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II ZR 115/70 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.01.1972
Aktenzeichen: II ZR 115/70
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Nach Art. 8 Abs. 1 Finanzvertrag (FV) richtet sich die Regelung von Verlusten oder Schäden, die durch Handlungen oder Unterlassungen fremder Streitkräfte im Bundesgebiet verursacht worden sind, nach den Vorschriften dieses Vertrages auch dann, wenn sie auf ausländischem Hoheitsgebiet eingetreten sind.


2) Zur Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages, dessen mehrsprachige, jedoch gleichermaßen authentische Texte voneinander abweichen.


3) Die Haftung der Bundesrepublik richtet sich nach den §§ 31, 89, 823 Abs. 1 BGB und nicht nach § 839 BGB, Art. 34 GG, wenn es die Führung einer militärischen Einheit pflichtwidrig unterläßt, den Schiffsverkehr vor den Gefahren eines Ankers zu sichern, der zwar ursprünglich zur Verankerung einer militärischen Zwecken dienenden Schiffsbrücke gehörte, dann aber ersetzt und danach im Strom liegengelassen worden ist.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 20. Januar 1972

II ZR 115/70

(Schiffahrtsgericht Kehl; Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende MS E war oberhalb einer im Raume Sasbach-Marckolsheim gelegenen Schiffsbrücke am 1. 5. 1960 auf einen Anker im Fahrwasser des Rheins aufgefahren und beschädigt worden. Der am 3. 5. 1960 im französischen Teil des Stromes gefundene Anker hatte ursprünglich zu einem auf deutschem Gebiet verankerten Teil der von einer französischen Pioniereinheit zu militärischen Zwecken gebauten Brücke gehört, war dann durch einen anderen Anker ersetzt, aber nicht aus dem Strom entfernt worden. Unklar ist nur geblieben, ob die Auffahrung im deutschen oder französischen Teil des Stromes erfolgt ist.
Die Klägerin verlangt von der Bundesrepublik in Höhe von etwa 45000,--- DM Schadenersatz, den sie zunächst - erfolglos gegen den französischen Staat vor französischen Instanzen geltend gemacht hatte. Sie behauptet, daß die verantwortlichen französischen Militärpersonen entweder die Verankerung der einzelnen Brückenglieder nicht hinreichend überwacht und deshalb dorr Ankerverlust nicht bemerkt oder den Verlust den Behörden nicht gemeldet und nichts zur Sicherung des Verkehrs getan hätten Die beklagte Bundesrepublik haftet nach Maßgabe des Finanzvertrages (FV).
Die Beklagte rügt die Nichtbeachtung der nach dem FV vorgeschriebenen Fristen. Die Auffahrung habe sich auf französischem Hoheitsgebiet ereignet. Außerdem habe die Klägerin schon auf andere Weise Ersatz erhalten.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:

