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II ZR 125/71 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 02.07.1973
Aktenzeichen: II ZR 125/71
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Der Frachtführer kann sich in allgemeinen Geschäftsbedingungen von der Haftung für Ladungsschäden, die nicht auf einer (anfänglichen) Fahrt- oder Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes beruhen, auch insoweit wirksam freizeichnen, als die Schäden durch ein grob fahrlässiges Verhalten des Schiffers verursacht worden sind.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 2. Juli 1973

 II ZR 125/71

(Landgericht Hannover; Oberlandesgericht Celle)


Zum Tatbestand:

Die Beklagte hatte von der Fa. St. den Auftrag erhalten, 510 t Steinsalz von Braunschweig nach Rotterdam mit dem ihr nicht gehörenden MS H zu befördern. Während der Fahrt auf dem Mittellandkanal war nach dem Anlegen des Schiffes in Bad Essen Wasser in die hinteren Laderäume eingedrungen, wodurch 223 t Steinsalz verdorben waren.
Die Klägerin als Versicherin der Ladung verlangt Ersatz des von ihr erstatteten Schadens von ca. 110000,- DM.

Die Beklagte lehnt die Zahlung ab. Ein Stein habe eine Kimmplatte des Steuerbordhinterschiffes durchstoßen, was aufgrund einer Grund- oder Böschungsberührung beim Anlegen geschehen sein könne. Den Schiffer treffe keine Schuld. Außerdem sei die Beklagte in den Konnossementsbedingungen von jeder Haftung für Verlust oder Beschädigung der Ladung durch Eindringen von Wasser infolge einer Leckage freigezeichnet, auch wenn der Schaden durch ein Verschulden des Schiffers (außer bei absichtlichem Handeln) verursacht worden sei.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach § 276 Abs. 2 BGB kann dem Schuldner die Haftung im voraus erlassen werden, mit Ausnahme der Haftung für eigenen Vorsatz. Dieser Grundsatz findet allerdings dort seine Grenze, wo eine die Haftung des Schuldners ausschließende oder beschränkende Vereinbarung mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist. Das hat der Senat im Falle einer formularmäßigen Freizeich¬nung des Frachtführers von der Haftung für die Fahr- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes angenommen (BGHZ 49, 356, 363), und zwar auch dann, wenn die Fahr- oder Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes lediglich auf einem leichten Verschulden seiner Leute beruht (Urt. v. 25. 6. 73 - II ZR 72/71). Dabei hat er unter der Fahr- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes dessen Tauglichkeit zum Transport der Ladung bei Antritt der Reise verstanden (vgl. auch § 8 BinnSchG und § 559 HGB). Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch nicht. Vielmehr geht es um die Zulässigkeit einer formularmäßigen Freizeichnung von der Haftung für Ladungsschäden, welche der Schiffer nach Übernahme der Ladung in ein zum Transport taugliches Fahrzeug, insbesondere auf der Reise, fahrlässig verursacht hat. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Freizeichnung bestehen aber nicht die durchgreifenden Bedenken wie gegen den geschäftsmäßigen Ausschluß der Haftung für die Fahr- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes. Denn hier liegt kein Haftungsausschluß vor, der solche Mängel betrifft, deren Vorhandensein eine ordnungsgemäße Erfüllung des Frachtvertrages von vornherein unmöglich macht und deren Nichtvorliegen jeder Auftraggeber als selbstverständlich voraussetzt. Vielmehr handelt es sich um die Freizeichnung von der Haftung für Nachlässigkeiten und Versehen, welche insbesondere während der Frachtreise stets eintreten können und mit denen die Ladungsbeteiligten auch rechnen.

