Rechtsprechungsdatenbank

II ZR 113/73 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.12.1974
Aktenzeichen: II ZR 113/73
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Zum Umfang der Rechtskraft eines Urteils, das eine negative Feststellungs-(wider-)klage aus sachlichen Gründen abweist, wenn sich diese Klage gegen eine der Höhe nach noch nicht abschließend bezifferte Schadenersatzforderung gerichtet hat.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 12. Dezember 1974

II ZR 113/73

(Landgericht Aurich; Oberlandesgericht Oldenburg)


Zum Tatbestand:

Der Beklagte beschädigte mit seinem Motorschiff beim Setzen eines Ankers im Hafen Leer eine Strom- und eine Gasleitung der Klägerin. Diese verlangte darauf im Vorprozeß eine Teilentschädigung von 50 000,- DM, wobei sie die Wiederherstellungskosten der Stromleitung mit ca. 40 000,- DM exakt bezifferte und die Kosten für die Neuverlegung der Gasleitung mit ca. 70 000,- DM veranschlagte. Nachdem dieser Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wurde und eine Widerklage des Beklagten auf Feststellung, daß der Klägerin aus dem Schadensfall keine höhere Entschädigung als 50 000,- DM zustehe, als unbegründet abgewiesen worden war, zahlte der Versicherer des Beklagten an die Klägerin 50 000,- DM.

In dem neuen Rechtsstreit verlangt die Klägerin einen weiteren Teilbetrag von etwa 25 000,- DM, da weit höhere Wiederherstellungskosten für die Gasleitung, nämlich ca. 196 000,- DM entstanden seien.

Der Beklagte beruft sich in erster Linie auf zwischenzeitlich eingetretene Verjährung.

Beide Instanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.


Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der von der Klägerin allein aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 48 SeeSchStrO a. F. hergeleitete Klageanspruch nach den §§ 902, 901, 903, 754 Nr. 9 HGB a. F. am 31. Dezember 1969 verjährt. Dem ist, wie die Revision mit Grund rügt, nicht zu folgen, weil infolge der Abweisung der negativen Feststellungswiderklage im Vorprozeß rechtskräftig feststeht, daß die Klägerin von dem Beklagten auch den über 50 000,- DM hinausgehenden Schaden aus dem Unfall vom 9. März 1968 ersetzt verlangen kann, und dieser Anspruch nach § 218 Abs. 1 Satz 1 BGB erst in dreißig Jahren verjährt, auch wenn er an sich einer kürzeren Verjährung unterliegt. Das ergibt sich aus folgendem:
Hätte die Klägerin im Vorprozeß neben dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung von 50 000 DM nebst Zinsen zu verurteilen, außerdem beantragt festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr allen weiteren aus dem Unfall vom 9. März 1968 entstandenen Schaden zu ersetzen und wäre der Klage auch insoweit stattgegeben worden, so stünde dieser Anspruch nunmehr rechtskräftig fest. Hier ist dieses Ergebnis dadurch eingetreten, daß der Beklagte seinerseits im Vorprozeß im Wege einer negativen Feststellungswiderklage beantragt hat „festzustellen, daß der Klägerin über den Betrag von 50 000,- DM hinaus keine Ansprüche gegen den Beklagten aus dem Schadenfall vom 9. März 1968 zustehen", und diese Klage als sachlich unbegründet abgewiesen worden ist. Denn ein Urteil, das einer negativen Feststellungsklage aus sachlichen Gründen nicht stattgibt, hat grundsätzlich dieselbe Bedeutung wie ein Urteil, das das logische Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt (OGH, Urt. v. 26. 1. 50 - 1 ZS 54/49, NJW 1950, 502; vgl. auch BGHZ 7, 174, 183). Allerdings ergibt sich der Umfang der Rechtskraft einer derartigen Entscheidung - wie bei jedem klageabweisenden Urteil - stets erst aus deren Gründen, so daß er sich im Einzelfalle verschieden, gestalten kann (RGZ 90, 290, 292; BGH, Urt. v. 21. 3. 72 - VI 110/71, LM § 209 BGB Nr. 23). Im Streitfall führen diese Gründe aber nicht dazu, den Umfang der Rechtskraft des die negative Feststellungswiderklage des Beklagten im Vorprozeß abweisenden Urteils anders zu bestimmen, als wenn die Klägerin eine gegenteilige positive Feststellungsklage erfolgreich durchgeführt hätte. Hier ist die negative Feststellungswiderklage des Beklagten abgewiesen worden, weil - so das Berufungsgericht im Vorprozeß - bei der Art der Beschädigungen, die ein Taucher an der Gasleitung festgestellt habe und die nur durch eine Neuverlegung der Leitung behoben werden könnten, davon auszugehen sei, daß die endgültige Schadenersatzforderung der Klägerin den Betrag von 50 000,- DM nicht unwesentlich übersteige und die Forderung durch kein Mitverschulden der Klägerin gemindert werde. In einem solchen Falle bedeutet das Abweisen einer negativen Feststellungs-(wider-)klage nichts anderes als die positive Feststellung des - dem Gegenstand nach bereits konkret umrissenen - Schadenersatzanspruchs der widerbeklagten Partei, der allerdings, da er noch nicht endgültig beziffert war, der Höhe nach noch der Prüfung bedarf. Insoweit befindet sich der Senat in Obereinstimmung mit der bereits erwähnten Entscheidung des Reichsgerichts, worin dieses bei der Beurteilung eines ähnlich gelegenen Falles ausgeführt hat, die Abweisung einer negativen Feststellungsklage bewirke nicht, daß nunmehr die ganze Forderung der Gegenseite festgestellt sei. Hingegen wäre dem Reichsgericht nicht zu folgen, sofern es außerdem gemeint haben sollte, einer negativen Feststellungsklage komme überhaupt keine positive Rechtskraftwirkung zu, wenn sie sich nicht gegen einen bereits bezifferten Anspruch richte. Eine derartige Ansicht würde zu einer unterschiedlichen Festlegung der Rechtskraft einer unbezifferten positiven und einer gegenteiligen unbezifferten negativen Feststellungsklage führen, die nicht zu rechtfertigen ist. Zwar mag es zutreffen, daß ein gegen eine negative Feststellungsklage gerichteter Abweisungsantrag - im Gegensatz zu einer positiven Feststellungsklage - nicht geeignet ist, die Verjährung nach § 209 BGB zu unterbrechen, weil er sich als ein lediglich der Abwehr dienendes Verhalten und nicht als tätiges, auf Zusprechung eigenen Rechts gerichtetes Vorgehen darstellt (BGH, Urt. v. 21. 3. 72 - VI ZR 110/71, a.a.O.). Das hat jedoch mit der hier zu beurteilenden Frage nichts zu tun. Auch läßt sich dieser Entscheidung des Vl. Zivilsenats nicht entnehmen, daß nach dessen Ansicht der Umfang der Rechtskraft einer negativen Feststellungs-(wider-)klage nach anderen als den vorerörterten Grundsätzen zu beurteilen ist. Vielmehr stellt diese Entscheidung insoweit ebenfalls auf die Gründe des die Feststellungsklage abweisenden Urteils ab, die sich in jenem Falle allerdings auf den Satz beschränkt hatten, es habe sich „nicht feststellen lassen", daß der Kläger aus dem Unfall keine Ansprüche gegen die Beklagte habe, die über (die vom Kläger im Vorprozeß verlangten) 15000,- DM hinausgehen.

Danach läßt sich die Abweisung der Klage nicht damit begründen, daß der mit ihr verfolgte weitere Schadenersatzanspruch verjährt sei.
...“