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Leitsätze:
1) Bei Annäherung mehrerer hintereinander befindlicher Talfahrer an eine unterhalb erkennbare Nebelwand darf in der Regel keine Überholung mehr stattfinden.
2) Wenn die Talfahrer bei unsichtigem Wetter (hier wegen einer unterhalb erkennbaren Nebelwand) die Fahrt wegen des Verbots, in den Nebel hineinzufahren, alsbald einstellen müssen, darf ein Schiff den oder die vorausfahrenden Talfahrer in der Regel nicht überholen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 16. Januar 1969
II ZR 118/67
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende MS V (1211 t; mit 470 t beladen) wurde auf der Talfahrt bei der Autobahnbrücke Bendorf (Rhkm 598,42) von dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten MTS G (846 t) überholt, das sich sodann zwischen V und das zu Tal vorausfahrende MS B setzte. Wegen Nebels und unsichtigen Wetters drehten MS B und MTS G anschließend auf oder leiteten dieses Manöver ein. MS V stieß bei km 600,00 im Nebel gegen die dort haltenden Bergfahrer MS M und MS E.
Die Klägerin verlangt Ersatz des an MS V entstandenen Schadens und behauptet, daß MTS G ihr Schiff trotz der beim Überholen erkennbaren, stromabwärts liegenden Nebelwand in unzulässiger Weise überholt, sich in die nur 200 m betragende Lücke zwischen B und V gesetzt und dadurch letzteren die einzige noch vorhandene Aufdrehmöglichkeit über Backbord genommen habe. Die Beklagten bestreiten jegliches Verschulden.
Rheinschiffahrts- und Rheinschiffahrtsobergericht haben, die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde der Klageanspruch zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Als der Beklagte frühzeitig in beträchtlicher Entfernung die Nebelwand wahrnahm oder hätte wahrnehmen können, mußte er damit rechnen, daß die beiden anderen Talfahrer die nächste Möglichkeit zum Aufdrehen nutzen würden. Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Die Vorschrift des § 80 Nr. 1 und 2 RhSchPVO, die nautische Sorgfaltspflicht und die Rücksichtnahme auf die beiden anderen Talfahrer, die ihre Geschwindigkeit der Vorschrift des § 80 Nr. 1 RhSchPVO entsprechend herabgesetzt hatten, geboten es, daß auch das MTS G seine Geschwindigkeit in dem stark belegten Revier entsprechend verminderte und seine Fahrt rechtzeitig einstellte. Statt dessen hat der Beklagte die ganz langsame Fahrweise der beiden anderen Talfahrer dazu ausgenutzt, um V zu überholen und sich in die Lücke der beiden anderen Fahrzeuge unter Mißachtung der Vorschritt des § 51 Nr. 2 RhSchPVO zu setzen. Durch das nun weit engere Hintereinanderfahren der drei Schiffe ist die bei unsichtigem Wetter bestehende Gefahrenlage vergrößert worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte den Vorschriften des § 37 Nr. 4 oder § 42 Nr. 1 RhSchPVO zuwider gehandelt hat. Wenn auch das Gesetz ein Überholen bei unsichtigem Wetter nicht grundsätzlich verbietet, so kann ein Überholen in der Regel dann nicht zugelassen werden, wenn angesichts der Sichtverschlechterung (hier der erkennbaren Nebelwand) die vorausfahrenden Schiffe die Fahrt wegen des Verbotes, in den Nebel hineinzufahren, einstellen müssen und daher, nach Aufdrehmöglichkeiten suchen.
Wäre der Beklagte in Beachtung seiner nautischen Sorgfaltspflicht hinter dem MS V zurückgeblieben, so hätte dieses Schiff die Möglichkeit gehabt, an der Stelle aufzudrehen, an der G tatsächlich aufgedreht hat.
Das Revisionsgericht entnimmt dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils die Feststellung des Berufungsgerichts, daß von dem Zeitpunkt an, als G zum Überholen ansetzte, die einzig mögliche Aufdrehstelle für die Talfahrt sich dort befand, wo B dann tatsächlich aufgedreht hat.