Die Schäden, die die Klägerin ersetzt verlangt, sind vor dem am 1. Juli 1963 erfolgten Inkrafttreten des Nato-Truppenstatus verursacht worden. Nach Art. 41 Abs. 12 des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatus (vgl. das deutsche Ausführungsgesetz dazu vom 18. August 1961 - BGBI II 1183) ist daher der Klageanspruch nach der. Vorschriften des Finanzvertrages vom 23. Oktober 1954 in der ab 5. Mai 1955 geltenden Fassung (BGBI II 301/381) zu prüfen (BGH LM Finanzvertrag Nr. 39). Die Fristen. innerhalb deren Ansprüche dieser Art geltend gemacht werden müssen (Art. 8 Abs. 6 und 10 FV), hat das Berufungsgericht als gewahrt angesehen.
Das Berufungsgericht ist auf Grund des Wortlauts des Art. 8 Abs. 1 FV - in Übereinstimmung mit den Erläuterungen des Bundesfinanzministeriums zum Entschädigungsrecht der Stationierungsschäden (MinBIFin 1957, 694) - der Ansicht, ein in der Bundesrepublik von den Streitkräften verursachter, jedoch - was hier mangels gegenteiligen Beweises unterstellt werden müsse außerhalb des Bundesgebietes eingetretener Schaden falle nicht unter die Vorschriften des Finanzvertrages. weil er nicht im Bundesgebiet entstanden" sei. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.
Der Finanzvertrag ist in deutscher, englischer und französischer Sprache abgefasst; alle drei Fassungen sind gleichermaßen authentisch (Art. 19 FV). Vergleicht man den deutschen, den englischen und den französischen Text des Art 8 Abs. 1 FV, so ergibt sich ein Unterschied insoweit, als es im deutschen Text heißt „Ansprüche wegen Verlusten oder Schäden, die ... im Bundesgebiet infolge von Handlungen oder Unterlassungen der Streitkräfte entstehen", wogegen die englischen und französischen Fassungen an die Verursachung anknüpfen, da der englische Text die Worte claims in respect of loss or damage caused ... by acts or omissions of the Force s in the Federal territory" verwendet und -- damit übereinstimmend -- der französische Text lautet „les reclamations afferentes aux pertes et dommages causes ... par des actes ou omissions des Forces sur le territoire federal". Diese Abweichung kann nicht bedeuten, daß Art. 8 Nr. 1 FV in der deutschen Fassung einen anderen Inhalt als in der englischen und französischen Fassung hat Denn es ist selbstverständliche Voraussetzung eines völkerrechtlichen Vertrages dessen mehrsprachige Texte gleichermaßen authentisch sind, daß sämtliche Texte ihrer Idee nach jeweils dasselbe aussagen und der in ihnen zum (mehrfachen) Ausdruck gekommene Wille der Vertragspartner nur einer sein soll und kann (Dolle, Zur Problematik mehrsprachiger Gesetzes- und Vertragsstexte in Rabels 7 1961, 27). Es fragt sich daher, welches der gemeinsame Inhalt der mehrsprachigen Fassungen des Art. 8 Abs 1 FV ist. Die Frage ist im Wege der Auslegung dahin zu beantworten, daß die Vorschrift die Regelung solcher Verluste oder Schäden dem Finanzvertrag unterstellt, die durch bestimmte (vgl. Art. 8 Abs. 2 FV) Handlungen oder Unterlassungen fremder Streitkräfte im Bundesgebiet verursacht werden, und zwar unabhängig von dem Ort des Schadenseintritts.
Hierfür spricht einmal die Behandlung von Schadensersatzansprüchen dieser Art in der vorangegangenen Zeit (wird ausgeführt).
Mit der Beendigung des Besatzungsregimes trat an die Stelle des Begriffs der Besatzungsschäden derjenige der Stationierungsschäden. Darunter verstand man allgemein solche Schäden, die in der Bundesrepublik durch die hier stationierten fremden Streitkräfte verursacht wurden (Palandt, BGB 31. Aufl. Einl. zum Nato-Truppenstatut Anm. 1). Die Regelung des Ersatzes dieser Schäden, soweit es sich um Unrechts- Belegungs- oder Manöverschäden handelte, erfolgte in Art. 8 und 9 FV. Dass man hierbei von der zuvor für Besatzungsschäden geltenden Regelung (vgl. Hamm aaO) abweichen und die Anwendung der nunmehr getroffenen Vereinbarung nicht vom Ort der Schadensverursachung, sondern dem des Schadenseintritts abhängig machen wollte, ist nicht ersichtlich.
Das wäre auch nicht sachgerecht gewesen.

