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II ZR 118/64 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.04.1966
Aktenzeichen: II ZR 118/64
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 44 RhSchPolVO
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Schuldhafte Herbeiführung eines Unfalls durch zu nahes Überholen im seitlichen Abstand von nur 10 m.

2) Wenn § 44 Nr. 2 RhSchPolVO die Pflicht zur Geschwin­digkeitsverminderung u. a. von einer sonst eintreten­den Gefährdung abhängig macht, so ist diese Vor­schrift auch dann anwendbar, wenn der Selbstfahrer, der überholt wird, bei Beibehaltung seiner Geschwin­digkeit sich selbst gefährden würde.

Urteil des Bundesgerichtshof

vom 21. April 1966

II ZR 118/64

(RheinSchiffOG Karlsruhe vom 24.03.1964)

Zum Tatbestand:

Auf der Fahrt von Straßburg nach Basel überholte das der Beklagten zu 1 und vom Beklagten zu 2 geführte beladene MS K bei km 287 das der Klägerin zu 1 gehörende MS E auf dessen Steuer­bordseite. Dabei geriet MS E auf eine Kribbe auf der badischen Seite und erlitt Schäden am Schiff und an der Ladung. Klägerin zu 1 als Schiffs­eignerin und die Klägerin zu 2 als Ladungsbeteiligte verlangen Schadensersatz mit der Begründung, daß MS K mit zu geringem seitlichen Abstand ge­fahren sei und durch den dadurch bedingten Sog das E-Hinterschiff nach Steuerbord mitgenommen habe. Infolgedessen sei MS E mit dem Vor­schiff nach Backbord ausgeschert und auf die Kribben geraten, von denen man genügend Abstand gehal­ten habe.

Die Beklagten bestreiten dieses Vorbringen und be­haupten, daß MS E schon gerakt habe, bevor MS K auf die Höhe des Achterschiffes von MS E gekommen sei. Wegen des entgegenkom­menden MS G habe MS K nicht weiter nach Steuerbord fahren können.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage in vollem Umfang, das Rheinschiffahrtsobergericht zu 2/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Unter Zurück­weisung der Revision des Beklagten wurde auf die Anschlußrevision der Klägerin das zu 1/3 abweisende Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zu­rückverwiesen.

Hätte MS K mit Rücksicht auf den Talfahrer nur in einem geringeren Seitenabstand als von 30 m überholen können - nach der Feststellung im angefochtenen Urteil war das nicht der Fall -, so hätte nach den besonderen Umständen des Falles MS K überhaupt nicht über­holen dürfen, da ein solches Überholen MS E gefährdet hätte (§§ 37 Nr. 1, 42 Nr. 1 RhSchPVO).

Selbst wenn hier zugunsten der Revision der Beklagten unterstellt wird, MS E sei zu nahe an den Kribben gefahren und habe seine Geschwindigkeit nicht vermin­dert, hat die Führung von MS K den Unfall in er­heblich überwiegendem Maße schuldhaft herbeigeführt. Durch das Überholen in einem Abstand von nur 10 m hat die Führung von „Klybeck" nicht nur die ihr nach § 37 Nr. 4 obliegende Rücksichtnahme auf MS E ver­letzt, da sie die starke Sogwirkung in Rechnung stellen mußte; sie hat vor allem dem MS „Express 41 " den Weg abgeschnitten, da „Express 41" seinen Kurs entsprechend der Stromkrümmung hätte nehmen müssen, daran aber durch das in nur 10 m Abstand fahrende MS K gehindert worden ist. Darin liegt ein grober Verstoß gegen das Verbot der Kursänderung, wie dies der Senat in seinem Urteil vom 9. Januar 1964 - II ZR 121/62 - näher ausgeführt hat. Allein die Tatsache des Rakens von MS E auf der Kribbe bei einem Seitenabstand von nur 10 m von MS K zwingt zu dem Schluß, daß die Führung von MS K dem MS E keinen ge­eigneten Weg freigelassen und damit den Unfall grob verschuldet hat. Demgegenüber treten die unterstellten nautischen Fehler der Führung von MS E erheblich zurück.