Natürlich kann unter Umständen eine derartige Freizeichnung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben ebenfalls nicht in Einklang stehen. So ist es unzulässig, daß der Frachtführer in allgemeinen Geschäftsbedingungen die Haftung für grobes Verschulden seiner leitenden Angestellten ausschließt oder beschränkt (BGH LM Nr. 30 zu Allg. Geschäftsbedingungen, Urt. v. 13. 3. 69 - II ZR 58/ 67). Ein solcher Angestellter ist der Setzschiffer aber regelmäßig nicht, weil der im allgemeinen nicht gleichsam Repräsentant des Frachtführers ist (vgl. auch BGH LM Nr. 1 zu § 138 BGB [Cc], Urt. v. 13. 3. 56 - 1 ZR 132/53, wonach der Kapitän eines Seeschiffes nicht als leitender Angestellter des Reeders anzusehen ist; ebenso bereits RGZ 120, 42, 46 und RG HansRGZ B Nr. 163). Vielmehr ist der Setzschiffer grundsätzlich dem Kreis der nicht leitenden Angestellten und Arbeiter eines Unternehmens zuzurechnen. Für diesen Kreis wird aber eine formularmäßige Freizeichnung des Unternehmens hinsichtlich des konkreten Personalrisikos regelmäßig für wirksam gehalten, d. h. hinsichtlich der Nachlässigkeit und Versehen, wie sie bei Arbeitern oder Angestellten auch eines ordnungsgemäß geführten und beaufsichtigten Betriebes nicht auszuschließen sind (vgl. Schmidt-Salzer, Allgemeine Geschäftsbedingungen, 1971 S. 119).

Der Inhalt von Frachtverträgen für Transporte auf inländischen Binnengewässern oder im internationalen Rheinverkehr wird seit Jahrzehnten ganz wesentlich durch allgemeine - meist auf die sogenannten oberrheinischen Konnossementsbedingungen zurückgehende - Geschäftsbedingungen der Frachtführer bestimmt. Diese Bedingungen enthalten regelmäßig umfängliche Freizeichnungen, insbesondere von der Haftung des Frachtführers für Verschulden seiner Leute (Hintze, Eine Darstellung der Entstehung des Binnenschiffahrtsgesetzes und der Entwicklung der Binnenschiffahrts-Bedingungen, Diss. Würzburg 1965 S. 181 ff; Laeuen, Freizeichnungen in Frachtverträgen der internationalen Rheinschifffahrt, Diss. Frankfurt 1966 S. 63 ff). Darauf hat sich die Verladerschaft seit langem eingestellt. Sie schließt deshalb in der Regel eine Transportversicherung ab, die auch die Risiken derartiger Freizeichnungen absichern soll. Daran kann man bei der rechtlichen Bewertung formularmäßiger Freizeichnungen der Frachtführer vom Verschulden ihrer Leute nicht ohne weiteres vorbeigehen (vgl. auch BGHZ 33, 216 ff; BGH LM Nr. 1 zu § 57 ADSp., Urt. v. 16. 11. 61 - II ZR 23/60; BGH VersR 1965, 973/974, Urt. v. 5. 7. 65 - II ZR 228/63; BGH LM Nr. 26 zu Allg. Geschäftsbedingungen, Urt. v. 22. 5. 68 - II ZR 133/66), wenn auch nicht zu übersehen ist, daß die versicherungsmäßige Abdeckung bestimmter Risiken seitens der Verladerschaft die zwangsläufige Folge bestimmter formularmäßiger Haftungsausschlüsse oder -beschränkungen seitens der Frachtführer ist. Hier kommt jedoch hinzu, daß die Beklagte mit der - vorliegend allein interessierenden - geschäftsmäßigen Freizeichnung von ihrer Haftung für (leichtes oder grobes) fahrlässiges Verhalten des Schiffers von MS H einer besonderen Lage Rechnung zu tragen sucht, in der sich allgemein jeder Frachtführer befindet, der das von ihm zum Transport eingesetzte Fahrzeug nicht persönlich führt oder begleitet. Diese besteht darin, daß er, während Schiff und Ladung bei der Fahrt, aber auch beim Laden und Löschen nicht unerheblichen Gefahren ausgesetzt sind, kaum eine Möglichkeit hat, diesen Gefahren durch eine Überwachung des Schiffsführers zu begegnen. Seine tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten, um die Ladung, insbesondere unterwegs, vor Schäden infolge eines nautischen oder sonstigen Fehlers des Schiffers zu bewahren, sind praktisch nicht größer als die desjenigen, der seine Güter einem Schiffstransport anvertraut. Infolgedessen ist es keine unvertretbare und mit dem Gerechtigkeitsgebot in Widerspruch stehende Regelung, wenn der Frachtführer das Risiko für jedes fahrlässige Verhalten des Schiffers, soweit dieses nicht die Fahr- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes betrifft, auf den Befrachter überwälzt, somit die Versicherungslast von diesem (oder dem Empfänger) zu tragen ist. Soweit ersichtlich, werden hiergegen auch seitens der Verladerschaft keine ernsthaften und grundlegenden Bedenken geltend gemacht.