Der Senat ist deshalb der Ansicht, daß der englische und der französische Text des Art. 8 Abs. 1 FV den Willen der Vertragsschließenden sprachlich richtig wiedergeben, während die deutsche Fassung insofern nur redaktionell nicht völlig gelungen ist.
Für die Begründetheit der Klage kommt es demnach darauf an, ob die französischen Streitkräfte den Schiffsunfall im Gebiet der Bundesrepublik, und zwar schuldhaft, verursacht hohen und ob die Bundesrepublik unter gleichen Umständen verpflichtet wäre, den daraus der Klägerin entstandenen Schaden zu ersetzen. Beides ist zu bejahen.
Unstreitig stammt der Anker, auf den MS E aufgefahren ist, aus der Verankerung eines auf deutschem Hoheitsgebiet befestigten Teils der Schiffsbrücke. Er hatte, wie den insoweit von den Parteien nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen P zu entnehmen ist, am stromseitigen Rande eines dem deutschen Ufer vorgelagerten Buhnenfeldes gelegen und war am 5. Merz 1959 durch einen etwas näher zum deutschen Ufer gesetzten Anker ersetzt, jedoch nicht aus dem Strom entfernt worden. Aus dieser Unterlassung ergab sich für die Führung der für die Schiffsbrüske verantwortlichen französischen Pioniereinheit die Pflicht, die Lage das Ankers regelmäßig überprüfen zu lassen, da bei der starken Strömung des Oberrheins und den dadurch bedingten ständigen Veränderungen der Stromsohle ein Vertreiben des Ankers in das Fahrwasser nicht ausgeschlossen war; auch musste sie im Falle eines derartigen Vertreibens für eine unverzügliche Beseitigung des die Schiffahrt gefährdenden Hindernisses Sorge tragen.

Hätte es sich vorliegend um eine Pioniereinheit der Bundeswehr gehandelt, so hätte die Bundesrepublik für den der Klägerin aus dem Schiffsunfall entstandenen Schaden nach den (allgemeinen) Vorschriften der §§ 31, 89, 823 Abs. 1 BGB und nicht, wie die Beklagte meint, nach der (speziellen) Regelung des § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zu haften. Zwar sind die Errichtung und die dabei vorzunehmende Verankerung einer militärischen Zwecken dienenden Schiffsbrücke dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen.
Ebenso gehört die Unterhaltung der Brücke und die Sicherung des Schiffsverkehrs vor den von ihr ausgehenden Gefahren hierzu. Vorliegend ist jedoch die Frage zu entscheiden, ob eine hoheitliche Tätigkeit- und damit die Verletzung einer Amtspflicht im Falle einer pflichtwidrigen Unterlassung auch dann gegeben ist, wenn es um die Sicherung der durchgehenden Schifffahrt vor einem Anker geht, der aus dem Verankerungssystem der Brücke bewußt ausgeschieden und danach im Strom belassen worden ist. Diese Frage ist zu verneinen. Denn in einem solchen Falle besteht gerade nicht mehr, was die Rechtsprechung für eine Anwendung des § 839 BGB verlangt (BGHZ 42, 176), ein innerer Zusammenhang zwischen der militärischen Zielsetzung, in deren Sinn die Pioniereinheit tätig war, und der ganz unabhängig von ihren militärischen Aufgaben begründeten Pflicht zur Sicherung der Schiffahrt vor den Gefahren, die von dem aufgegebenen Anker ausgingen, und der Verletzung dieser Pflicht; der Zusammenhang war gelöst, als die Pioniereinheit den aus der Verankerung der Brücke ausgeschiedenen Anker im Strom beließ und ihn dadurch seines militärischen Verwendungszweckes entkleidete.

Bei der erneuten Verhandlung werden die Parteien auch Gelegenheit haben, die Frage, ob die Beklagte gehalten ist, der Klägerin die Kosten des in Frankreich geführten Rechtsstreites zu ersetzen, anhand der Grundsätze zu erörtern, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei der Geltendmachung von Kosten eines erfolglosen Vorprozesses gegen den Schädiger zu beachten sind. (vgl. BGH VersR 1969, 441; NJW 1971, 134).