Schuten gehören der Streithelferin. Nach Verlassen der Ruhrschleuse kam es im Oberwasser bei der backbords durchgeführten Begegnung zu einem Zusammenstoß zwischen dem zu Tal fahrenden, der Klägerin gehörenden TMS Ch und der Schute S2. Darauf geriet Ch gegen den am Nordufer befindlichen Dalben Nr. 5 und kollidierte dann wieder mit der Schute. Es herrschte Wind aus südlicher Richtung, der quer auf das Nordufer stand. 
Die Klägerin und ihre Streithelferin behaupten, daß C durch unterlassene oder falsche Ruderführung in Schräglage mit dem Heck zum nördlichen Ufer geraten sei. Hierdurch hätten sich die beiden Schuten zwangsläufig noch mehr den Dalben an der Nordseite genähert und den Talweg versperrt.
Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. Für die Steuerung des Vorschiffes der Schute „EB 33" sei der Schiffsführer der Schute S1-verantwortlich gewesen. Der Unfall sei durch starken Südwind und durch Verschulden des Führers des TMS Ch herbeigeführt. Dieser sei trotz erkennbaren Verfallens der Schuten statt anzuhalten, mit hoher Geschwindigkeit weitergefahren. Die Klage wurde in allen drei Instanzen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Hauptangriff der Revision richtet sich gegen die Annahme im angefochtenen Urteil, die Kollision sei auf das Verfallen von C zurückzuführen Die Revision meint, das Berufungsgericht habe selbst die Ursächlichkeit damit begründet, daß auf den Schuten gesteuert worden sei. Dann sei aber nicht einzusehen, weshalb die beiden Schuten in stärkerem Maße als „C, an der Ch ohne Berührung vorbeigefahren sei, in das Fahrwasser von C hätten geraten sollen, wenn sie richtig nachgesteuert hätten.Auch dieser Revisionsangriff ist unbegründet. Auszugehen ist von der Darstellung des Unfallherganges in der Klagebeantwortung insoweit, als dort ausgeführt ist: „Als der Schleppzug ganz aus der Schleuse war, verfiel die Schute S1 mit dem Bug nach Backbord." Des weiteren ist von der Feststellung des Berufungsgerichts auszugehen, daß das Heck von C stark nach Backbord verfallen war. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß man auf C, wenn auch zu spät, versuchte, sich hinter dem Boot aufzustrecken. Das hat der Matrose von TMS Ch auf dessen Aussage das Berufungsgericht Gewicht legt, anschaulich geschildert, es entspricht sowohl dem Vortrag der Klägerin als auch dem Vortrag der Beklagten insoweit, als sie behaupten, C habe sich, soweit dies mit Rücksicht auf den starken -Wind möglich gewesen sei, gestreckt hinter dem Boot gehalten. Auch das Berufungsgericht nimmt offensichtlich an, daß auf C. noch vor dem Zusammenstoß das Ruder nach Backbord gelegt worden ist. Bei diesem Sachverhalt wird der Unfallhergang und gleichzeitig die Ursächlichkeit des Verfallens von C für die Kollision klar. C hat, als sie weitgehend mit dem Heck zum Nordufer verfiel, die beiden auf kurzen Drähten hängenden Schuten mitgezogen, wenn diese auch, wie im angefochtenen Urteil festgestellt ist, bemüht waren, sich hinter der verfallenen ersten Länge gestreckt im Fahrwasser zu halten. Als C vor dem Zusammenstoß Backbordruder gab, um sich aufzustrecken, hat das nach Steuerbord abgehende Achterschiff des Kahns den Bug des zweiten Anhangs mitgezogen. Das hatte zur Folge, daß das Heck des zweiten Anhangs weiter nach Backbord geriet und dorthin gleichzeitig das Vorschriff des dritten Anhangs mitnahm. Der zweite Anhang und damit auch dessen Achterschiff konnte dem Zug des Schleppbootes früher folgen als der Bug des auf kurzen Drähten hängenden dritten Anhangs. So kam es, daß das Vorschiff des dritten Anhangs im Zeitpunkt der Begegnung mit C weiter nach Backbord hinaus lag, als das Heck des zweiten Anhangs und daher mit seiner Backbordseite gegen das Backbordvorschiff des in leichter Schräglage herankommenden TMS Ch geriet. Damit ist aber klargestellt, daß die Kollision der zweiten Schute mit dem Talfahrer dadurch herbeigeführt worden ist, daß C zu spät versuchte, sich hinter dem Schleppboot aufzustrecken.Das Verschulden des beklagten Kahnführers an der falschen Ruderführung hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler festgestellt.Zutreffend sieht das Berufungsgericht kein Verschulden des 8,20 m breiten Talfahrers darin, daß er, sich dicht an die nördlichen Dalben haltend, dem Wind Rechnung tragend; eine leichte Backbordschräglage eingenommen hat.Das Schiffahrtsobergericht meint, der Klägerin könne nicht widerlegt werden, daß der Talfahrer eine Geschwindigkeit von 5 bis 7 km/h habe einhalten müssen, um nicht vom Wind gegen die Dalben gedrückt zu werden. Auch diese Auffassung kann aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden.Das Berufungsgericht trägt Bedenken, ein Verschulden des Talfahrers deshalb als erwiesen anzusehen, weil er es unterlassen hat, angesichts einer erkennbar drohenden Gefahr die Fahrt abzubrechen und rechtzeitig an den Dalben festzumachen. Im angefochtenen Urteil wird zur Begründung dieser Bedenken ausgeführt: Auf Ch habe man den 180 bis 200 m langen Schleppzug in einer Entfernung von etwa 1300 m aus der Schleuse herausfahren sehen. Die Anhänge des Schleppzuges seien langsam nach Backbord verfallen, als sie über das Leitwerk der Schleuse hinausgekommen seien und der letzte Anhang sich bereits bei dem Dalben Nr. 2 befunden habe. Es sei nicht auszuschließen, daß Talfahrer und Bergfahrer einander beträchtlich genähert hatten, als die Anhänge des Schleppzuges erkennbar nach Backbord verfallen seien. Zunächst habe die Führung von Ch damit rechnen können, daß die Anhänge bis zur Begegnung wieder eine gestreckte Lage einnehmen würden. Wie nicht widerlegt sei, habe der Schiffsführer von Ch die akute Gefahrensituation erst erkennen können, als er bei einer Entfernung des Buges seines Schiffs von 80 m zu dem Schleppboot wahrgenommen habe, daß das Ruder von C nicht besetzt gewesen sei. Ob es dann noch möglich gewesen sei, die Fahrt rechtzeitig einzustellen und ohne Gefährdung der Sicherheit von Ch an den Dalben festzumachen, erscheine zum mindesten zweifelhaft. Unstreitig sei auf Ch Anker gesetzt worden. Nicht widerlegt sei, daß auf Ch in der letzten Unfallphase zurückgeschlagen worden sei.Diese Erwägungen tragen die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Klägerin eine schuldhafte Verletzung ihrer Pflicht, bei Erkennbarkeit der Gefahr die Fahrt abzubrechen, nicht nachgewiesen werden könne. Die Revision vermag hiergegen nichts Beachtliches vorzubringen. Sie verkennt bei ihren Ausführungen, daß der Talfahrer zwar mit einem vorübergehenden Verwehen der Anhänge, nicht aber damit rechnen mußte, daß infolge unterlassener oder falscher Ruderführung auf C die Anhänge bis zur Begegnung nicht rechtzeitig ihre gestreckte Lage einnehmen würden."