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II ZR 11/72 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.12.1972
Aktenzeichen: II ZR 11/72
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte für Streitigkeiten aus Schiffsunfällen umfaßt auch das Gebiet der unmittelbar am Rhein gelegenen Häfen. Zu diesen Streitigkeiten gehören auch solche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Hafenunterhaltungspflichtigen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 21. Dezember 1972

II ZR 11/72

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Als am 1. 12. 1970 ein Tankleichter im Duisburger Parallelhafen über Steuer mit grasendem Buganker in Richtung Rhein verschleppt wurde, ereignete sich plötzlich in der Nähe des Vorschiffs eine Unterwasserexplosion, durch die nicht nur der Leichter, sondern auch das in der Nähe liegende MS M des Klägers schwer beschädigt wurde.
Der Kläger verlangt Ersatz des Explosionsschadens von der Beklagten D. mit der Behauptung, daß der grasende Anker des Tankleichters die Zündung eines noch seit dem letzten Krieg in der Hafensohle liegenden Sprengkörpers berührt habe, den die hafenunterhaltungspflichtige Beklagte wegen Vernachlässigung ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht aufgefunden und nicht entfernt habe.
Die Beklagte erhebt in erster Linie die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Gerichts, weil Streitigkeiten über Schiffsunfälle in mit dem Rhein nur verbundenen Hafenbecken nicht vor die Rheinschiffahrtsgerichte gebracht werden könnten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat - nach abgesonderter Verhandlung - die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts verworfen. Die hiergegen eingelegte Berufung sowie die Revision der Beklagten blieben erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision leitet ihre Ansicht, die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte sei auf Streitigkeiten über Schiffsunfälle auf dem Strom beschränkt und könne deshalb nicht Klagen wegen eines derartigen Unfalls in einem lediglich unmittelbar am Rhein gelegenen Hafen umfassen, in erster Linie aus § 14 Abs. 2 Satz 1 BinnSchVerfG her. Dabei verkennt sie, daß diese Vorschrift die in der Mannheimer Akte enthaltenen Zuständigkeitsregelungen weder einseitig abändern konnte noch wollte. Vielmehr verweist § 14 Abs. 2 Satz 1 BinnSchVerfG ausdrücklich auf die Zuständigkeitsbestimmungen der Mannheimer Akte. Außerdem heißt es in § 14 Abs. 1 BinnSchVerfG, daß in Binnenschiffahrtssachen, die Rheinschiffahrtssachen sind, die Vorschriften des ersten Abschnitts dieses Gesetzes nur gelten, soweit sich aus den Bestimmungen der Mannheimer Akte nichts anderes ergibt. Damit brachte der Bundesgesetzgeber ganz allgemein zum Ausdruck, dass sich die Bundesrepublik -- im Gegensatz zu der Note der Reichsregierung vom 14. November 1936 (RGBI. II 361 ; vgl. auch Koffka, Deutsche Justiz 1936, 1801) - an die Bestimmungen der Mannheimer Akte gebunden hält.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte auch Streitigkeiten über Schiffsunfälle in einem nicht am offenen Strom liegenden Rheinhafen umfaßt, kommt es danach allein auf den Inhalt der Mannheimer Akte an. Diese befaßt sich aber nicht nur, wie die Revision aus deren Art. 1 herleitet, mit der Schiffahrt auf dem Stroine selbst. Vielmehr enthält sie eine Reihe von Bestimmungen über die Häfen und Landungsplätze, insbesondere auch über deren Einrichtung und Benutzung (Art. 11 Abs. 1 Art. 27). Auch weist sie Streitigkeiten wegen Zahlung von Gebühren für die Benutzung eines Hafens oder eines Landungsplatzes sowie für den Gebrauch ihrer Einrichtungen ausdrücklich den Rheinschiffahrtsgerichten zu (Art. 34 Nr. lla). Dabei unterscheidet sie weder hier noch an anderen Stellen zwischen den am offenen Rhein liegenden (Strom-)häfen und jenen, deren künstlich geschaffene Becken unmittelbar oder über einen kurzen Stichkanal in den Strom münden und von denen es bei Unterzeichnung der Mannheimer Akte beispielsweise in Ruhrort schon einige gab (Der Große Brockhaus, 16. Aufl., Stichwort: Duisburg). Deshalb vermag der Senat der Revision nicht zu folgen, wenn sie im Gegensatz zu den Vorinstanzen meint, die Bestimmung des Art. 34 Nr. Ilc der Mannheimer Akte sei auf Vorgänge auf dem Strom beschränkt und umfasse jedenfalls nicht die künstlich geschaffenen, nicht am offenen Strom liegenden Häfen (vgl. auch BGH, Urt. v. 18. Mai 1967 - 11 ZR 28/65 - VersR 1967, 949). Zudem wäre es auch kaum verständlich, daß sich das Wort „Anlanden" in Art. 34 Nr. llc der Akte nur auf die Stromhäfen und nicht auf die zahlreichen, in gleicher Weise der Rheinschiffahrt dienenden weiteren Rheinhäfen beziehen soll.