Der Umstand, daß B und G nach dem Überholen von G noch 300 bis 500 m weitergefahren sind, bis sie eine für das Aufdrehen geeignete Stelle gefunden haben, schließt den ursächlichen Zusammenhang nicht aus, da schon nach der Wahrnehmbarkeit der Nebelwand die Pflicht zur Fahrtverminderung auf das Mindestmaß und alsbaldigen Einstellung der Fahrt bestand. Auch wird der ursächliche Zusammenhang zwischen der Fahrweise von G und den Kollisionen nicht dadurch berührt, daß V auf der Suche nach einer Aufdrehmöglichkeit weiter unterhalb verbotswidrig die Fahrt fortgesetzt hat, statt durch Länden kopfvor anzuhalten. Wenn der Geschädigte in der für ihn vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage sich selbst fahrlässigerweise falsch verhält, so wird hierdurch die Verantwortlichkeit des Schädigers nicht beseitigt. Solange ein Talfahrer, der die Fahrt einstellen will, den sichereren Weg des Aufdrehens hat, vermeidet er das Länden kopfvor, das nicht immer zu dem gewünschten Erfolg der alsbaldigen Fahrteinstellung führt. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß ein Talfahrer in solchen Fällen auf der Suche nach einer Aufdrehmöglichkeit verbotswidrig weiterfährt und dadurch in die Nebelwand gerät. Dieser Fehler hebt aber nicht die Verantwortlichkeit desjenigen auf, der den Talfahrer in diese Lage gebracht hat. Schließlich kann dem Berufungsgericht auch nicht darin gefolgt werden, daß es meint, nicht mit Sicherheit ausschließen zu können, daß das MS V seine Fahrt auch ohne das Überholmanöver von G bis zu dem Zeitpunkt fortgesetzt hätte, als sein Schiffsführer den Talweg durch die anhaltenden Bergfahrer versperrt sah.
Selbst wenn man mit dem' Berufungsgericht die Behauptung des Schiffsführers von V, er habe Aufdrehsignal gegeben, nicht für bewiesen ansieht, kann dies nicht entscheidend gegen seine Behauptung, er habe aufdrehen wollen, verwertet werden. Solange V hinter B und G fuhr und diese Schiffe selbst keine Möglichkeit zum Aufdrehen hatten, wäre die Abgabe eines solchen Signals durch V zwecklos gewesen, zumal nicht festgestellt ist, daß dem MS V offensichtlich ein weiterer Talfahrer folgte. Als aber B aufdrehte, hat sich das Unfallgeschehen in ganz kurzer Zeit abgespielt. Der Umstand, daß V gestreckt oder in leichter Schräghaltung auf die anhaltenden Bergfahrer zugekommen ist, kann ebenfalls nicht gegen die Aufdrehabsicht des Schiffsführers von V ins Feld geführt werden. Da V bis zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit zum Aufdrehen hatte, konnte er nicht anders fahren, wenn er - statt kopfvor zu länden - nach einer zum Aufdrehen geeigneten Stelle weiter unterhalb suchte.
Aber auch der Schiffsführer von V hat die Havarie mitverschuldet, da er seiner Pflicht zur Fahrteinstellung durch Länden kopfvor nicht nachgekommen ist. Weder die Größe und der Beladungszustand seines Schiffes noch die ihm bis zum Erreichen der Nebelwand verfügbare Strecke haben ihm das Länden kopfvor unmöglich gemacht. Die Fortsetzung der Fahrt in der Nebelwand barg erfahrungsgemäß weit größere Risiken in sich als ein Länden kopfvor vor dem Erreichen der Wand. Der weiter gegen den Führer von V zu erhebende Vorwurf, das MTS nicht durch Sperrsignal von dem Überholen abgehalten zu haben, wiegt nicht schwer, da der Beklagte die durch seih Überholen erhöhte Gefahrenlage für V ebenso erkennen konnte wie der Führer von V.
Da nach dem festgestellten Sachverhalt auch die Schuldabwägung zur Endentscheidung im Sinne eines Grundurteils reif ist, hat das Revisionsgericht diese Abwägung selbst vorzunehmen. Der Beklagte hat in einer Gefahrenlage unter Vernachlässigung seiner nautischen Sorgfaltspflicht rücksichtslos gehandelt. Aber auch das Verschulden des Schiffsführers von V, der trotz fehlender Sicht die Fahrt fortsetzte, statt kopfvor zu länden, fällt erheblich ins Gewicht. Nach der Sachlage kann nicht angenommen werden, daß das Verschulden des einen das des anderen überwiegt. Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten, dem Grunde nach die Hälfte des mit der Klage geltend gemachten Schadens zu tragen."