Hiernach war die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Anschlußrevision rügt, die Feststellung im angefoch­tenen Urteil, MS E habe die Fahrt nicht vermin­dert, beruhe auf einer Verletzung des § 286 ZPO. Die Rüge ist begründet. Das Berufungsgericht stützt seine Fest­stellung allein auf die Aussage des Lotsen S. von MS E Dieser hat bekundet:

„MS K war bei km 287,3-4 bei uns zum Über­holen aufgelaufen ... Ich habe, als ich die Überholab­sicht von MS K erkannte, nicht gestoppt, weil infolge des Grundes dort eine Enge vorhanden ist ..." Es ist schon nicht unbedenklich, wenn das Berufungsge­richt, ohne den Zeugen zu vernehmen, unter „nicht ge­stoppt" dasselbe versteht wie „die Umdrehungszahl der Maschine nicht herabgesetzt". Vor allem aber bezieht sich diese Aussage des Zeugen auf den Standort des MS E bei km 287,3-4.

Falls das Berufungsgericht zu der Ansicht kommt, die Be­klagten hätten bewiesen, daß MS E beim Beginn des Überholvorganges (km 287,1) seine Geschwindigkeit nicht herabgesetzt habe, so taucht die Frage auf, ob seine Schiffsführung hierzu verpflichtet war. Eine Pflicht gegen­über MS K und MS G ergab sich dabei nicht aus § 44 Nr. 2 RhSchPVO, da eine Gefährdung von MS G nach der Sachlage ausschied und auch eine Gefährdung von MS K nicht in Frage kam, wenn dieses Schiff, wovon die Führung von „Express 41 " zu­nächst ausgehen konnte, im ordnungsgemäßem Abstand überholte. Wenn § 44 Nr. 2 RhSchPVO die Pflicht zur' Geschwindigkeitsverminderung u. a. von einer sonst ein­tretenden tretenden Gefährdung abhängig macht, so mag diese Vorschrift auch dann anwendbar sein, wenn der Selbst­fahrer, der überholt wird, bei Beibehaltung seiner Ge­schwindigkeit sich selbst gefährden würde. Doch braucht diese Frage nicht entschieden zu werden, da jedenfalls die allgemeine Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenhei­ten (vgl. § 276 BGB) es gebietet, die Fahrt zu verringern, wenn hierdurch eine Gefahr vermieden oder verringert werden kann. Eine solche Verletzung der Sorgfaltspflicht durch die Führung von „Express 41 " kommt aber hier nur in Frage, wenn die Führung voraussehen konnte, daß MS K entgegen allen nautischen Grundsätzen in un­sachgemäßer Weise überholen würde, und wenn sie ohne Gefährdung ihrer Steuerfähigkeit die Geschwindigkeit so­weit herabsetzen konnte, daß MS E trotz des von MS K ausgehenden Sogs auf der Kribbe nicht gerakt hätte.

Zu prüfen wäre, ob die Geschwindigkeit bei Erkennbar­keit der Gefahr noch rechtzeitig wirksam herabgesetzt werden konnte. Weiter wäre zu überlegen, ob die wirk­same Herabsetzung der Geschwindigkeit nicht die Gefahr eines Zusammenstoßes mit dem in nahem Abstand über­holenden MS K herbeigeführt hätte. Dazu hat die Anschlußrevision geltend gemacht, die Sogwirkung nehme mit zunehmendem Geschwindigkeitsunterschied zwischen überholendem und zu überholendem Schiff zu und nicht ab. Wenn dies richtig ist, wären die Folgen des noch stärkeren Ausscherens zu erörtern. Da es sich hierbei um schwierige nautische Fragen handelt, wird die Ergänzung des Gutachtens nicht zu umgehen sein. Aber auch wenn die theoretische Prüfung zu dem Ergebnis führen sollte, daß durch Geschwindigkeitsverminderung die Gefahr einer Beschädigung vermieden oder wenigstens wesent­lich verringert worden wäre, ist damit die Frage des Ver­schuldens im Sinne des § 92 BSchG in Verbindung mit §§ 736, 738 HGB und des § 254 BGB noch nicht geklärt. Hier wird es darauf ankommen, welche Malinahmen ein ordentlicher Schiffer (§ 7 BSchG) in einer solchen Gefah­rensituation ergreift. Zu dieser Frage sollte ein rhein­schiffahrtskundiger Praktiker gehört werden.

Bei der Schuldabwägung ist zu berücksichtigen, daß die Gefahrensituation durch das rücksichtslose Überholma­növer von MS K geschaffen worden ist und der Füh­rung von MS E nicht allzu viel Zeit zum Überlegen blieb."