Abschließend ist zu diesem Punkte zu bemerken, daß sich der Senat mit seiner Ansicht, Art. 34 Nr. Ilc der Mannheimer Akte gelte für aIIe unmittelbar am Rhein liegenden Häfen, in Obereinstimmung mit der - von Anfang an unveränderten - Rechtsprechung der Zentralkommission für den Rhein befindet (vgl. hierzu die zahlreichen bei Walther, La Jurisprudence de la Commission Centrale pour la Navigation du Rhin 1832-1894 auf S. 85 ff aufgeführten Entscheidungen sowie das Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission vorn 15. Februar 1969, abgedruckt in ZfB 1969, 168). Dieser Rechtsprechung sind die Rheinschiffahrtsgerichte - von wenigen Ausnahmen abgesehen - stets gefolgt (Walther aaO; vgl. weiter Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 3. Aufl. S. 36/39 und 4. Aufl. S. 16/17).
Die Revision stützt ihre Ansicht, die vorliegende Klage falle nicht unter Art. 34 Nr. Ilc der Mannheimer Akte, weiter darauf, daß in der Bestimmung nur von Klagen wegen solcher Beschädigungen die Rede sei, welche Schiffer und Flößer während ihrer Fahrt oder beim Anlanden andern verursacht haben; um eine solche Person handle es sich bei der Beklagten aber nicht. Daran ist richtig, daß bei einer allein am Wortlaut des Art. 34 Nr. llc der Akte ausgerichteten Auslegung keine Klagen unter diese Bestimmung fallen, die nach einem Schiffsunfall von den Interessenten des geschädigten Schiffes gegen einen Hafenunterhaltungspflichtigen wegen Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht erhoben werden. Nun hat sich aber die "Rechtsprechung trotz des internationalen Charakters der Mannheimer Akte mit einer lediglich wortgemäßen Auslegung des Art. 34 Nr. IIc nicht begnügt. Hierzu hat sie einmal der Gedanke bewogen, daß es, schon um widersprechende Entscheidungen über denselben Schiffsunfall zu vermeiden, im Sinne dieser Bestimmung liegt, wenn die Verschuldensfrage bei Anfahrungen, Kollisionen oder Fernschädigungen im Rahmen der Rheinschiffahrt der einheitlichen Beurteilung durch eines der Rheinschiffahrtsgerichte überlassen werden kann. Zum anderen hat in diesem Zusammenhang die Überlegung eine nicht unerhebliche Rolle gespielt, daß Art. 34 Nr. Ilc der Mannheimer Akte, dessen Fassung auf die Rheinschiffahrts-Ordnung vom 31. März 1831 (Mainzer Akte) zurückgeht, einer sinnvollen Anpassung an die seit damals eingetretenen technischen Änderungen bedarf, wenn die Bestimmung weiter die Aufgabe erfüllen' soll, für eine rasche, sachkundige und einheitliche Rechtsprechung im Bereich der Rheinschiffährt zu sorgen. Mit Rücksicht darauf wird es deshalb für zulässig erachtet, vor den Rheinschiffahrtsgerichten nicht nur gegen den Schiffer zu klagen, sondern - sofern die sonstigen Voraussetzungen des Art. 34 Nr. Ilc der Mannheimer Akte vorliegen - Schadensersatzansprüche auch gegen die sonstigen Besatzungsmitglieder, gegen einen Lotsen oder gegen die nach § 3 BinnSchG mithaftenden Schiffseigner und Ausrüster (vgl.§2Art.1 BinnSchG) zu verfolgen, wobei auch vertragliche Ansprüche aus dem Schleppvertrag nach einer Kollision oder Fernschädigung geltend gemacht werden können (BGH Urt. v. 24. Mai 1971 - II ZR 128/69 - LM Nr. 4 zu § 14 BinnSchVerfG). Aus denselben Gründen wird auch die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte für Ausgleichsansprüche zwischen mehreren schuldigen Schiffen oder zwischen dem Schiffseigner und einem Lotsen bejaht (BGH, Urt. v. 28. September 1972 - II ZR 6/71 - ZfB 1972, 506).
Das alles vermag auch die Revision nicht zu bezweifeln. Sie meint jedoch, der Tatbestand für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch einen Hafenunterhaltungspflichtigen erweise sich als ein völlig anderer Unfallvorgang als derjenige, der von Art. 34 Nr. llc der Mannheimer Akte erfaßt werde. Hier handle es sich um einen Fehler, den ein nicht unmittelbar an der Schiffahrt Beteiligter begangen habe. Sein Verhalten habe nichts mit der ,Fahrt" eines Schiffes oder dessen „Anlanden" zu tun. Die Beurteilung eines derartigen Fehlers könne auch nicht deshalb der Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte unterstellt werden, weil es bei der Frage eines etwaigen Mitverschuldens des durch die Nachlässigkeit eines Verkehrssicherungspflichtigen beschädigten Schiffes auch auf nautische Kenntnisse ankommen könne. Ferner dürfe nicht unbeachtet bleiben, daß der Senat in einem Falle der Amtspflichtverletzung (BGHZ 45, 237 ff) und weiter bei der Geltendmachung von Aufwendungsersatzansprüchen für die Suche nach einem verloren gegangenen Anker (Urt. v. 24. Mai 1971 - II ZR 128/69 - LM Nr. 4 zu § 14 BinnSchVerfG) die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte verneint habe.
Die Bedenken, welche die Revision aus diesen beiden Entscheidungen gegen die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte für Klagen wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch einen Hafenunterhaltungspflichtigen herleitet, greifen schon deshalb nicht durch, weil ihnen ein jeweils ganz anderer Sachverhalt zugrunde liegt. Im übrigen wird die Frage, ob Ansprüche der Interessenten eines bei einem Schiffsunfall beschädigten Fahrzeugs) wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, insbesondere\ durch die für den deutschen Teil des Rheines unterhaltungspflichtige Bundesrepublik, vor den Rheinschiffahrtsgerichten verfolgt werden können, in der Rechtsprechung der Rheinschiffahrtsgerichte seit vielen Jahren bejaht (RheinSchOG Köln ZfB 1950, 66; RheinSchOG Karlsruhe VersR 1957, 662; Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 3. Aufl. S. 30). Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Auffassung, wenn auch ohne weitere Begründung, mehrfach angeschlossen (Urt. v. 4. Juni 1956 - III ZR 238/54 - VersR 1956, 504; Urt. v. 6. November 1958 - II ZR 298/56 - VersR 1958, 883; Urt. v. 29. März 1962 - II ZR 43/60 - BGHZ 37, 69; Urt. v. 2. Mai 1963 - II ZR 122/61 - VersR 1963, 551; Urt. v. 27. April 1964 - II ZR 222/62 - VersR 1964, 672; Urt. v. 17. Dezember 1964 - I I ZR 53/63 - VersR 1965, 336; vgl. außerdem Urt. v. 18. Mai 1967 - II ZR 28/65 - VersR 1967, 949 und Urt. v. 28. Februar 1969 - II ZR 144/67 - VersR 1969, 441). Diese Rechtsprechung, soweit sie vor der Revision der Mannheimer Akte in dem Straßburger Übereinkommen vom 20. November 1963 liegt, konnte den in der Rheinzentralkommission durch Bevollmächtigte vertretenen Vertragsstaaten der Mannheimer Akte bei ihren Revisionsverhandlungen nicht unbekannt gewesen sein. Wenn sie es dennoch bei der - in solcher Weise von der Rechtsprechung verstandenen - Fassung des Art. 34 Nr. lle beließen, obwohl sich die Revisionsverhandlungen auch mit den Zuständigkeitsregelungen der Mannheimer Akte für die Rheinschiffahrtsgerichte befaßten (vgl. den neu in die Akte eingefügten Art. 34 bis), so spricht dieses Verhalten der Vertragsstaaten dafür, daß sie die dargelegte Rechtsprechung nicht als einen Widerspruch zu dem Inhalt des Art. 34 Nr. llc der Mannheimer Akte ansehen.